piwik no script img

Bedingungen für ÄrztInnen in HessenMehr als bloß Applaus

Hessens UniklinikärztInnen fordern bessere Arbeitsbedingungen. Die Landesregierung lehnt das ab und verweist auf die Coronakrise.

MitarbeiterInnen des Uniklinikums Gießen Marburg Foto: Frank Rumpenhorst/dpa

Frankfurt taz | Die ÄrztInnen an den hessischen Universitätskliniken sind sauer. Das Land nutze die Coronakrise aus, weil zur Zeit ein Streik nicht in Frage kommt, schreiben sie in einem Brief an Ministerpräsident Volker Bouffier, CDU. In dem Brandbrief, den inzwischen mehr als 1000 Ärztinnen unterschrieben haben, fordern sie die Übernahme des Tarifvertrags, den die Tarifgemeinschaft der Länder und der Marburger Bund Anfang März für bundesweit 23 Unikliniken abgeschlossenen haben.

„Während mittlerweile alle anderen Universitätsklinika auf einen fairen Kompromiss zurückblicken, lässt man uns in Frankfurt, Gießen und Marburg inmitten der Krise völlig im Stich“, heißt es in dem Brief, der mit einem Appell an Bouffier endet: „Lassen Sie Ihren anerkennenden Worten für unsere Arbeit Taten folgen!“

Der Tarifvertrag für die 2200 ÄrztInnen an den Unikliniken in Gießen, Marburg und Frankfurt ist im September letzten Jahres ausgelaufen. Aus der Tarifgemeinschaft der Länder ist Hessen ausgeschieden.

Das Land geht bei den Tarifen einen Sonderweg, weil die Unikliniken in Gießen und Marburg 2006 an einen privaten Betreiber verkauft wurden. Mit am Verhandlungstisch sitzt in Hessen deshalb mit der Rhönklinikum AG ein privates Unternehmen. Die MedizinerInnen, die in Marburg und Gießen in Lehre und Forschung arbeiten, sind nach wie vor Landesbedienstete. Für die übrigen Beschäftigten dort ist aber der private Betreiber zuständig.

Es geht vorallem um die Arbeitszeit

Die Tarifgemeinschaft der Länder – ohne Hessen – hat im März mit dem Marburger Bund einen Kompromiss geschlossen. Für bundesweit 23 Kliniken außerhalb Hessens gilt: Die Gehälter steigen in drei Schritten innerhalb von 33 Monaten um insgesamt 6,5%. Wichtiger für die Ärztegewerkschaft waren Zugeständnisse bei der Arbeitszeit. Künftig werden in diesen Unikliniken auch die Arbeitszeiten der Ärzte dokumentiert; es sollen mindestens jeweils zwei Wochenenden im Monat arbeitsfrei bleiben und für die Nachtdienste wurde eine Obergrenze festgelegt.

Die Ärztinnen an den hessischen Unikliniken fordern nun die Übernahme dieser Regelungen. Das Land hat in den Verhandlungsrunden aber bisher lediglich beim Gehalt ein Angebot gemacht. Für die Zeit von Oktober bis Ende 2020 sollen in einer „Zwischenlösung“ die Gehälter um 2,5 % steigen. Außerdem verspricht das Land seinen ÄrztInnen, wie allen anderen Landesbediensteten, ein Ticket für den ÖPNV. „Das Land wollte sich aus dem Kompromiss etwas für die Ärzte negatives herausschneiden, über die Fragen der Arbeitszeit aber erst in 2021 verhandeln,“ beklagt der Geschäftsführer der hessischen Ärztegewerkschaft MB, Andreas Wagner.

Die taz trifft in einer Videokonferenz drei von denen, die den Brief unterzeichnet haben. Sie stellen sich als „Dr. Schmidt, Müller und Schneider“ vor. „Ärzte in Unikliniken sind extrem vom Wohlwollen ihrer Chefs abhängig“, sagt einer. „Wer in Ungnade fällt, hat Mühe, seinen Pflichtkatalog für die Facharztausbildung zu erfüllen“, sagt sein Kollege. „Wir alle haben befristete Verträge, die kann die Klinik ohne Begründung auslaufen lassen,“ ergänzt die Assistenzärztin in der Runde. Deshalb bleiben sie anonym.

Gerade die Arbeitszeitregelungen, sind ihnen wichtig. Alle drei haben vor zwei Wochen das letzte freie Wochenende gehabt. „Es wird das einzige im Monat April bleiben,“ sagt einer der Ärzte. Die Assistenzärztin in der Runde berichtet über ihren Arbeitstag. „Es war viel los, wegen der vielen Corona-Patienten.“ Sie trägt noch ihre grüne Dienstkleidung und ihren Mundschutz. Seit mehr als 12 Stunden ist sie im Dienst.

ÄrztInnen drohen mit Verhandlungscut

Ihr Kollege, der in der Tarifkommission der Ärztegewerkschaft mitarbeitet, verweist auf seinen aktuellen Dienstplan. „An vier Tagen der Woche 24 Stunden, an den übrigen theoretisch acht oder neun, im Zweifel eher 12 Stunden.“ Mit der Zeiterfassung, den die Tarifgemeinschaft der Länder in dem neuen Tarifvertrag erstmals zugestanden hat, werde endlich die tatsächliche Dienstzeit dokumentiert. Laut Marburger Bund eine „Zeitenwende“. „Noch immer kommt es jetzt vor, dass Chefs ihren MitarbeiterInnen untersagen, die Überstunden auch nur aufzuschreiben,“ sagt der Arzt.

Zu der Forderung, in dieser Tarifrunde über die Arbeitszeit zu verhandeln, erklärt das federführende hessische Innenministerium der taz zunächst: „Die offenen Fragen zur Dienstplangestaltung sollten nunmehr Ende 2020/Anfang 2021 weiterverhandelt werden, da eine Eilbedürftigkeit für diese Forderungen in Zeiten der Corona-Pandemie nicht gesehen wurde.“ „Eine Frechheit“, empören sich die drei betroffenen ÄrztInnen; „gerade in der Corona Krise haben die Patienten ein Recht, nicht von übermüdeten ÄrztInnen behandelt zu werden“, sagt einer von ihnen.

Auf taz-Nachfrage schiebt das Ministerium nach: „Das (hessische) Tarifwerk unterscheidet in einer Vielzahl von Regelungen grundlegend von dem Tarifvertrag der Tarifgemeinschaft deutscher Länder. Eine unterschiedslose Übernahme der generalisierenden TdL-Regelungen, auch im aktuellen Abschluss, scheidet daher aus“.

Außerdem sei diese Tarifvereinbarung „vor Ausbruch der Corona-Pandemie“ getroffen worden. „Die Regelungen zur Dienstplangestaltung, insbesondere zusätzliche freie Wochenenden und die Reduzierung der Bereitschaftsdienste, zum 1. Oktober 2020 vereinbart, bedürfen in Zeiten der Corona-Pandemie aufgrund der zu gewährleistenden Patientensicherheit einer intensiven Überprüfung“. Tatsächlich wurde die Vereinbarung von Marburger Bund und Tarifgemeinschaft der Länder ohne Hessen am 7. März geschlossen, als die Corona-Krise länst absehbar war.

Für den Verhandlungsführer des Marburger Bundes in Hessen, Geschäftsführer Wagner ist jedenfalls klar. „Wenn es in der nächsten Runde am 15. Mai zu keinem Ergebnis kommt, läuft es mindestens auf einen cut der Verhandlungen hinaus“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • 7G
    76530 (Profil gelöscht)

    Was ich hier NICHT lese, was aber öffentlich bekannt ist:

    die Anteile von Rhön AG sollen schon länger von Askepios aufgekauft worden sein. (Eine Adresse mit legendärem Ruf.)

    Für die Hauptamtlich Tätigen empfiehlt sich Recherche bei

    - hessenschau.de,



    - Angela Dorn, Die Grünen,



    - Oberhessische Presse.

    Feinarbeiten bitte selbst durchführen.

    • @76530 (Profil gelöscht):

      Moin,



      die Absicht ist bekannt. Es gibt allerdings Widerstände. Da die Sache nicht klar ist, hätte diese Info nur verwirrt. Rhönklinikum und Asklepios, für das Problem der Tarifverhandlungen macht das keinenUnterschied.



      mfG



      csl

  • "...das federführende hessische Innenministerium..."

    Diese Sesselfurzer sollten z.Z. zu ein paar 24h-Schichten in einer Klinik zwangsverpflichtet werden. Einschliesslich ihres Chefchefs Bouffier. Sie könnten etwas dabei lernen.

    Dass die nicht einmal jetzt in der Lage sind einzusehen, dass die Gesundheitsolitik der letzten Jahre ein Riesenfehler war.