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Bedingt geschützt

Nach Kriegseintritt der USA in Nahost verschärft sich die Lage auch in Israel. Schutzräume sind ungleich verteilt, besonders für Behinderte und Familien ist das ein Problem. Doch es gibt viel Solidarität

Die Menschen um einen herum, die Nachbarschaft kennenlernen, die Angst teilen: in einem Luftschutzraum in Tel Aviv Foto: Ohad Zwigenberg/ap

Aus Tel Aviv Clara Nack

Sie versuchen, die Kinder nicht zu wecken und sie vorsichtig aus ihren Betten zu heben, wenn die Alarmsirene mitten in der Nacht durch Tel Aviv schrillt. Schnell muss es trotzdem gehen. Seit Freitagnacht vor zehn Tagen ertönen in Israel jede Nacht die Warnungen: Schutz suchen vor iranischen Raketen, die das Regime in Teheran als Antwort auf die israelischen Luftangriffe schickt, die wiederum auf das Atomprogramm des Erzfeindes zielen. Nach dem militärischen Eingreifen der USA dort intensivieren sich die iranischen Angriffe auf Israel; bis Redaktionsschluss sind laut israelischen Medien mindestens 27 Menschen getötet worden und hunderte verletzt.​

Wer „Glück“ in Israel hat, taumelt noch halb schlafend nur ein paar Schritte in den Schutzraum der eigenen Wohnung oder legt sich abends direkt dort schlafen. Andere stehen in den ersten Sekunden nach einem Bombenalarm direkt senkrecht im Bett – drei Jahre verpflichtender Militärdienst hinterlassen Spuren. Yonit und Ziv bleibt keine Zeit zum Zögern: Ihr Gemeinschaftsbunker liegt im Keller des Wohnblocks in Tel Aviv, jede Sekunde zählt.

„Mein ganzer Körper fühlt sich ängstlich an. Wenn ich die Kinder im Arm halten und runterbringen muss, habe ich das Gefühl, dass meine Beine zittern“, sagt Yonit. Die Schuhe der Familie stehen griffbereit an der Tür, offen, um nur noch hineinschlüpfen zu müssen. Doch einmal, erzählt Yonit, muss ihre Tochter Lia vorher noch auf die Toilette. Das Mädchen beeilt sich, so gut sie kann. Obwohl sie ihren Kindern gegenüber Ruhe ausstrahlen will, kommt es Yonit vor wie eine Ewigkeit, bis sie, ihr Mann Ziv und die beiden Kinder endlich in den Keller rennen. „Ich habe mich furchtbar gefühlt, weil unsere Nachbarn so lange warten mussten, bevor sie die Bunkertür schließen konnten.“ Eine Tür, die im Ernstfall Leben retten kann. Nur Sekunden bevor sie im Schutzraum ankommen, hören sie einen lauten Knall – entweder hat das israelische Abwehrsystem Iron Dome die Rakete abgefangen. Oder aber sie ist ganz in der Nähe eingeschlagen.

Die israelischen Sicherheitsbehörden warnen die Bevölkerung früh und mehrstufig. Schon etwa zehn Minuten vor dem Sirenenalarm benachrichtigt eine Handy-App, dass man sich in der Nähe eines Schutzraums aufhalten soll. Nach dem Golfkrieg 1991 hat Israel entschieden, den Schutz auszubauen: Seit 1992 müssen alle Neubauten zumindest über einen Gemeinschaftsbunker im Keller verfügen. Die meisten älteren Häuser haben aber keinen Bunker. In modernen Gebäuden ist ein sogenannter Mamad, ein privater Schutzraum, in jeder Wohnung Pflicht. Verglichen mit Deutschland ist die Infrastruktur gut ausgebaut, dennoch zeigt eine Auswertung von 2020: Rund 63 Prozent der knapp drei Millionen Wohnungen in Israel verfügen über keinen eigenen Luftschutzraum. Besonders betroffen sind laut dem israelischen Bauverband die Großstädte Jerusalem, Tel Aviv und Haifa. Der staatliche Rechnungsprüfer warnte im selben Jahr, dass von den rund 9,5 Millionen Einwohnern Israels circa 2,6 Millionen keinen ausreichenden Raketenschutz haben.

Seit dem Angriff der Terrororganisation Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 und dem Beginn des Kriegs in Gaza bleibt den Menschen je nach Wohnort nur sehr wenig Zeit, um Schutz zu suchen. Kommen Raketen aus dem Gazastreifen, sind es zum Teil nur 15 bis 90 Sekunden, um sich in Sicherheit zu bringen. Weil Raketen und heutzutage auch Drohnen immer schneller in ihrer Flugbahn geworden sind, werden öffentliche Schutzräume aus den 1950er Jahren in Israel weniger wichtig. Die Dichte und Kapazität der öffentlichen Bunker, die etwa in Schulgebäuden eingerichtet sind, ist regional auch ganz unterschiedlich verteilt. Mitunter ist der nächste Schutzraum eine Minute entfernt, mitunter zehn Minuten. In Israel gibt es etwa 53.000 gemeinschaftliche öffentliche Bunker, ausgelegt für rund 3,1 Millionen Menschen. Tel Aviv hat knapp über 500 öffentliche Bunker. Ein mittelgroßer davon kann bis zu 200 Personen aufnehmen.

In Tamra, einer vorwiegend arabisch geprägten Gemeinde im Norden Israels, gibt es keine öffentlichen Bunker für die rund 38.000 Einwohner:innen. Manche haben private Mamads in ihren Wohnungen, doch selbst dieser Schutz bietet keine Garantie, wenn eine Rakete direkt einschlägt. Es gibt zwar durchaus Aufnahmen in den israelischen Medien, wo klaffende Löcher der Zerstörung in Wohnblöcken gezeigt werden. Bilder, wo einzelne Wohnungen einem Geröllfeld gleichen und die Stahlträger von der Decke hängen – das Mamad jedoch intakt geblieben ist. Und doch gibt es auch immer wieder Nachrichten über Menschen, die gestorben sind, auch wenn sie es rechtzeitig ins Mamad geschafft haben. Eine Überlebensgarantie gibt es in Israel zu Kriegszeiten gerade nicht.

Ballistische Raketen aus dem Iran erreichen Israel in sieben bis zwölf Minuten. Wenn man fit ist und rennen kann, schafft man in zwölf Minuten zwei Kilometer zu Fuß. Aber nicht alle sind so gut zu Fuß. Da ist selbst ein naher Schutzraum für manche Menschen zu weit.

„Die iranischen Raketen sind wirklich beängstigend, schwere, starke Raketen und viel mehr als früher – das ist nicht wie bei Hisbollah und Hamas“, sagt Shoshana. „Nach der Eskalation jetzt durch das Eingreifen der USA im Iran gibt es mehr tödliche Raketen, und ich bin nicht geschützt, weil der Schutzraum im Keller bei uns nicht zugänglich für mich ist.“ Die 74-Jährige wohnt mit ihrem Ehemann Avi in Ramat Gan, beide haben eine Gehbehinderung und kein eigenes Mamad. Ihre Heimat, etwa 20 Autominuten südlich von Tel Aviv, befindet sich im Zentrum des Raketenbeschusses. Mehrere Raketen dort hat der Iron Dome nicht abgefangen. Eine schlug 150 Meter von Sho­shanas Haus entfernt ein. Ihre Fenster klirrten, die ihrer Nachbarn zersprangen und Avi spürte den Aufprall durch seinen Körper wummern. „Seit 33 Jahren müssen Schutzräume eingebaut werden, unser Haus ist 35 Jahre alt“, sagt Shoshana.

Sie hört die lauten Einschläge der Raketen und manchmal, wenn sie im Bett liegt, sieht sie die Raketen auch von ihrem Fenster aus. „Ich weiß, dass sie gefährlich sind, aber ich bleibe liegen. Wenn man hilflos ist, wartet man einfach.“ Sie hat sich als Kind mit Polio angesteckt und ist vom Oberschenkel abwärts gelähmt, das Laufen fällt ihr schwer. Ihr Mann Avi sitzt durch eine neurologische Bewegungsstörung (Zerebralparese) im Rollstuhl und hört nicht gut. „Wir haben ein paar Mal versucht, in den Schutzraum im Keller zu gehen, aber es war zu viel für uns“, sagt Shoshana. Avi höre die Raketen ohnehin nicht und bleibe daher einfach im Bett liegen. Sie suche manchmal Schutz im Treppenhaus. Aber auch nur, wenn sie die Kraft dazu habe.

Es gibt viele Telefonnummern, die Shoshana anrufen könnte; die Behörden würden ihr ständig Hilfe anbieten, sagt sie, aber sie hat sich dagegen entschieden, das Angebot anzunehmen. „Ich habe das Gefühl, sie könnten mir nicht richtig helfen.“ Ein Freund ihrer Nachbarn habe ihnen sogar den Schlüssel für sein Apartment mit Mamad in Tel Aviv überlassen, aber das Ehepaar hat dankend abgelehnt. „Wir bleiben lieber zuhause, wir haben keine Angst“, antwortet sie auch auf die wiederholten Bitten ihres Sohnes, zumindest temporär an einen sicheren Ort zu ziehen.

Geborgenheit scheint dem Ehepaar wichtiger zu sein als Sicherheit. Aber vielleicht fühlen sie sich in dem Komfort ihres eigenen Zuhauses, das auf ihre Behinderungen ausgerichtet ist, auch aus anderen Gründen geborgener. Während des Sechstagekrieges 1967 überlebte Shoshana, die in den 1950er Jahren als Kleinkind mit ihrer jüdischen Familie aus Rumänien nach Israel kam, einen Raketenangriff in ihrer damaligen Wohnung in Jerusalem. „Das macht mich gleichgültig gegenüber den heutigen Raketen“, sagt sie.

In Israel haben von den rund 9,5 Millionen Einwohnern circa 2,6 Millionen keinen ausreichenden Schutz vor Raketen

Die Regierung von Premierminister Benjamin Netanyahu mache sie jedoch wütend: „Sie fangen jetzt mit dem Iran an, aber sie müssen zuerst einen Weg finden, die Geiseln zurückzubringen – jede Minute, jede Sekunde zählt.“ Während alle stolz auf „Israels mutigen Angriff“ auf den Iran seien, könne sie nur daran denken, wie furchtbar die Situation in Gaza sei. Es fällt Sho­shana schwer, die Tränen zurückzuhalten, wenn sie über das Schicksal der Geiseln spricht – „sie werden einfach vergessen. Die Eskalation des Krieges jetzt hat die Chance auf ihre Freilassung in weite Ferne gerückt.“

Israels militärischer Angriff auf den Iran hat das Land nach Monaten heftiger gesellschaftlicher Spannungen über das Vorgehen der Regierung im Gazakrieg ein Stück weit zusammengerückt. Und doch, einig ist man sich in Israel über den Krieg mit Iran keineswegs. Eine Umfrage der Hebräischen Universität Jerusalem unter rund 1.000 Israelis am vergangenen Wochenende ergab, dass rund 82 Prozent der jüdischen Israelis den Angriff auf den Iran unterstützen. Unter den arabischen Israelis beträgt die Zustimmung nur 32 Prozent.

Schon von klein auf wird israelischen Kindern anerzogen, wie wichtig die Wehrhaftigkeit des eigenen Landes angesichts der Bedrohungen von außen ist. Die Mischung aus Stolz auf das starke Militär und einer Wut auf die Regierung spaltet in Israel nicht nur Familien – sie geht oft mitten durch die Menschen selbst. „Ich mag Netanyahu nicht, aber die Entscheidung, gegen den Iran vorzugehen, und der Zeitpunkt waren richtig. In wenigen Jahren könnten sie dreimal so viele ballistische Raketen haben“, sagt Ziv, der derzeit jede Nacht mit seiner Familie in den Bunkerkeller hastet. „Ich fühle mich besser, weil ich jetzt weiß, dass sich die USA an der Sache beteiligen. Aber es ist immer noch nicht klar, ob sie sich weiterhin beteiligen werden.“ Seine Frau Yonit dagegen fühlt sich, als würde sie in ein „russisches Roulette“ geworfen: „Ich habe das Gefühl, ich kann niemandem trauen. Nicht Trump, nicht Netanyahu, und ich fühle mich deswegen nicht sicher. Ich möchte einfach nur, dass es aufhört und die Geiseln nach Hause kommen.“ Nicht so weit von ihr und Ziv entfernt, hat der Iran am Sonntagmorgen im Norden von Tel Aviv Gebäude getroffen, „es fühlt sich jetzt näher an. Ich bin es leid, mich um jeden zu sorgen, den ich kenne.“

Seit Jahren spricht die Familie über einen möglichen Umzug nach Kalifornien, um dem ständigen Konflikt in der Heimat zu entkommen. Entschieden haben sie sich noch nicht, denn hier ist zu Hause, ist alles, was sie kennen. „Überall anders wären wir Immigranten“, sagt Yonit. Neben dem inneren Konflikt lastet auch der Druck von außen schwer auf ihr: „Die Israelis wollen diesen Krieg nicht, alle wollen, dass er endet – das ist die Regierung, nicht das Volk.“

Umgeben von Fotos israelischer Geiseln, die noch in Gaza in der Gewalt der Hamas sind: ein Tel Aviver Schutzraum dieser Tage Foto: Ohad Zwigenberg/ap

Yonit und Zivs Kinder wissen mit ihren sechs und neun Jahren bereits: Bei Alarm müssen wir uns in Sicherheit bringen. „Sie verstehen schon, was los ist, aber sie fragen nicht nach Details“, sagt Ziv. „Kinder sind immuner gegen diese Situation, als wir denken.“ Vermutlich liegt das auch daran, dass ihre Eltern versuchen, trotz geschlossener Schulen bestimmte Routinen aufrechtzuerhalten – ein häuslicher Stundenplan, der Normalität schafft. „Ich denke eigentlich die ganze Zeit nur darüber nach, was ich ihnen zu essen machen könnte“, sagt Yonit, deren Mutter als Kind aus dem Iran kam. Für sie als Eltern sei es härter, denn sie hätten sich seit Tagen nicht mehr aus ihrer Nachbarschaft wegbewegt, Freunde angerufen oder die Familie gesehen. Ihre Kinder dagegen träfen Freunde im nahegelegenen Park. „Ich glaube, sie freuen sich sogar, in den Schutzraum zu gehen, denn da sind viele andere Kinder, mit denen sie spielen können“, sagt Ziv. Auch für den 41-Jährigen hat ein Gemeinschaftsbunker seine Vorteile: „Wir lernen die Community kennen und wir teilen die Angst.“

In Ramat Gan, wo Shoshana lebt, wird die Metrostation Bialik über Nacht zum Zufluchtsort. Wer keinen sicheren Ort zum Schlafen hat, rollt hier eine Matratze aus, manche schlagen Zelte auf. Kinder schauen auf ihren Tablets noch einen Film, bevor sie zwischen Betonpfeilern einschlafen. Die Szenerie erinnert an die ersten Wochen des Ukrainekriegs, denn auch dort verwandelten sich U-Bahn-Schächte in Notunterkünfte.

Weiter als 300 Meter hat sich auch Shoshana nicht mehr von ihrem Haus fortbewegt, seit die ersten iranischen Raketen kamen. Damit fällt für sie auch die wichtigste Aktivität des Tages weg: „Was mich am meisten stört, ist, dass ich nicht ins Schwimmbad gehen kann, wo ich sonst jeden Tag bin.“ Das Schwimmbad ist Teil eines behindertengerechten Centers, wo Freiwillige jetzt Brote schmieren für Menschen, die ihr Zuhause verloren haben. Shoshana hat überlegt, sich zu beteiligen, denn sie ist vor allem dort sehr gerne unter Menschen. „Ich bin aber zu dem Schluss gekommen, dass ich ihre Arbeit nur verlangsamen würde.“ Jetzt passt Shoshana tagsüber auf ihre Enkelin auf und kocht den ganzen Tag.

Die Resilienz und Hilfsbereitschaft der Menschen in Israel ist manchmal überwältigend. Gerade um materielle Dinge wird nicht lange getrauert – auch wenn es der temporäre Verlust des eigenen Zuhauses ist.

Ballistische Raketen aus dem Iran erreichen Israel in sieben bis zwölf Minuten. Da ist selbst ein Schutzraum in der Nähe für manche Menschen zu weit

Elinors und Nimrods Haus im zentralisraelischen Nordia hat kein Mamad und auch keinen Bunkerkeller. Schutz bietet dafür ein Gemeinschaftsbunker in der Nähe. Dort jede Nacht mit ihrem dreimonatigen Baby Jar hinzurennen, ist jedoch alles andere als optimal, sagt Elinor. Also machte sich das Paar ab der zweiten Nacht der Luftangriffe auf den Weg zu Elinors Eltern in Tel Aviv, die den Luxus eines Schutzraums in ihrer Wohnung haben.

„Dort waren wir aber im Zentrum des Raketenschauers!“, berichtet Elinor. „Ständig hörte man es knallen, es war total hektisch, Krieg eben.“ Wieder packen sie das Auto, voll mit Koffern, Babystuhl und Kinderwagen, fahren zurück Richtung Norden nach Nordia – in der Hoffnung, dass es dort ruhiger sein würde. Als sie ankommen, gibt es gleich den ersten Alarm, sie sprinten samt Baby im Arm in den unterirdischen Gemeinschaftsbunker. Und fahren danach erneut nach Tel Aviv. „Diese letzte Nacht war die schlimmste. Das Haus hat gewackelt und ich habe noch nie eine so starke Bombeneinwirkung gespürt“, erinnert sich Elinor. „Ich wollte sofort hier weg. Es muss doch einen sicheren Ort für uns geben.“ Sie posten ein Familienbild mit ihrem neugeborenen Jar auf Facebook und fragen nach einer Untermiete oder ob jemand Catsitter sucht.

Unwahrscheinlich ist das nicht: Schätzungen zufolge sind rund 150.000 Israelis weltweit gestrandet, seit internationale Flüge aufgrund des Luftkriegs mit dem Iran eingestellt worden sind. Viele von ihnen hatten nur einen Wochenend-Trip geplant und sitzen jetzt seit einer Woche zum Beispiel in Griechenland fest, während zu Hause die Katzen warten. So auch bei dem jungen Paar, das sich innerhalb einer Stunde nach ihrem Facebook-Post bei Elinor und Nimrod meldet, um ihre Wohnung in Or Aqiva nahe Haifa anzubieten – selbstverständlich mit einem Mamad darin. „Wir sind so dankbar und fühlen uns sicherer hier“, sagt die 35-jährige Elinor.

Zähneputzen in einem unterirdischen Parkhaus, das Schutz bietet in Tel Aviv Foto: Dima Vazinovich/afp

Was die Entscheidung der israelischen Regierung angeht, den Iran jetzt anzugreifen, fühlt Nimrod sich zwiegespalten. „Der Grund ist legitim, aber ich stehe nicht gerne auf der Seite, die angreift, sondern lieber auf der, die sich verteidigt.“ Dennoch glaubt er, dass „durch den Kriegseintritt der USA die ganze Situation schneller zu lösen sein wird.“ Er befürchtet aber eine unmittelbare Eskalation durch iranische Raketenangriffe.

Elinor ist „instinktiv“ gegen den Krieg: „Ich verstehe den Konflikt mit dem Iran nicht, warum sie uns so sehr hassen und warum es an uns liegt, ihrem Atomprogramm ein Ende zu setzen, obwohl das auch andere westliche Staaten wollen.“ Jetzt, wo sich die USA an der Operation beteiligen, „bin ich aber noch besorgter, habe mehr Angst.“

Dass die israelische Regierung mit ihrem Angriff auf den Iran von der Situation in Gaza ablenken will, darüber sind sich jedoch beide einig. „Wie sehr die israelische Regierung das Leben der Zivilbevölkerung in Gaza riskiert, um ihr Ziel zu erreichen, ist mehr als wahnsinnig“, sagt Nimrod. Das Ausmaß der Verwüstung in Gaza habe den gegenteiligen Effekt, von dem, was man jetzt im Iran erreichen wolle, sagt er. Die Palästinenser, glaubt er, wollten sich nun lieber der Hamas anschließen, als das Regime zu stürzen.

Wie lange Elinor und Nimrod mit Jar in ihrem temporären Unterschlupf noch das Futter für die Katzen verteilen werden, bevor deren Besitzer es zurück nach Israel schaffen? Völlig unklar. „Ich schätze, noch fünf Tage mindestens“, sagt Elinor. Schon mit Beginn des Gazakrieges ging die App „Safe Zone“ an den Start. Sie verbindet Menschen, die sich gerade im Ausland aufhalten, doch eine leere Wohnung in Israel besitzen, und Schutz suchende Menschen vor Ort miteinander. Denn auch Elinor und Nimrod haben Freunde, die noch bei jedem Alarm zum nächstgelegenen Hotel mit unterirdischem Bunker rennen müssen. Und deren Fensterscheiben zu Hause inzwischen zersprungen sind.

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