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Bemerkungen vom WeltsozialforumBewegung ganz ohne Programm

Martin Kaul
Kolumne
von Martin Kaul

Das Weltsozialforum wird sicher toll. Aber die größte Frage in Salvador da Bahia ist, wann etwas wo stattfindet – und ob.

So sehen die Indigenas aus dem WSF-Ort Salvado da Bahia aus Foto: ap

E ins ist klar, zuerst musst du es finden. Am Montag habe ich eine Schweizerin getroffen, die sagt, sie habe schon mal ein Programm in der Hand gehabt. 57 ausgedruckte Seiten sollen es gewesen sein, aber sie wusste nicht, wo ich es nun selbst finden könne. Außerdem war es auch noch nicht ganz fertig.

Eines der größten Geheimnisse des Weltsozialforums, das am Dienstag in Salvador da Bahia in Brasilien begonnen hat, ist die Frage, wann etwas wo stattfindet – und ob. Es muss wohl ein großartiges Programm sein, darauf kann ich schließen, weil ich weiß, wer alles da ist.

Im Maranhaão, das ist ein Bundesstaat im Nordosten Brasiliens, hat sich ein Indianervölkchen in den Bus gesetzt und ist zwei Tage gefahren, um anzukommen. Und Brasiliens Expräsident Lula kommt eigens angeflogen. Und die Schweizerin, die einen Solidaritätsfonds betreut für kluge Menschen, die Geld brauchen, ist ja auch schon da.

Nun wurde natürlich schon viel geschimpft, weil manche sagen, es wäre doch gut, wenn das Programm am Tag des Beginns halbwegs fertig wäre. Und da ist mir aufgefallen, dass jedenfalls die Europäer mehr schimpfen als die Brasilianer.

Und da ist mir aufgefallen, dass jedenfalls die Europäer mehr schimpfen als die Brasilianer

In Salvador, das ist nun kein Klischee, sondern die reizvolle Wahrheit, war gerade erst Karneval, und das hat nicht unbedingt die Vorbereitungen beschleunigt. Und das wissen natürlich die Brasilianer, aber manche Gäste noch nicht, und deswegen wundern sich nur manche.

Brasilianer, also solche, die Profis sind, empfehlen daher, dahin zu gehen, wo auch andere hingehen. Das finde ich generell einen guten Rat, zumal es hier in Salvador da Bahia ja ohnehin darum gehen soll, die Bewegungen zu sammeln, was im besten Fall zu einer Sammlungsbewegung führt, und wir wissen ja: Daraus kann Großes entstehen. Ich: gehe mit.

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Martin Kaul
Reporter
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1 Kommentar

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  • Spannende Beobachtung! Die Europäer schimpfen also mehr als die Brasilianer über gewisse organisatorische Unzulänglichkeiten des Weltsozialforums. Warum wohl?

     

    Vielleicht, weil viele Europäre – anders als Martin Kaul – es nicht „generell einen guten Rat“ finden, „dahin zu gehen, wo auch andere hingehen“, sondern allenfalls speziell. Auf eine sächsische AfD-Demo etwa möchte der zugereiste (Wahl-)Berliner womöglich nicht unbedingt landen, nur weil er irgendwelchen Massen nachgestolpert ist. Womöglich hat sich deswegen der Glaube an das fertige Programm vielfach durchgesetzt in diesem Teil der Welt: Es erleichtert die freie Entscheidung ungemein.

     

    Der Glaube an die segensreiche Wirkung des Karnevals hingegen schien zuletzt ein wenig abzunehmen unter den Europäern. Was sich jedoch gerade wieder ändert, wie es scheint. Das Reizvolle ist schließlich häufig nur so lange reizvoll, wie es nicht Allgemeingut ist. Dann wird es eine Weile langweilig. Bis irgendjemand es erneut "entdeckt" und einen Trend daraus kreiert – oder recycelt, je nachdem. Wer davon leben kann, dass er so etwas tut, darf sich mit der Bezeichnung Profi schmücken.

     

    Der Profi-Brasilianer also bildet sich was darauf ein, dass er das Chaos halbwegs gut ertragen kann. Der Profi-Europäer hält sich darauf was zugute, dass er das Chaos angeblich beherrscht. Am deutschen Wesen sollte mal die Welt genesen. Vielleicht sind nun zur Abwechslung ja infach mal "die Brasilianer" dran. Vielleicht ist das ja auch ein Trost, wenn man zwei Tage anreist in nem Bu, um nachher festzustellen, dass man seinen Platz nicht finden kann: Man ist "den Europäern" (schon historisch) überlegen. Vor allem in der Leidensfähigkeit.