piwik no script img

Belagerte syrische StadtWenn Hunger zur Waffe wird

Die Stadt Madaja an der Grenze zum Libanon ist von der Außenwelt abgeriegelt. Ihre Bewohner sind dem Hungertode nahe.

Syrische Kinder bei einer Kundgebung für Madaja vor dem UN-Sitz in Beirut. Foto: reuters

Berlin taz | „Es ist barmherziger, schnell und plötzlich unter dem Beschuss der syrischen Armee zu sterben, als den schrecklichen, langsamen Tod, dem wir jeden Tag ausgesetzt sind“, sagt Manal al-Abdullah, eine syrische Menschenrechtlerin, gegenüber der Website al-Monitor, die über den Nahen und Mittleren Osten berichtet.

„Wir sterben in diesem großen Gefängnis namens Madaja. Nach dem Scheitern des Waffenstillstandsabkommens stecken wir in einer Sachgasse. Sie haben uns nicht erlaubt, die Stadt zu verlassen oder uns mit Lebensmitteln zu versorgen. Für die Hungerkrise, unter der wir leiden, ist keine Lösung in Sicht.“

Die Stadt Madaja, die 50 Kilometer nordwestlich von Damaskus nahe der Grenze zum Libanon liegt und 40.000 Einwohner hat, war einst ein beliebtes Ausflugsziel in den Bergen. Seit Juli 2015 ist sie eine von zahlreichen belagerten Orten, umzingelt von Truppen des Regimes und Kämpfern der libanesischen Hisbollah.

Wegen der Nähe zur Hauptstadt und den Schmuggelpfaden ins Nachbarland ist die Region strategisch wichtig. Aus der Nachbarstadt Zabadani durften Ende Dezember 123 Kämpfer und Zivilisten im Rahmen eines von der UNO vermittelten Abkommens ausreisen, im Gegenzug auch Hunderte Schiiten aus zwei Dörfern in der Provinz Idlib, die von Rebellengruppen kontrolliert wird.

Bis auf das Skelett abgemagert

Die für den 28. Dezember angekündigten Hilfslieferungen für Madaja blieben jedoch aus. Daher ernährt al-Abdullah ihre Kinder auch heute noch mit Gräsern und Blättern, die in salzigem Wasser schwimmen. Mehrfach haben Einwohner der Stadt aus Hunger und Verzweiflung Ausbruchsversuche unternommen. Doch die Stadt ist mit hohen Stacheldrahtzäunen und Minen von der Außenwelt abgeriegelt. Dreißig Zivilisten kamen laut al-Monitor durch Landminen und Scharfschützen ums Leben, 15 sind bisher an Unterernährung gestorben.

Die Preise für Lebensmittel auf den Märkten von Madaja sind extrem gestiegen, nachdem skrupellose Geschäftsleute die Waren gehortet haben. Und so ernähren sich viele neben Pflanzen auch von Insekten und essen manchmal sogar Katzen. Fotos im Internet zeigen ausgemergelte alte Männer, die dem Tod nahe scheinen, und bis auf das Skelett abgemagerte Kinder.

Bittet jemanden, uns zu bombardieren, und vergesst unsNasir Ibrahim

In Madaja gibt es weder ein Krankenhaus noch eine adäquate medizinische Versorgung. Nach Angaben des Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte sind 1.200 Personen in einem kritischen Zustand. Neben der Unterernährung erschweren Kälte und Schnee die Lage der Menschen in der 1.400 Meter hoch gelegenen Stadt.

Angesichts dieser Situation rief das Oppositionsbündnis Syrische Nationale Koalition (SNC) mit Sitz in Istanbul die internationale Gemeinschaft dazu auf, „die Bevölkerung von Madaja von der lähmenden monatelangen Belagerung durch das Assad-Regime und die Milizen der Hisbollah zu befreien“.

Das Schweigen der internationalen Gemeinschaft mache diese zur Komplizin bei dem Tode von Zivilisten, hieß es in einer Erklärung von Mittwochabend. Gleichzeitig verwies der SNC auf die Resolution 2254 des UN-Sicherheitsrats, die die Aufhebung der Blockade aller belagerten Orte und Regionen fordert. „Was wir von der Welt halten?“, fragt Nasir Ibrahim, ein Aktivist aus Madaja, der seinen wirklichen Namen aus Angst um seine Familie nicht nennen möchte, in der britischen Zeitung The Independent. „Wenn ihr euch für uns nicht interessiert, helft uns bitte, wie Menschen zu sterben, nicht so. Bittet jemanden, uns zu bombardieren, und vergesst uns.“

Am Donnerstag teilte die UN-Vetretung in Damaskus mit, dass die syrische Regierung einer Hilfslieferung zugestimmt habe. Ein größerer Konvoi werde vorbereitet.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

8 Kommentare

 / 
  • Warum gab es für Berlin einst eine Luftbrücke zur Versorgung? Warum ist so etwas für die Verhungernden in Madaja nicht möglich? Die TV-Bilder zeigen höchste Alarmstufe - und wir sind nur besorgt!

     

    Wieso denken wir langfristig, wenn akuter Handlungsbedarf besteht und gucken nicht über den Tellerrand, wenn wir eine langfristige Sicht der Dinge benötigen?

    • @noevil:

      "Warum gab es für Berlin einst eine Luftbrücke zur Versorgung? Warum ist so etwas für die Verhungernden in Madaja nicht möglich?"

       

      Fehlende Flugplätze? Völlig andere Situation?

      • @warum_denkt_keiner_nach?:

        Es gibt auch Hubschrauber... und Begleitflugzeuge...

        • @noevil:

          Reichweite Hubschrauber?

          • @warum_denkt_keiner_nach?:

            Wenn es darum gehen würde, Waffen und anderes Kriegsgerät zu transportieren, spielte die Reichweite von Hubschraubern wohl keine Rolle.

             

            Das würde man hinbekommen, aber es geht hier ja "nur" um Nahrungsmittel für vom Hungertod bedrohte Menschen ... .

            • @Der Allgäuer:

              Die Reichweite spielt schon eine Rolle. Dazu kommt, dass der Ort in einem Kampfgebiet im Gebirge liegt. Die Abschussgefahr ist also groß. Da kommt man schon weiter, wenn man eine Versorgung auf dem Landweg aushandelt. Besser wäre natürlich eine Evakuierung der Zivilisten.

  • So empörend ist das Nichtstun, das einzig auf sich selbst gerichtete Ignorieren des Westens.

    Nicht die Destabilisierung, sondern die Stabilisierung des Regimes ist das Verbrechen.

    Das ist unterlassene Hilfeleistung!