Bebauung des Tempelhofer Feldes: Schwarz-rote Feldversuche
Die Koalition aus CDU und SPD macht Ernst mit ihren Bebauungsplänen für den Rand des Tempelhofer Felds. Das trifft auf heftigen Widerstand.
Am Mittwoch bestätigte die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen, dass es bald Ernst werden soll mit einem internationalen städtebaulichen Wettbewerb für die Nutzung der innerstädtischen Freifläche. Man stimme dazu gerade im Senat ein Bürgerbeteiligungs-Format ab. „Im September“ erwarte sie einen konkreten Vorschlag, sagte Senatsbaudirektorin Petra Kahlfeldt (parteilos, für die SPD). Ziel sei es, in regelmäßigen Treffen den Bedarf an Wohnraum und Gewerbeflächen, aber auch an Grünflächen zu ermitteln. Dann werde man „ergebnisoffen“ darüber sprechen, „inwieweit Teile dieser Bedarfe an den Rändern des Tempelhofer Feldes sehr verträglich geplant und realisiert werden können“.
Zuerst hatte der Tagesspiegel unter Berufung auf einen Sprecher der Senatsverwaltung berichtet, dass ein „Prozessvorschlag“ für einen Ideenwettbewerb und entsprechende Beteiligungsformate entwickelt worden sei. Dem liegt ein Passus des Ende April unterzeichneten Koalitionsvertrags von Christ- und Sozialdemokrat:innen zugrunde: Man werde per Wettbewerb Ideen für eine „behutsame Randbebauung in begrenzten Teilen der Fläche“ einholen, der „weit überwiegende Teil der Freifläche“ solle aber „bei einer klimagerechten Gesamtgestaltung für Erholung, Freizeit, Sport und Kultur gesichert“ bleiben.
Das 2014 in Berlin per Volksentscheid verabschiedete „Gesetz zum Erhalt des Tempelhofer Feldes“ müsste dafür novelliert oder aufgehoben werden – derzeit schließt es, von kleineren und temporären Objekten abgesehen, jegliche Bebauung der Fläche aus. Sakrosankt ist freilich auch ein „Volksgesetz“ nicht. In der CDU liebäugelt man allerdings offiziell mit einer „Volksbefragung“, um sich bei der Bevölkerung die Legitimierung dafür zu holen.
„Nur eine Ideensammlung“
Dass die Ausschreibung eines Wettbewerbs gegen das Gesetz im aktuellen Wortlaut verstoßen könnte, sieht man im Haus von Bausenator Christian Gaebler (SPD) nicht. Zwar ist im Gesetz festgelegt, dass das Land darauf „verzichtet […] Verfügungen im Rechtssinne [vorzunehmen], die diesem Gesetz widersprechen“. Laut Sprecher Martin Pallgen handelt es sich aber lediglich um eine „Ideensammlung“. Anders sei es, wenn ein Wettbewerb mit einem „Auftragsversprechen“ zur tatsächlichen Bebauung verbunden sei – „aber das findet ja nicht statt“.
Dem Linkspartei-Abgeordneten Schenker treibt es dennoch den Puls hoch, dass die Koalition für den städtebaulichen Wettbewerb satte 1,2 Millionen Euro im aktuellen Haushaltsentwurf veranschlagt, davon 200.000 Euro für 2024, die verbleibende Million für 2025. „Die Berliner:innen dürfen sich verarscht vorkommen, wenn der Senat viel Geld für einen Wettbewerb verschleudern will, obwohl das Tempelhofer Feld gesetzlich vor einer Bebauung geschützt ist“, sagte der Linke-Abgeordnete der taz.
Zudem ändere eine Randbebauung nichts am eigentlichen Problem: „Wenn dort Wohnungen gebaut werden, wären sie teuer, extrem langwierig in der Entstehung und würden die Wohnungsnot nicht lindern.“ Das sei „Aktionismus, um von der eigenen Unfähigkeit abzulenken“. Die Freihaltung des Feldes hält Schenker auch mit Blick auf die Klimakatastrophe für nicht verhandelbar: „Wir werden entschieden dafür kämpfen, dass diese grüne Lunge für die Stadt erhalten bleibt.“
Ähnlich argumentiert Katrin Schmidberger, die Expertin für Wohnen und Mieten der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus. Schwarz-Rot trete mit dem Thema einmal mehr eine „Scheindebatte“ los und tue so, als habe Berlin ein Problem damit, Bauflächen zu finden. „Wir haben aber überhaupt kein Flächenproblem, sondern ein Umsetzungsproblem“, sagte sie zur taz. Der Senat solle erst einmal damit beginnen, „die Flächen zu bebauen, die längst da sind“. Man müsse sich nur die Nicht-Fortschritte auf dem Kreuzberger Dragoner-Areal ansehen: „Darüber reden wir seit vielen Jahren, und reden und reden – und maßgeblich vorangegangen ist immer noch nichts.“
Starkes Widerstandspotenzial
Für BUND-Geschäftsführer Tilmann Heuser geht der Senat die beim Thema Tempelhof zentrale Frage gar nicht an: Auch 14 Jahre nach Ende des Flugbetriebs fehlten ein Konzept und klare Aussagen zur Zukunft des riesigen Flughafengebäudes. „Was passiert damit?“ Der Senat täte auch gut daran, auszuwerten, „warum das Feld bei den Menschen einen so hohen Stellenwert hat und die Politik damals mit ihren Bebauungsplänen gescheitert ist“. Das Feld sei laut Heuser „fester Bestandteil des Lebens von Menschen auch außerhalb des unmittelbaren Umfelds“. Deshalb erwarte er ein starkes „Widerstandspotenzial“. Auch der BUND werde seinen Beitrag dazu leisten.
Heuser sagte der taz, dass man zusammen mit anderen Berliner Umweltverbänden ein Volksbegehren zum Erhalt von Grünflächen plane. Die Abstimmung darüber könnte parallel zur regulär 2026 anstehenden nächsten Abgeordnetenhauswahl erfolgen: „Damit der Zeitplan passt, müssen wir im nächsten Sommer anfangen, Unterschriften zu sammeln.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Haftbefehl gegen Benjamin Netanjahu
Er wird nicht mehr kommen
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?