Beliebtheit von ÖVP und FPÖ: Eine schrecklich nette Familie
Trotz aller Skandale ist die Beliebtheit von ÖVP und FPÖ ungebrochen. Mit Fakten kann man das nicht erklären, nur mit Religion und Emotion.
Dabei hätte man zuletzt viele Gründe nennen können, wieso die FPÖ von den Wählerinnen und Wählern abgestraft werden sollte. Aber auch viele Gründe, wieso ÖVP-Chef Sebastian Kurz, der die FPÖ in die Regierung geholt hatte und bis vor Kurzem das Land regierte, einen Dämpfer verdient hätte.
Ibizagate. Schreddergate. ÖVP-Leaks. Strachegate. Seit Mai hat die politische Skandalgeschichte der Alpenrepublik viele neue Schlagwörter dazubekommen. Da war zuerst vergangenen Mai jenes heimlich gefilmte Video, auf dem der damalige FPÖ-Parteichef Strache auf der Partyinsel Ibiza zu sehen war, wie er einer vermeintlichen russischen Oligarchennichte Staatsaufträge verspricht.
Sie sollte dafür Anteile der Kronen Zeitung, der auflagenstärksten Boulevardzeitung, kaufen, unliebsame Journalisten zack, zack, zack gegen FPÖ-Parteigänger austauschen und Straches FPÖ so zur stärksten politischen Kraft im Land hochschreiben.
An Kurz perlt alles ab
Am Tag nach der Veröffentlichung des Videos trat Strache zurück. Seine Fans nahmen ihm die Ibiza-Affäre kaum übel, ganz im Gegenteil. Obwohl er nur weit hinten auf dem Wahlzettel stand, wurde Strache bei der EU-Wahl eine Woche später mit 40.000 Vorzugsstimmen belohnt.
Genauso wenig nahmen die Sebastian-Kurz-Anhänger es ihrem konservativen Parteichef krumm, dass dessen Leute heimlich in einer Nacht-und-Nebel-Aktion im Bundeskanzleramt Festplatten ausbauten und zerstörten.
Der Social-Media-Beauftragte von Kurz trug die fünf Festplatten persönlich zu einem professionellen Aktenvernichtungsunternehmen, gab dort einen falschen Namen an, bestand darauf, die Festplatten selbst in die Schreddermaschine zu werfen, und trug die Elektrokrümel in einem Karton davon. Weil er allerdings die Rechnung nicht überwies, kam die Geschichte an die Öffentlichkeit.
Aber auch das perlte an Sebastian Kurz ab. Wie auch Recherchen der Wochenzeitung Falter, wonach die ÖVP in ihrer internen Buchhaltung zwei Listen mit Wahlkampfkosten führte. Zum einen eine offizielle, auf der die in Österreich gesetzlich vorgeschriebene Grenze von 7 Millionen Euro pro Partei eingehalten wird. Und eine zweite inoffizielle Liste, auf der die Konservativen mit viel höheren Wahlkampfkosten rechnen als vom Gesetzgeber erlaubt.
Das war auch 2017 so. Damals versprach die ÖVP bis zum Schluss, nicht mehr als 7 Millionen auszugeben – doch nach der Wahl stellte sich heraus, dass es mehr als 13 Millionen waren.
10.000 Euro Spesengeld pro Monat
Und es gab noch viel mehr Skandalträchtiges. Spenden von Milliardären an die ÖVP wurden in so kleine Summen gestückelt, dass sie am Rechnungshof vorbei in die Parteikasse flossen. Der Ex-Kanzler, der stets betonte, nicht abgehoben zu sein und nur Economy zu fliegen, buchte für einen Flug nach Rom einen Privatjet – um beim Rückflug Bilder von sich aus der Holzklasse in den sozialen Medien zu posten. Seine Frisur kostet die Partei regelmäßig 600 Euro. All das scheint, sofern die Umfragen für Sonntag stimmen, den Erfolg von Kurz nicht zu verhindern.
Über die FPÖ wurde nun wiederum bekannt, dass Ex-Parteichef Strache neben 19.000 Euro Vizekanzlergehalt von seiner Partei noch 10.000 Euro Spesengeld pro Monat zur Verfügung gestellt bekam, dass die FPÖ ihm 2.500 Euro Miete für seine Privatwohnung bezahlte und Straches Ehefrau zusätzlich ein wohldotiertes Gehalt als „Social-Media-Beauftragte“ ihres Mannes kassierte. Vergangenen Donnerstag gab die Staatsanwaltschaft Wien bekannt, dass sie wegen Verdachts auf Untreue Ermittlungen gegen Strache eingeleitet hat.
Doch die FPÖ-Anhänger scheinen vieles, wenn nicht alles zu verzeihen. „Wie groß muss die Angst vor Ihnen sein. Immer vor den Wahlen wird alles aufgedeckt. Was soll ich dazu noch sagen? Nur, jetzt erst recht?“, postete eine Facebook-Userin, nachdem die fetten Geldgeschenke der FPÖ an Strache öffentlich geworden waren – und schickte dem Ex-FPÖ-Chef ein virtuelles Herzerl.
So viel Zuspruch trotz so vieler Skandale lässt sich mit Fakten und Ratio nicht erklären. Da muss schon die John-Otti-Band herhalten. „Sing i dieses Liad, hob i Tränen in meim Gsicht, es san Tränen voller Stolz und ich schäm mich ihrer nicht“, singt die FPÖ-Band in ihrem Patriotenschlager „Immer wieder Österreich“.
Es ist ein Lied darüber, wie sich die Menschen für „ihr“ Österreich aufopfern, wie ihnen die Tränen kommen, wenn sie an ihr heiliges Land denken, wo es keine Rolle spiele, ob man arm ist oder reich, „die Hauptsach is, in deinem Herz schlogt unsa Österreich“.
Blühender Rechtspopulismus seit Jahrzehnten
Und dann sprühen die Partyfunken und dann schaukelt der ganze Saal mit rot-weiß-roten Fahnen, dann ist sie perfekt, die kollektive Polit-Ekstase. Hier hat man sich lieb. Hier hält man zusammen, und zwar gegen die da draußen, die einem nur Böses wollen. Politik ist in Österreich nicht mehr Zahlen, Daten, Fakten, kein Diskurs im Sinne von Rede und Gegenrede, keine Auseinandersetzung um das beste Argument.
In einem Land, in dem der Rechtspopulismus bereits seit Jahrzehnten blüht, wurde das populistische Wir gegen die Anderen zu etwas Religiösem, fast Sektenhaften. Waren es früher vor allem die Rechtspopulisten, die ihre Anhänger auf den Messias Strache einschworen, so sind es heute auch die Konservativen, die einen richtigen Kult um ihren Parteichef zelebrieren.
Chefreporterin der österreichischen Wochenzeitung Falter und beschäftigt sich seit zwei Jahrzehnten mit der extremen Rechten in Österreich und Europa. Zuletzt erschien von ihr gemeinsam mit taz-AutorInnen das Buch „Angriff auf Europa. Die Internationale des Rechtspopulismus“ (Ch. Links Verlag).
ÖVP-Chef Kurz hat – noch – keine Band. Und kein eigenes Lied. Aber auch er hat seine ÖVP-Familie aufgebaut. Auch bei den Konservativen heißt es heute: „Wir gehören zusammen, hier ist keiner allein.“ Die Partei hat auf YouTube Tutorials für die Jungen, wie sie schöne Kurz-Armbänder in der ÖVP-Farbe Türkis flechten können.
Als in Wien der Neustädter Kirchtag stattfand, eine Art Jahrmarkt der oberen Zehntausend, luden die Konservativen zur Dirndl-Verschönerungsaktion. Da rief die Partei ihre Anhänger auf, in zünftiger Tracht zu erscheinen und sich auf diese vor Ort von einer Modedesignerin „türkise Highlights“ nähen zu lassen. „Pimp up your Tracht“, lautete das Motto. Sogar bei einem evangelikalen Großevent in einer der größten Veranstaltungshallen von Wien trat Kurz auf, ließ sich auf der Bühne von einem US-Prediger segnen und die Menge für ihn beten.
Ist Strache der schlimme Lausbub der Familie, dem die Ohren langgezogen werden, bevor er wieder am Familientisch Platz nehmen darf, so brilliert Kurz in der Rolle des sympathischen Schwiegersohns der Republik, der die Werte des Landes vor den Bösen da draußen rettet.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer Samstag am Kiosk, im eKiosk, im praktischen Wochenendabo und rund um die Uhr bei Facebook und Twitter.
Wie passend da jenes Zitat von Kurz’ Fraktionschef im Parlament, August Wöginger, im Wahlkampf: „Es kann ja nicht sein, dass unsere Kinder nach Wean fahren und als Grüne zurückkommen.“ Die Konservativen retten das Land vor dem urbanen Sündenpfuhl Wien, denn, wie Wöginger erklärte: „Wer in unserem Hause schlaft und isst, hat auch die Volkspartei zu wählen.“
Dass diese simplen Botschaften funktionieren liegt an einem Wahlkampf, in dem Inhalte kaum eine Rolle spielen. Es ist eine durch und durch simple Erzählung, die uns in diesem Wahlkampf begleitet: Zwei erfolgreiche Parteien, von bösen Mächten durch ein Ibiza-Video auseinandergerissen, kämpfen nun darum, das Haus Österreich wieder in Ordnung zu bringen. Denn: „Wir sind eine große Familie, wir gehören zusammen, hier ist keiner allein.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Haftbefehl gegen Benjamin Netanjahu
Er wird nicht mehr kommen
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?