Bekämpfung von Obdachlosigkeit: Klein, aber dein
Der erste „Safe Place“ von Berlin: Drei Tiny Houses stehen hinter dem Ostbahnhof. Das Modellprojekt soll Obdachlosen den Weg „zurück ins Leben“ ebnen.
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Doch aus den „Traumimmobilien“ für Aussteiger blickt man nicht aufs Meer, sondern auf Bauzäune, Frittenbuden und die Rückseite des Ostbahnhofs. Und es ist eiskalt am Donnerstagmorgen, als Berlins erster „Safe Place“ zwischen Parkplätzen, Mauern und Baucontainern vorgestellt wird. Das Wetter, findet der Sozialstadtrat von Friedrichshain-Kreuzberg Oliver Nöll (Linkspartei) vor frierenden Journalist*innen und Fotograf*innen, illustriere ganz gut, worum es bei dem Modellprojekt geht: Die „kleinen Zuhauses“ sind zunächst einmal Schutzraum für Obdachlose vor Kälte und Nässe, ein Ort, den sie abschließen, wo sie Ruhe finden und ohne Angst vor Übergriffen und Gewalt sein können. Zielgruppe sind Menschen, die die herkömmlichen Angebote wie Notübernachtungen und Kältehilfe nicht annehmen, warum auch immer.
Tiny Houses, also „winzige Häuser“, deren englischer Name auf ihre Herkunft aus den USA verweist, sieht man immer öfter in der Stadt: 61 sollen es laut Nöll sein. Doch beim „Safe Place“ kommt etwas Entscheidendes hinzu: die sozialarbeiterische Begleitung. Regelmäßig soll ein Sozialarbeiter vorbeikommen und den Bewohner:innen helfen, ihr Leben in den Griff zu bekommen, sie „ins Regelsystem der sozialen Hilfen integrieren“, wie die Fachleute sagen.
Denn das Ziel bleibe die Rückkehr in eine eigene Wohnung, betont Nöll, ebenso die zuständige Staatssekretärin für Integration, Wenke Christoph (Linkspartei). Sie sagt: „Safe Places sind kein Ersatz für eigenen Wohnraum! Sie sind eine temporäre Möglichkeit von der Straße wegzukommen.“
Ziel: Vermittlung in Wohnungen
Binnen „zwei bis zweieinhalb Jahren“, so hofft Nöll, wolle man die Bewohner:innen von hier aus in einer Wohnung unterbringen – etwa beim Projekt Housing First oder über das „geschützte Marktsegment“ der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften. Ein solch ehrgeiziges Projekt berge natürlich „die Möglichkeit des Scheiterns“ in sich, gibt er zu. Daher werde es wissenschaftlich evaluiert, bei Bedarf „nachgesteuert“. Wenn die Sache gut läuft, werde sie ausgebaut. Für Friedrichshain-Kreuzberg kann sich Nöll drei weitere Standorte vorstellen, andere Bezirke, besonders innerstädtische, „sollen mit ins Boot geholt werden“.
Die Häuschen Der Verein „Little Home“ aus Köln hat bis heute 248 „kleine Häuser“ gebaut und in ganz Deutschland aufgestellt. In Berlin haben die Bezirke FHX und Neukölln mit dem Verein Kooperationsverträge geschlossen: Sie stellen Flächen, der Verein die Bauten. Laut Vereinsgründer Sven Lüdecke kostet ein Little Home 3.200 bis 3.600 Euro Material, aufgebaut werden sie von Freiwilligen. Jedes Haus hat 3,2 Quadratmeter.
Die Betreuung Der Verein macht auch selbst „Nachhaltigkeitsarbeit“ (Lüdecke) mit den Bewohner:innen, kontrolliert also, ob sie sich an die Regeln halten. Laut Webseite haben von den betreuten Obdachlosen bislang 109 einen Job und 148 wieder festen Wohnraum gefunden. (sum)
Neukölln ist schon an Bord. Sozialstadtrat Falko Liecke (CDU) und Nöll unterzeichnen vor den Journalist*innen einen „Letter of Intent“, in dem die beiden Bezirke ein „gemeinsames Vorgehen zur Bereitstellung von mobilen Wohnboxen im öffentlichen Raum“ verabreden. Liecke möchte demnächst sechs Little Homes in der Teupitzerstraße/Ecke Kiehlufer aufstellen. An dem Standort gibt es mehrere Angebote für Wohnungslose und damit die „Anbindung an begleitende Sozialarbeit“, wie er sagt.
Die Idee von „Safe Places“ spukt schon länger durch die Köpfe Berliner Politiker*innen. Anfang 2019 hatte die damalige Sozialsenatorin Elke Breitenbach (auch Linkspartei) vorgeschlagen, staatlich organisierte Obdachlosen-Camps einzurichten. Vorbild war Seattle, wo eine „Tent City“ bis zu 100 Obdachlosen ein „Zuhause“ gab, umzäunt, mit Müllentsorgung, Sanitäranlagen. Breitenbach pries das Modell als Lösung für das „ewige“ Problem wilder Camps im öffentlichen Raum: Vermüllung und Lärm, Beschwerden von Anwohner*innen – und irgendwann Vertreibung und Räumung durch Polizei und Ordnungsämter. So wurden Safe Places Teil ihres Plans, Obdachlosigkeit bis 2030 zu beenden.
Die Schwierigkeit Orte zu finden
Die Idee stieß grundsätzlich auf viel Zustimmung – doch konkret wurde es nie, vor allem weil Orte für die „Sicheren Orte“ offenbar rar sind. In Lichtenberg war ein Safe Place auf der Wiese vor dem Ring-Center fast schon beschlossen, da lehnte die Lichtenberger Bezirksverordnetenversammlung im Sommer 2021 ab. Auch in Kreuzberg, wo Nöll schon vor seiner Wahl zum Stadtrat für Safe Places warb, suchte man lange nach einem Ort. Auf der nun gefundenen bezirkseigenen Fläche am Ostbahnhof soll irgendwann das neue Rathaus gebaut werden. Doch das Geld dafür stehe erst 2030 im Investitionsplan, erklärte Andy Hehmke, Stadtrat für Hausmeisterei. Eine Dauereinrichtung wird der erste Safe Place also nicht – zum Glück haben die kleinen Häuser Rollen.
Ohnehin ist das Modellprojekt seit Breitenbachs erster Vision deutlich geschrumpft. Maximal sechs Little Homes sollen nur noch an einem Ort stehen, erklärte Nöll – laut Expert:innen seien größere Standorte „sozialarbeiterisch nicht zu betreuen“. Zudem, so betonte Liecke, müssten die Bewohner:Innen, die von Straßensozialarbeiter:innen sorgsam ausgewählt würden, gewisse Regeln einhalten. Die Bedingungen, die laut Nöll an die Vergabe der Häuschen geknüpft sind: keine wilde Camp-Bildung, keine Gewalt, kein Drogenhandel, Nachtruhe ab 22 Uhr. Ein Bier trinken mit Freunden, einen Grill und Campingstühle aufstellen „wie auf dem Balkon“ seien aber in Ordnung, so Liecke.
Alexander Prochowski lebt bereits in einem solchen Häuschen – auf einer privaten Fläche in Buch. Im Dezember habe er Little Home Nr. 245 bezogen – der Verein nummeriert seine Bauwerke durch (siehe Kasten). „Es könnte nicht besser sein“, sagt er. Mit den fünf anderen Männern verstehe er sich gut, „es entsteht eine kleine Gemeinschaft“. Über ein Jahr lang war er obdachlos, was permanenten Stress bedeute. Nun finde er Ruhe und neue Kraft um sich „wieder zu kümmern“.
Der erste Erfolg: Ab Februar bekomme er Geld vom Jobcenter. Prochowski ist daher optimistisch: Für ihn ist Haus Nr. 245 „ein Standbein, um zurück ins Leben zu kommen“.
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