Beirat zu Istanbul-Konvention in Bremen: Betroffene reden mit
Ein Beirat soll die Umsetzung der Istanbul-Konvention, die Gewalt an Frauen verhindern will, überwachen. Die Perspektive von Betroffenen wird ergänzt.
![Blumen liegen vor einem Transparent mit der Aufschrift "Stoppt die Gewalt gegen Frauen" Blumen liegen vor einem Transparent mit der Aufschrift "Stoppt die Gewalt gegen Frauen"](https://taz.de/picture/5193544/14/215022741-1.jpeg)
Opfer – in der deutschen Übersetzung der Istanbul-Konvention findet sich das Wort 479 Mal. „Die Bedürfnisse der Opfer“, „die Rechte der Opfer“, „die Unterstützung der Opfer“ sollen im Mittelpunkt stehen, heißt es in dem Vertrag des Europarats zur „Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt“. Bremen ergänzt nun um „die Meinung der Opfer“ und „die Expertise der Opfer“: Für seinen Landesaktionsplan zur Umsetzung des Abkommens bildet das Land einen eigenen Betroffenenbeirat.
26 Frauen hatten sich auf das Ehrenamt beworben, mit ihrer persönlichen Geschichte. Zehn von ihnen hat die Senatorin für Frauen und Gesundheit, Claudia Bernhard (Linke), jetzt als Mitglieder ernannt. Ihre Namen finden sich nicht als Auflistung im Netz: Die Mitglieder müssen nicht in die Öffentlichkeit. Sogar bei der Zentralstelle für die Verwirklichung der Gleichstellung der Frau (ZGF), bei der der Beirat organisatorisch angedockt ist, sind einige Beteiligte nur mit Pseudonym bekannt. Dabei sein sollen aber laut Behörde Cis- und Trans-Frauen, Frauen aus unterschiedlichen Generationen, aus unterschiedlichen Hintergründen, die unterschiedliche Formen von Gewalt erlebt haben.
Frauen mit Kontrollfunktion
Beraten soll der Beirat vor allem zu praktischen Verbesserungen im Hilfesystem: An welcher Stelle knirscht es, wenn man Unterstützung sucht? Welche Kampagne kann tatsächlich überzeugen? Und wenn sich das Land bald an die Umsetzung macht, sollen die zehn Frauen auch eine Kontrollfunktion ausüben: Wo werden Versprechen nicht eingelöst, wo stimmt der Zeitplan nicht? „Nur wenn wir Betroffene miteinbeziehen, kann sichergestellt werden, dass wir am Ende Maßnahmen umsetzen, die tatsächlich als Unterstützung fungieren können“, twitterte die Senatorin für Gesundheit und Frauen, Claudia Bernhard (Die Linke), zur Einsetzung.
Es ist nicht das erste Mal, das die Expertise Betroffener abgefragt wird: Für Opfer sexuellen Kindesmissbrauchs gibt es auf Bundesebene bereits seit 2015 einen entsprechenden Beirat. Und die evangelische Kirche hat für die Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch ebenfalls versucht, Betroffene einzubeziehen. Doch für die Umsetzung der Istanbul-Konvention mit ihrer starken Betonung der Rolle der Opfer ist das Bremer Beispiel tatsächlich ein Pilotprojekt; der Bund fördert das Gremium deshalb finanziell.
Eine Gefahr vor allem steht durch ein schlechtes Beispiel im Raum: Der Betroffenenbeirat der evangelischen Kirche hatte sich bereits acht Monate nach Einsetzung aufgelöst, weil seine Mitglieder sich nicht ernst genommen fühlten.
Anregungen bleiben Anregungen
Tatsächlich hat auch der Beirat in Bremen keine Vetorechte: Der Landesaktionsplan wird von der Bürgerschaft beschlossen. Die Anregungen und Bemerkungen des Betroffenenbeirats sind Anregungen und Bemerkungen. Und: Um den Landesaktionsplan ernsthaft zu prägen, ist der Beirat zu spät eingesetzt worden. Am Dienstag trifft er sich das erste Mal zur inhaltlichen Debatte, am Plan wird aber schon seit einem Jahr gearbeitet, Ende 2021 soll er fertig sein.
Perfekt ist das gute Beispiel noch nicht. „Aber die Chancen, Änderungen einzubringen, sind sehr gut“, sagt Bärbel Reimann von der Gleichstellungs-Zentralstelle. Bei den grundsätzlichen Zielen ist man sich in Bremen ohnehin einig: Alle Beschlüsse zur Istanbul-Konvention wurden bisher immer einstimmig mit der Opposition gefällt. Und bei praktischen Verbesserungen, da ist sich Reimann sicher, „sind Anregungen hoch willkommen“.
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