Bearbeitungszeit von Asylanträgen: Syrer müssen wieder länger warten
Die Regierung verfehlt wohl ihr vielfach formuliertes Ziel, Asylverfahren auf drei Monate zu verkürzen. Daran ist sie selber schuld.
Ob das Ziel erreicht werde, hänge „auch von den Zugängen im Jahr 2016“ ab, heißt es vage in ihrer Antwort auf eine kleine Anfrage der Linkspartei. Man setze aber auf „eine weitere Optimierung der Prozessabläufe“ und eine „schnellstmögliche Personaleinstellung- und Qualifizierung“. Mit anderen Worten: wir sind noch lange nicht soweit.
Schuld daran ist auch Innenminister Thomas de Maizière (CDU), der Anfang November verfügte, für Flüchtlinge aus Syrien, dem Irak und Eritrea wieder zu einer Einzelfallprüfung ihrer Asylanträge mit obligatorischer mündlicher Anhörung zurückzukehren. Diese Einzelfallprüfungen waren im August 2015 ausgesetzt und durch rein schriftliche Verfahren ersetzt worden, weil Flüchtlinge aus diesen Ländern in der Regel ohnehin Asyl erhalten.
Die Rückkehr zur Einzelfallprüfung begründete de Maizière damit, das schriftliche Verfahren habe sich „als zu grobmaschig und lückenhaft erwiesen“, außerdem sei die Zahl der Flüchtlinge aus Syrien zu stark angestiegen. Über 200 000 syrische Flüchtlinge dürften von der Rückkehr zur Einzelfallprüfung betroffen sein, schätzt Pro Asyl.
Einzelfallprüfung dauert 6,8 Monate
Die Bundesregierung zeigt sich zwar zuversichtlich, dass sich ihre Verfahren nur „um die Durchführung der Anhörung verlängern“ werden. Doch für diese Annahme gibt es wenig Grund. Denn bevor die Einzelfallprüfungen ausgesetzt wurden, dauerten die Asylverfahren syrischer Flüchtlinge im Schnitt 6,8 Monate - die vereinfachten, rein schriftlichen Verfahren dagegen waren nach nur 2,3 Monaten abgeschlossen.
Durch die Rückkehr zur Einzelfallprüfung dürfte sich die Dauer der Verfahren wieder mehr als verdoppeln, fürchtet Ulla Jelpke, die flüchtlingspolitische Sprecherin der Linken-Fraktion im Bundestag. „Die Bundesregierung will uns für dumm verkaufen“, glaubt sie.
Außerdem hat die Bundesregierung beschlossen, für alle Flüchtlinge wieder zum Dublin-Verfahren zurück zu kehren. Dies würde es ihr erlauben, auch Flüchtlinge aus Syrien wieder in jene europäische Länder abzuschieben, in denen sie zuerst den Boden der EU betreten haben, also zum Beispiel nach Ungarn oder Kroatien. „Deutschland wendet das Dublin-Verfahren aktuell für alle Herkunftsländer und für alle Mitgliedstaaten (außer Griechenland) an. Das gilt auch für syrische Staatsangehörige“, stellt die Bundesregierung in ihrer Antwort vom 20. Januar 2016 klar.
Geringer Ertrag
Der Ertrag dieser aufwändigen bürokratischen Prozedur ist allerdings bescheiden: von 5307 syrischen Flüchtlingen, für die im Jahr 2014 Übernahmeersuchen an andere europäische Länder gestellt wurden, wurden nur 102 dorthin überstellt - das sind weniger als zwei Prozent. Von Januar bis November 2015 gab es bei 8 494 Übernahmeersuchen nur 167 Überstellungen.
Für Jelpke ist klar: Die Rückkehr zum Dublin-Verfahren sei eine Schikane, die zu nichts führe - „außer zur Verunsicherung der Betroffenen, zu verzögerter Integration, zu enormem bürokratischem Aufwand und zahllosen Gerichtsverfahren“. Denn zahlreiche Betroffene dürften gegen ihre drohende Abschiebung nach Ungarn oder Kroatien klagen.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Macrons Krisengipfel
Und Trump lacht sich eins
Maßnahmenkatalog vor der Bundestagswahl
Grünen-Spitze will „Bildungswende“
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
USA und Russland besetzen ihre Botschaften wieder regulär
Frieden in der Ukraine
Europa ist falsch aufgestellt
Die Neuen in der Linkspartei
Jung, links und entschlossen
Gentrifizierung in Großstädten
Meckern auf hohem Niveau