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Belarus und EU-AußengrenzeAn die Grenze gedrängt

Laut Polen werden Geflüchtete von Belarus bewusst an die Grenze gebracht. So soll die Lage pünktlich zur EU-Debatte eskalieren.

Tausende Mi­gran­t:in­nen stecken an der Grenze zwischen Belarus und Polen fest Foto: Oksana Manchuk/BeITA via reuters

Kuźnica taz | Schon seit Tagen hatte das Gerücht die Runde gemacht: Am 15. November, am Montag also, würden Busse kommen, um die ausharrenden Flüchtlinge an der Grenze zu Belarus abzuholen und nach Deutschland zu bringen. Doch das einzige, was am Montag wirklich kam, waren Wasserwerfer und Soldaten. Am seit sieben Tagen geschlossenen Grenzübergang Kuźnica standen sich rund 3.500 Flüchtlinge auf der belarussischen Seite und eine Phalanx polnischer Sicherheitskräfte gegenüber – vor sich Stacheldrahtbarrieren, über sich tief fliegende Hubschrauber.

„Immer mehr Gruppen von Migranten werden von belarussischen Truppen zum Grenzübergang Kuźnica gebracht“, teilte das polnische Verteidigungsministerium mit. Polen bereite sich angesichts erwarteter Versuche von Grenzdurchbrüchen „auf jegliches Szenario“ vor. Videos nach zu urteilen, die auf der belarussischen Seite aufgenommenen wurden, bauten die Flüchtlinge Zelte auf und entzündeten Feuer, griffen aber keine polnischen Grenzschützer an.

Belarus hatte letzteres offensichtlich gezielt zu provozieren versucht, um die Situation pünktlich zur EU-Debatte über weitere Sanktionen eskalieren zu lassen. Schon seit einer Woche waren Flüchtlinge von Soldaten aus anderen Abschnitten des Grenzstreifens in die Nähe des Übergangs von Kuźnica eskortiert worden. Dort hatten sie seither in der Eiseskälte ausgeharrt.

Die Grupa Granica, die größte der Hilfsorganisationen auf polnischer Seite, veröffentlichte am Sonntag eine alarmierte Erklärung: Belarus habe Flugblätter unter den Festsitzenden verteilt, die den Menschen Hoffnungen auf den Weitertransport in westeuropäische Länder weckten. „Zudem erhalten wir verstörende Informationen, dass Druck auf die Flüchtlinge ausgeübt wird, Gewalt gegen polnische Polizisten anzuwenden.“

Grenzzone weiter für Öffentlichkeit gesperrt

So sehr die Flüchtlingshelfer und die polnische Regierung in allen anderen Fragen auseinander liegen – diesen Punkt sahen beide Seiten ähnlich. Polens Innenministerium änderte den Text der SMS, der auf alle ausländischen Handys der Region geschickt wird: „Lassen Sie sich nicht für dumm verkaufen und unternehmen Sie keine Schritte gegen unseren Grenzschutz.“ Darunter war ein Link zur Webseite des polnischen Innenministeriums. Dort ist zu lesen, dass die Geschichte mit den Bussen eine „Lüge“ sei, um die Mi­gran­t:in­nen „zum Sturm auf die Grenze zu bewegen“. Auch das deutsche Bundesinnenministerium sah sich genötigt auf Twitter klarzustellen, dass keine Busse kommen würden.

Offenbar um die Eskalation anzufeuern, hatte die staatliche Nachrichtenagentur BelTA noch am Montagmorgen Videos verbreitet, auf denen zu sehen ist, wie Hunderte Flüchtlinge einen Zaun auf belarussischer Seite durchbrechen, um zum Grenzübergang Kuźnica vorzustoßen. Polens Regierung sprach von „belarussischen Truppen“, die sich konzentrieren würden, und einer von „Weißrussland kontrollierten Eskalation“.

Kuźnica liegt innerhalb der „Emergency Zone“ – der Zutritt für Beobachter ist verboten. Am Rande der Zone, etwa 4 Kilometer westlich des Grenzübergangs, hatten seit Sonntag Jour­na­lis­t:in­nen ausgeharrt und den regen Verkehr vom Polizei- und Militärtransportern beobachtet. Was innerhalb der Roten Zone passiert, das erfährt die Öffentlichkeit weiterhin nur aus Textnachrichten der Geflüchteten oder vom polnischen Staat. Da hilft, dass immerhin die belarussische Seite seit einigen Tagen internationaler Presse Zugang zu der Region gewährt.

Deutlich ereignisloser als jene der ausgesperrten Jour­na­lis­t:in­nen sind indes die Tage der Fahrer von an die 1.000 Lkws. Die stauen sich wegen der Schließung von Kuźnica auf mittlerweile 36 Kilometer Länge, teils in zwei Reihen, auf der Landstraße vor dem nächstgelegenen Grenzübergang Bobrowniki. Am Sonntagabend standen die Fahrer mit Warnwesten im eiskalten Nebel, um die Zeit totzuschlagen.

Mit einer solchen Wartezeit hat niemand gerechnet

Ihre Lage ist höchst prekär: „Seit drei Tagen stehe ich hier“, sagte Pawel, ein Fahrer aus der Ukraine. Zu essen kaufen könne er nur einmal am Tag etwas, am Vormittag kämen Händler mit einem Transporter. An Bushaltestellen entlang der Strecke stehen vereinzelte Dixi-Toiletten und Wasserspender, für eine solche Menge an Wartenden in keinem Fall ausreichend. Und auch ihr Diesel wird nicht ewig reichen, um die Standheizungen in Gang zu halten. Mit einer solchen Wartezeit hat hier niemand gerechnet.

Doch bis sich der Verkehr hier wieder normalisiert, wird es wohl dauern. Der polnische Grenzschutz verbreitete am Montag Luftaufnahmen von verlassenen Flüchtlingscamps in den belarussischen Wäldern. In diesen hatten die Wartenden offenbar gewohnt, bevor sie in Richtung des Grenzübergangs Kuźnica gezogen waren oder dorthin getrieben wurden. Dort sollen sich die Flüchtlinge offenbar nun erst mal einrichten.

Die Regierung gab gegenüber der Agentur AFP an, „Hilfslieferungen“ wie Zelte und Heizgeräte dorthin gebracht zu haben, „wodurch das Lager an der Grenze dauerhafter werden könnte“, so AFP. Polen wiederum warf Belarus am Montag vor, die Menschen daran zu hindern, die Grenzregion in Richtung des Landesinneren zu verlassen. Das ist allerdings schon seit August der Fall.

Lukaschenko sagte derweil am Montag, Belarus könne auch ein Angebot der Stadt München annehmen, die Flüchtlinge mit der staatlichen Airline Belavia direkt nach Deutschland zu fliegen, sollte Polen keinen „humanitären Korridor“ zur Verfügung stellen.

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4 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Lukaschenko wirft der EU vor, die Oppositionsbewegung in Belarus bewusst gefördert zu haben. Ziel sei es gewesen die Lage in Belarus zu eskalieren. Oppositionelle, wurden in diesem hybriden Krieg als Waffe eingesetzt und mit dem falschen Versprechen einer Verbesserung ihrer Lebensverhältnisse von der EU in die Falle gelockt. Lukaschenko wolle sich aber von der EU nicht erpressen lassen, und habe betont mit Härte und Konsequenz gegen die Destabilisierung durch die EU vorzugehen. "Mit Terroristen" werde nicht verhandelt. So der Machthaber.

    Kommt da jemanden was bekannt vor?

  • Es gilt, einen so großen internationalen Druck auf Weißrussland auszuüben, dass er genötigt wird, UN- und internationale Organisationen wie das Rote Kreuz und den Roten Halbmond für die in Belarus gestrandeten Menschen des Nahen Osten sowie die Errichtung von UN-Camps auf belarussischem Territorium zuzulassen. Unter internationaler Kontrolle muss dann geklärt werden, wer geordnet zurückgeführt werden kann und wer dauerhaft in einem UN-Flüchtlingslager Schutz braucht.

    Da dies aber ein hybrider Angriff auf die Stabilität von EU-Ländern und ein Beispiel einer toxischen Kooperation eines Diktators mit kriminellen Schleusermilieus darstellt, darf dies, zur Vermeidung von Folgeopfern durch weiteres Schleusen, in keinem Fall ein erfolgreicher Weg zur Einreise in die EU sein, die endlich durch eine gemeinsame europäische Asylpolitik geregelt gehört.

    Jeder Eindruck, die EU könne von jedem Despoten der Kontrolle über ihre Grenzen beraubt werden, sägt an der politischen Stabilität der EU. Frankreich wählt bald - und dort stehen zwei rechtspopulistische Kandidaten bereit, sollte der Eindruck entstehen, liberale Politiker wie Macron könnten nicht dafür sorgen, dass hier legale Kriterien zur Einwanderung politisch zuverlässig durchgesetzt werden können.

    • @Anja Böttcher:

      Das sehe ich exakt genauso. Es scheint auch beruhigenderweise gelungen zu sein auf Belarus genug Druck auszuüben, um erste Hilfsmaßnahmen zu starten.

    • @Anja Böttcher:

      Wie wäre es wenn zum Anfang das Rote Kreuz wenigstens in die Sperrzone auf polnischer/EU-Seite vorgelassen wird? Die EU kann schlecht von Belarus etwas fordern, was sie selbst nicht duldet.