Belarussischer Musiker über Proteste: „Wir werden gewinnen“

Der belarussische Musiker Igor Bancer kommt in den nächsten Tagen für acht Monate in eine Strafkolonie. Ein Gespräch darüber und zur Stimmung in seinem Land.

Der belarussische Punk-Musiker Igor Bancer mit Sonnenbrille, schwarzem Hut und Tattoos am Hals

Der belarussische Punk-Musiker Igor Bancer Foto: audiolith

taz: Igor Bancer, wie erleben Sie die Stimmung in Belarus, seit der regimekritische Journalist und Blogger Roman Protassewitsch und seine russische Freundin Sofia Sapega nach der Zwangslandung einer Ryanair-Maschine auf dem Weg von Athen nach Vilnius entführt und in Minsk festgenommen wurden?

Igor Bancer: Die Stimmung in der belarussischen Gesellschaft ändert sich von Tag zu Tag, sie verdüstert sich. Das, was mit dem Ryanair-Flug im weißrussischen Luftraum passiert ist, kann als „Akt des Staatsterrorismus“ bezeichnet werden und niemand – buchstäblich niemand – hätte erwartet, was mit Roman Protassewitsch und Sofia Sapega passiert ist.

Dennoch bin ich weit davon entfernt zu sagen, dass die belarussische Gesellschaft über die Entführung des Jets schockiert ist. Nach der unerwartet harten Welle des Staatsterrors gegen die friedlichen Demonstrationen im letzten Jahr und den unverhältnismäßig strengen Urteilen in sämtlichen politischen Fällen rechnet je­de*r in Belarus mit den grausamsten Strafen für die kleinsten „Delikte“. Das können drakonische Strafen wegen emotionaler Kommentare im Netz sein oder das Tragen von weißen Socken mit roten Streifen – die Farben der Opposition. Die politische Lage im Land bewegt sich aufgrund von innen- und außenpolitischen Entscheidungen Lukaschenkos stärker in die falsche Richtung.

Wir steuern auf ein faschistisches Regime und einen Polizeistaat zu, alle sehen es kommen, selbst Unterstützter*in­nen von Lukaschenko. Anspannung und Phobie – das sind zwei wichtige Worte, um die Stimmung in Belarus momentan zu beschreiben.

ist als Sänger der Streetpunkband Mister X Teil der subkulturellen Szene in Grodno/Belarus und Aktivist. Er saß mehr als fünf Monate wegen „Rowdytums“ im Knast. Grund die Untersuchungshaft war Nackttanzen vor einem Polizeiauto. Nach einem Hungerstreik ist Bancer am 18. März 2021 zu 1,5 Jahren Strafarbeit verurteilt worden. Unter Auflagen ist er momentan frei, wann er seine Strafe antreten muss, ist ungewiss.

Nach der Entführung haben EU und USA als Reaktion Sanktionen angekündigt, trotz des versprochenen Kredits von Russland ist kein Wirtschaftsaufschwung in Sicht. Eine Chance, Lukaschenko zu stürzen, oder Narrenfreiheit für jemanden, der nichts mehr zu verlieren hat?

Karl Marx sagte, dass die Basis die Wirtschaft ist und die Basis bestimmt, wie eine Gesellschaft aussehen wird. Jetzt befindet sich die belarussische Wirtschaft aufgrund der Sanktionen und der politischen Isolation des Lukaschenko-Regimes in einem wirklich schlechten Zustand. Viele belarussische Ökonomen sagen voraus, dass das Regime aufgrund der wirtschaftlichen Lage in Kürze zusammenbrechen wird.

Aber im Moment sehe ich darin keine Chance, Lukaschenko zu stürzen, weil er von Russland unterstützt wird – mehr oder weniger offen. Lukaschenko ist jetzt zwar ein Symbol für den Hass auf den belarussischen Staat, und obwohl Europa und USA versuchen, ihr Bestes zu tun, um die belarussische Zivilgesellschaft zu unterstützen, ist Putins Russland aus vielen Gründen daran interessiert, Lukaschenko an der Macht zu halten. Selbst wenn Lukaschenko zurücktreten und die politische Bühne verlassen wird, glaube ich nicht, dass wir uns auf politischer und vor allem wirtschaftlicher Ebene dem russischen Einfluss entziehen können.

Belarus ist in allen Bereichen abhängig von Russland. Der Abgang von Lukaschenko kann für unsere Gesellschaft noch nichts bedeuten, wir brauchen tiefgreifende Reformen. Und ich sehe mit einem Abgang Lukaschenkos noch keinen ersten Schritt dahingehend und bleibe daher pessimistisch …

Das ist verständlich. 15 Jour­na­lis­t*in­nen der unabhängigen belarussischen Nachrichtenagentur tut.by und zuletzt der Chefredakteur der Zeitung „Hrodna.life“, Aliaksei Shota, wurden verhaftet wegenExtremismus“, ein gern verwendeter Vorwurf des Regimes. Wie lässt sich gegen so eine Behauptung ankommen …?

Einige der tut.by-Journalist*innen sind wieder frei, manche von ihnen, darunter auch Chefredakteurin Marina Zolotova, sitzt noch im Gefängnis. Mein Freund Aliaksei Shota wurde im Zuge der großen Solidaritätswelle freigelassen, aber auch er ist nicht optimistisch. Shota weiß, dass es bis zur nächsten Festnahme nicht lange dauern wird. Die Regierung will all diesen unabhängigen Jour­na­lis­t*in­nen zu verstehen geben, dass für sie keine andere Möglichkeit mehr bleibt, als das Land zu verlassen – wie es bereits in den letzten Monaten viele Jour­na­lis­t*in­nen gemacht haben, die emigriert sind. Andernfalls werden die Behörden früher oder später einen Weg finden, sie für das zu verhaften, was sie tun: Die Wahrheit zu sagen.

Was empfinden Sie dabei, wenn Menschen sich für die Freiheit einsetzen?

Das macht mich stolz, dass ich viele mutige Be­la­rus­s:In­nen Freunde nennen kann. Sie haben das Land nicht verlassen und sind bereit, für ihre berufliche Pflicht sogar ins Gefängnis zu gehen. Wir merken immer wieder: Gemeinsam halten wir leichter durch und Solidarität – auch aus anderen Ländern – ist und bleibt die stärkste Waffe in der dunkelsten Zeit der belarussischen Geschichte. Wir haben keine Angst, für das, was wir tun, bestraft zu werden, denn wir sind sicher, dass wir die Wahrheit auf unserer Seite haben. Eines Tages werden wir gewinnen, auch wenn es uns viele Anstrengungen, verlorene Gesundheit, Inhaftierung kosten wird …

… auch Lukaschenko bleibt hart. Den demokratischen Aktivisten Witold Aschurok ließ er verhaften, er starb nach fünf Monaten in der Strafkolonie. Auch Sie müssen demnächst die Strafe in einer solchen Kolonie antreten, was wird Sie erwarten?

Auch der 18-jährige Dmitry Stakhovsky wurde verhaftet und hat sich am 26. Mai das Leben genommen, weil er den moralischen Druck der Sicherheitsbehörden nicht mehr ertragen konnte. Gegen ihn wurde wegen der Teilnahme an regierungsfeindlichen Protesten ermittelt. Auch der Fall von Witold Aschurok zeigt uns, dass sich der Staat überhaupt nicht um seine eigenen Bür­ge­r*in­nen kümmert. Ich erwarte Attacken gegen mich, weil ich in einige Anti-Lukaschenko-Aktionen verwickelt bin und damit die Strafkolonien zu einem regulären Gefängnis mache. Bis dahin warte ich auf einen Anruf der Strafabteilung des Innenministeriums mit der Information, wie schnell ich Grodno verlassen muss und wohin sie mich für meine Strafe schicken werden. Es ist eine stressige Situation: Sitzen und darauf warten, was als Nächstes passiert, so stressig …

Sie werden im Ungewissen gelassen?

Am Montag habe ich einen Brief vom Bezirksgericht Grodno erhalten, in dem geschrieben steht, dass ich nicht für die volle, angesetzte Zeit, sondern für acht Monate in die Strafkolonie muss. Im belarussischen Gesetz wird ein Tag in Untersuchungshaft mit zwei in der Kolonie gleichgesetzt. Das ist also die gute Nachricht, denke ich. Ich versuche, nicht an die Strafkolonie zu denken, denn es gibt noch viel zu tun, solange ich frei bin.

Wie erleben Sie Ihre Zeit bis dahin?

Ich fühle mich versklavt. Aber ich versuche, meine PMA (Positive Mental Attitude) beizubehalten und so normal wie möglich weiterzuleben. Ich bin noch auf vielen Ebenen aktiv, unterstütze linke Initiativen. Versuche nicht aufzugeben, auch wenn es ab und zu unfassbar schwer ist, aus dem Bett zu kommen und auf die Straße zu gehen, denn ich weiß, was in meinem Land passiert ist und die Zukunft sieht aus wie „No Future“…

Würden Sie es alles noch mal so machen?

Ohne Zweifel: Tausendundeinmal mehr. Das belarussische Volk verdient es, in einem freien Land zu leben und Teil der Europäischen Gemeinschaft zu sein. Wenn wir uns auf den Weg zu einem wirklich demokratischen europäischen Land machen sollten, möchte ich ein Teil dieses Weges gehen, egal, wie schwer, leidend und lang dieser Weg sein wird. Ich bin bereit, für das, was ich tue, bestraft zu werden, denn ich tue das in Übereinstimmung mit meinen Idealen.

Ich werde das Lächeln auf meinem Gesicht behalten, bis zur letzten Minute meines Lebens, weil ich weiß, dass ich das Richtige getan habe. Ich mache nichts Falsches. Indem sie aber Menschen wie mich ins Gefängnisse stecken, werden Lukaschenko und seine Leute irgendwann ins Nirgendwo gelangen. Ich möchte Zeuge des Endes des Regimes sein. Und ich werde mein Bestes tun, um das Ende von Lukaschenkos Regierungszeit zu beschleunigen.

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Mehr Geschichten über das Leben in Belarus: In der Kolumne „Notizen aus Belarus“ berichten Janka Belarus und Olga Deksnis über stürmische Zeiten – auf Deutsch und auf Russisch.

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