Bedrohte Spätis in Pankow: Cornern auf der Kippe
Der Bezirk Pankow will wegen Beschwerden von Nachbar*innen gegen Sitzmöglichkeiten vor Spätis vorgehen. Die drohen mit einer Klage.
Dass es eine gemeinsame Lösung für Gewerbetreibende und Anwohnende geben soll, kann er sich nicht vorstellen: „Die wollen keine Lösung. Sonst hätten sie uns eingeladen und mit uns gesprochen.“ Das sei aber nicht passiert. „Und dann wundern sie sich über Kritik“, sagt er.
Kritik hagelt es tatsächlich reichlich, aus nahezu allen politischen Lagern. Die Jusos sehen die Späti-Kultur als „wesentlichen Bestandteil des Berliner Lebens“ in Gefahr. Die FDP verweist auf die Eigenverantwortung der Betreiber*innen, zu später Stunde die Tische abzubauen, sollte es zu laut werden. Linke und Grüne argumentierten, Spätverkäufe seien günstige Freizeitorte.
Ausgelöst hatte die Debatte Ordnungsstadträtin Manuela Anders-Granitzki (CDU), als sie Anfang Juli im BVV-Ausschuss für Mobilität und öffentliche Ordnung den Plan verkündete, gegen die Sitzmöglichkeiten vor den Pankower Spätis vorgehen zu wollen. Aus zwei Gründen: Einerseits seien vermehrt Beschwerden wegen Lärms und Wildpinkelns eingegangen. Andererseits schreibt das Mobilitätsgesetz „ausreichend Platz“ auf Gehwegen vor.
Vorstoß der Ordnungsstadträtin „überraschend und bitter“
Das von Anders-Granitzki geführte Straßen- und Grünflächenamt sei deshalb aktuell dabei, ein Sondernutzungskonzept für Ausnahmegenehmigungen zur Nutzung von Gehwegen auszuarbeiten. Eine taz-Anfrage zur Fertigstellung des Konzepts und zu Umsetzungsdetails ließ der Bezirk am Montag unbeantwortet. Auch genaue Zahlen zu eingegangenen Beschwerden teilte der Bezirk nicht mit.
Tuncer Karabulut, Berliner Späti e. V.
Für Tuncer Karabulut vom Berliner Späti e.V. kam der Vorstoß der Ordnungsstadträtin „sehr überraschend“. In den vergangenen Jahren habe der ehemalige Ordnungsstadtrat Daniel Krüger (damals parteilos, jetzt AfD) den Spätibesitzer*innen das Leben schwer gemacht. „Jetzt haben wir gedacht, dass es besser wird, aber ist genauso schlimm“, sagt Karabulut der taz.
Bereits seit zwei Wochen sei das Ordnungsamt schon im Bezirk unterwegs und erteile den Spätverkäufen Verbote für die Außenbestuhlung. „Wirtschaftlich ist das sehr bitter“, sagt er. „Durch die Pandemie sind eh schon viele Spätis kaputtgegangen, und jetzt gibt es dieses neue Risiko.“
Spätiverband droht mit Klage
Besonders problematisch ist für ihn das „Allgemeinverbot“, das im Raum stehe, sagt er. Natürlich gebe es Betreiber*innen, die sich nicht an die Regeln halten. Aber es gebe eben auch viele, „die wollen ihre Nachbarn nicht stören, sorgen für Ruhe und dafür, dass Kunden auch die Toiletten benutzen können“.
So auch er selbst: „Ich bin jetzt seit sechs Jahren hier in der Danziger Straße. Es gab nie Beschwerden von meinen Nachbarn. Im Gegenteil, viele kommen regelmäßig zu mir.“ Auch sein Verein setze sich für ein Miteinander zwischen Spätverkäufen und der Nachbarschaft ein. Für Karabulut ist deshalb klar, dass es eine gemeinsame Lösungssuche braucht statt des allgemeinen Verbots.
Als Beispiel für individuelle Regelungen könnte Reinickendorf dienen. Wie aus einer RBB-Recherche hervorgeht, werden dort Sondergenehmigungen für Spätverkäufe individuell geprüft, sollten sich Beschwerden häufen.
Sollte sich in Pankow keine einvernehmliche Lösung finden lassen, und das Verbot weiter wie geplant umgesetzt werden, wollen Karabulut und der Späti e.V. juristisch dagegen vorgehen. „Wir sind bereits mit unseren Anwälten im Gespräch“, sagt er.
Viel Unterstützung auch aus der Nachbarschaft
Die Spätis können dabei neben der Unterstützung aus der Politik auch auf die der Nachbarschaft hoffen. Eine Petition gegen das Vorhaben der Ordnungsstadträtin unterschrieben bis Montagnachmittag bereits über 3.000 Menschen. „Spätis sind Subkultur“, sagt ein Künstler, der sich Starfeitel nennt und vor einem Späti an der Pappelallee sitzt, zur taz. Für ihn gehören sie zu Berlin und sind wichtig für das soziale Gefüge: „Die Spätis sind Nachbarschaftstreffs. Lkw-Fahrer, Tischler, Tontechniker, Versicherungsangestellte. Alle kommen hierher, setzen sich hin und tauschen sich aus.“
Die Argumente gegen die Bestuhlung der Spätis kann der junge Mann nicht nachvollziehen. Er setzt auf die Eigenverantwortung der Besucher*innen: „Wenn hier Jugendliche mit Musikboxen laut sind, dann sagen wir ihnen, dass sie runterdrehen sollen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Christian Lindner
Die libertären Posterboys
Außenministerin zu Besuch in China
Auf unmöglicher Mission in Peking
Olaf Scholz’ erfolglose Ukrainepolitik
Friedenskanzler? Wäre schön gewesen!
Rücktrittsforderungen gegen Lindner
Der FDP-Chef wünscht sich Disruption
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht