Bearbeitung von Asylanträgen in Berlin: „Ein unsägliches Papier“

SPD-Landeschef Jan Stöß geiselt die Vorschläge von Justizsenator Heilmann und Sozialsenator Czaja zum Umgang mit Flüchtlingen. Ist das schon Wahlkampf?

Junge Flüchtlinge spielen

Um ihre Zukunft geht es: Junge Flüchtlinge spielen, während sie auf einen Termin beim Lageso warten. Foto: dpa

taz: Herr Stöß, meistert der Senat die Herausforderung durch den starken Anstieg der Flüchtlingszahlen?

Jan Stöß: Man merkt, dass alle Kräfte eingespannt werden, um diese große Herausforderung anzugehen. Mit der Ernennung von Dieter Glietsch als Chef des Koordinierungsstabs des Senats sind wir da einen guten Schritt vorangekommen.

In den vergangenen Tagen sind mehrere CDU-Senatoren mit umstrittenen Vorschlägen zum Umgang mit Flüchtlingen an die Öffentlichkeit gegangen. Ist das schon Wahlkampf?

Offensichtlich. Und mich ärgert, dass einige CDU-Politiker versuchen, mit populistischen Vorschlägen Punkte zu machen. Diese Vorschläge sind weder ein Beitrag zur Lösung des Problems noch politisch und rechtlich vertretbar.

Sie spielen auf ein Papier aus dem Haus von Justizsenator Thomas Heilmann (CDU) an. Er will unter anderem die juristischen Möglichkeiten von Asylbewerbern einschränken und ihnen keine Sozialhilfe mehr zahlen, sollten sie nach Prüfung ihres Asylantrags zur Ausreise verpflichtet sein.

Die Vorschläge sind zum Teil nach dem Konsens zwischen Bund und Ländern überholt; bei diesen Verhandlungen hat das unsägliche Heilmann-Papier zum Glück keine Rolle gespielt. Der Rest ist grob verfassungswidrig.

Welche Punkte denn?

Wir brauchen zum Beispiel, anders als vom Justizsenator vorgeschlagen, keine geschlossenen Lager auf Bundeswehrübungsplätzen. Auch der Vorschlag, dass Flüchtlinge beim Verlassen dieser Lager ihr Grundrecht auf Asyl verwirken sollen, ist Unsinn, genauso wie die an diesen Standorten vorgeschlagenen Sondergerichte. All das verträgt sich nicht mit unseren rechtsstaatlichen Grundsätzen; das gilt auch für Heilmanns Idee, dass es in vielen Fällen keine Einzelfallprüfung mehr geben soll für schwer kranke Menschen, ob sie in ihrem Heimatland angemessen gesundheitlich versorgt werden können. Solche Sprüche sollen einfach nur Menschen abschrecken.

Wie kommt der für Justiz zuständige Senator zu solchen Vorschlägen?

Ich habe die Befürchtung, dass es hier mehr um PR geht als um ernsthafte Vorschläge. Aber dafür ist unsere Verfassung zu wichtig und die Aufnahme von Flüchtlingen ein zu ernstes Thema.

Ignoriert Heilmann bewusst rechtsstaatliche Grundsätze?

Es fällt jedenfalls schwer, sich dieses Eindrucks zu erwehren. Ein weiteres Beispiel: Laut dem Papier sollen „Doppelprüfungen“ verhindert werden und Flüchtlinge nur noch von der Behörde angehört werden. Das Gericht soll dann regelmäßig keine weiteren Fragen mehr stellen. Das ist eine Einschränkung der richterlichen Unabhängigkeit. Genauso wie die vorgeschlagene Einschränkung der Auswahl der Sachverständigen. Oder die Beschneidung des Rechts der Anwälte, Fragen in der mündlichen Verhandlung zu stellen. Das geht so nicht. Wir brauchen einen besonnen Umgang mit der Situation, nicht solche Schnellschüsse.

Was heißt das?

Die Senatsverwaltungen müssen sich ihren Aufgaben stellen, die Erstaufnahme organisieren und die dauerhafte Unterbringung. Sie müssen gewährleisten, dass die Verfahren korrekt ablaufen können. Da haben Innen-, Justiz- und Sozialsenator derzeit eigentlich genug zu tun. Überhaupt ist erstaunlich, dass Justizsenator Heilmann Vorschläge macht, die klar in den Bereich von Innensenator Frank Henkel fallen. Da ist wohl mal ein Machtwort von Henkel fällig.

Schafft die SPD es, das Thema Flüchtlinge aus dem Wahlkampf herauszuhalten?

Das Thema Integration von Flüchtlingen wird in der Stadt weiter eine Rolle spielen. Es ist auch unsere Aufgabe, dass wir klar machen, dass sich die nach Berlin kommenden Menschen an die Spielregeln einer offenen und toleranten Gesellschaft halten: Frauen sind gleichberechtigt, Lesben und Schwule sind selbstverständlich Teil Berlins, verschiedene Religionen existieren gleichberechtigt nebeneinander und Menschen, die an nichts glauben, sind keine Ungläubigen.

Wie wollen Sie das machen?

Die Voraussetzungen sind gut: Viele Berlinerinnen und Berliner engagieren sich. Es geht darum, Flüchtlinge nicht abzuschotten am Rand der Stadt, damit sie in Kontakt mit BerlinerInnen kommen und integriert werden können. In vergangenen Jahrzehnten wurden da viele Fehler gemacht – die werden wir nicht wiederholen.

Auch Sozialsenator Mario Czaja hat sich mit steilen Thesen nach vorne gewagt: Er will die Prüfung des Asylantrags von Flüchtlingen vom Balkan innerhalb eines Tages abhandeln.

Es ist richtig, Menschen insbesondere vom Balkan zu sagen, dass sie kaum eine Chance auf Asyl haben. Aber der Anteil der Flüchtlinge vom Westbalkan liegt derzeit unter vier Prozent. Die Bemühungen von Frank-Walter Steinmeier, in den Herkunftsländern aufzuklären, funktionieren. Man sollte deshalb keine Scheindiskussion vom Zaun brechen. Alle gemeinsam müssen sich den Herausforderungen stellen durch die vielen Flüchtlinge aus dem Irak und Syrien, die eben nicht aus sogenannten sicheren Herkunftsländern kommen.

Auch da wäre doch mal ein Machtwort von Henkel fällig, oder?

Die Bundeskanzlerin hat ja eine ganz klare Position zur Aufnahmefähigkeit und Menschlichkeit von Deutschland formuliert. Und das Land, das Heilmann in seinem Papier zeichnet, ist dann offenbar nicht das Land der Angela Merkel.

Heilmann wie Czaja gelten als Liberale in der CDU. Rückt die Union gerade nach rechts?

Ich will das nicht bewerten, wie sich die CDU gerade wahlkampftaktisch aufstellt. Sicher ist: Mit der SPD wird es eine Einschränkung des Grundrechts auf Asyl nicht geben.

Hält die rot-schwarze Koalition noch das letzte Jahr der Legislaturperiode?

Es gibt noch viel zu tun. Die Herausforderungen der wachsenden Stadt sind unverändert da. Auch der Doppelhaushalt muss noch verabschiedet werden. Wir müssen unsere Arbeit machen, das erwarten die Berlinerinnen und Berliner von uns.

Was muss die CDU dafür zu tun?

Jeder sollte sich auf das Ressort konzentrieren, wofür er verantwortlich ist – und den Bereich auch wahrnehmen. Und weniger an Wahlkampfplanung denken.

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