Bekämpfung patriarchaler Strukturen: Die echten Feministen
Beim „profeministischen Kongress“ in den Mehringhöfen in Berlin-Kreuzberg beschäftigen sich cis-Männer kritisch mit ihrer Männlichkeit und Profeminismus.

Beim „profeministischen Kongress“ finden von Freitag bis Sonntag in den Mehringhöfen in Kreuzberg Lesungen, Diskussionsrunden und Bildungsveranstaltungen zu Feminismus und Männlichkeit statt. Er richtet sich an alle Männer mit „antisexistischem Anspruch und all diejenigen, die mit patriarchalen Anforderungen und Praxen hadern“.
„Wir wollen cis-Männer zusammenbringen und einen Raum öffnen, um über ihre Verantwortung in antipatriarchalen Kämpfen zu sprechen, über Solidarität mit FLINTA* und ihr eigenes Bedürfnis an einer antipatriarchalen Welt“, sagt Janko Egeling, Mitorganisator des Kongresses. Viele cis-Männer würden sich für eine profeministische Praxis nicht interessieren – auch in linken Kreisen, erklärt er. Denn: „Sie profitieren vom Patriarchat.“ Privilegien abzugeben, sei entsprechend unattraktiv.
Die Organisatoren wollen dem etwas entgegensetzen – auch, weil sie überzeugt sind, dass cis-Männer selbst von einer kritischen Auseinandersetzung mit Männlichkeit profitieren. „Auch sie sind unzufrieden mit der Art, wie sie Partnerschaften oder Freundinnenschaften führen und werden von FLINTA* kritisiert für Verhaltensweisen wie Dominanz im Gespräch oder das Übergehen von Bedürfnissen“, sagt Egeling.
„Das Patriarchat lässt sich nur kollektiv überwinden“
Profeministisch bedeutet für die Veranstalter, sich mit queerfeministischer Theorie auseinanderzusetzen und sie in Handlungsweisen im Alltag zu übersetzen. „Wir wollen aus der Theorieblase herauskommen und uns praktische Ansätze überlegen“, so Egeling: Verantwortung in der Beziehungsarbeit übernehmen, das eigene Sprach- und Aufmerksamkeitsverhalten reflektieren, Care- und emotionale Arbeit leisten und Komplizenschaft in cis-Männergruppen verweigern. Auch betont er die strukturelle Dimension: „Patriarchat ist ein Herrschaftssystem. Es lässt sich nur kollektiv überwinden, allein können wir das nicht schaffen.“
In der Vorbereitungsgruppe sitzen jedoch ausschließlich weiße, cis-hetero Männer. Das sei lange diskutiert worden, sagt Egeling. „Profeministische Arbeit wird hauptsächlich von FLINTA* geleistet. Aber als Privilegienträger müssen auch wir cis-Männer Verantwortung übernehmen.“ Eine gemischtgeschlechtliche Gruppe berge die Gefahr, dass die Hauptlast wieder bei FLINTA* hängen bleibt.
„Es ist ein schwieriger Spagat: FLINTA*-Perspektiven einzubeziehen, aber sicherzugehen, dass sie nicht wieder die Aufklärungsarbeit übernehmen müssen“, sagt Egeling. Für ihn steht jedoch fest: Männerorganisierungen brauchen FLINTA*-Perspektiven und deren Korrektiv. Deshalb habe die Vorbereitungsgruppe das Konzept vorab mehrfach FLINTA* aus dem eigenen Umfeld vorgestellt, um kritische Rückmeldungen einzuholen.
Auch auf dem Podium kommen FLINTA* zu Wort: Die Geschlechter- und Sexualwissenschaftlerin Rona Torenz etwa, spricht über feministische Debatten zu einvernehmlichem Sex, Sasha Rosenstein vom Verein „Die Feministen“ über Männlichkeits- und Privilegienarbeit und Aimée Kesse über den Umgang mit sexualisierter Gewalt im Freund*innenkreis. Zudem greift der Vortrag „Migränntlichkeit“ die migrantische Perspektive auf, die in der Vorbereitungsgruppe fehlt.
Ein Kongress ist ein guter Anfang
Dass auch Männer unter patriarchalen Strukturen leiden, steht nicht im Zentrum des Kongresses. „Wir befürchten, dass ein Fokus auf die eigene Opferrolle in einen ‚Befindlichkeitskongress‘ münden könnte – wie so häufig in cis-Männergruppen“, erklärt Egeling. Ein weiteres Problem in Männergruppen: Konkurrenz. Auch auf diesem Kongress befürchten die Organisatoren, dass Diskussionsrunden nach den Vorträgen in einen „Schwanzvergleich“ ausarten könnten. Ein Talk soll dem entgegenwirken: „Konkurrenzdynamiken unter kritischen Männern“.
Und was ist mit den nicht kritischen Männern? Denen, die ihre Machtposition mit allen Mitteln verteidigen? Egeling räumt ein: „Die, die sich nicht dafür interessieren, werden wir nicht erreichen.“ Wege zu finden, nicht kritische cis-Männer für das Thema zu sensibilisieren, sei eine langfristige gesamtgesellschaftliche Aufgabe – allein könnten sie das nicht leisten.
Christoph May kennt das Problem: „Es kostet viel Energie, Männer zu so einem Event zu bewegen, auf das sie keine Lust haben“, sagt der Literaturwissenschaftler und Gründer des Instituts für Kritische Männerforschung. Doch es gebe Wege, meint er: „Die Ansprache muss viel niedrigschwelliger sein.“ Schon der Titel „profeministischer Kongress“ klinge für viele „sehr links und elitär“ und könne abschreckend wirken. „Wenn,Feminismus' im Titel steht, springt leider meistens schon die Hälfte der Männer ab“, erklärt May.
Ein Kongress sei ein guter Anfang, so der Literaturwissenschaftler, wichtiger sei es jedoch, Männer in ihrem Alltag zu erreichen: im Fußballverein, in der Kneipe um die Ecke oder über Serien wie „Adolescence“.
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