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Baustadtrat Schmidt unter BeschussGnadenlos ausgeschlachtet

Bert Schulz
Kommentar von Bert Schulz

Wer braucht Feinde, wenn er einen Koalitionspartner hat? Der Fall Schmidt wirft auch Schatten auf die SPD im Bezirk und im Land.

Schön in der Spur bleiben: Florian Schmidt mit Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann Foto: dpa

E s ist die schwerste politische Krise für Florian Schmidt in dieser an Streitigkeiten, Diskussionen und Kämpfen nicht gerade armen Legislaturperiode. Die SPD wirft dem grünen Baustadtrat in Friedrichshain-Kreuzberg Manipulation von Akten vor, der Regierende Bürgermeister spricht von „weitreichenden, sehr schwerwiegenden Vorwürfen“, die CDU raunt von einem Untersuchungsausschuss im Abgeordnetenhaus. Die Grünen in Bezirk und Land stehen weiterhin hinter ihm, auch wenn er Fehler gemacht habe.

Das hat Schmidt wirklich, darüber herrscht Einigkeit selbst unter seinen Parteifreunden. Formale Fehler und politische Fehler. Was ist passiert?

Die SPD-Fraktion in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) wollte in Sachen „Diese EG“ Akteneinsicht – also bei einer Genossenschaft, die im Mai von Schmidt benutzt wurde, um Häuser mittels bezirklichem Vorkaufsrecht Investoren wegzuschnappen. Doch die Fraktion erhielt nicht alle Unterlagen und wurde darüber nicht informiert. Schmidt entschuldigte sich am Montag für diese „Versäumnisse“.

Schwerer wiegt der Satz, der von der SPD kolportiert und von Schmidt nicht dementiert wird: Er habe die Akten nicht herausgerückt, weil er verhindern wollte, „dass die Inhalte von CDU und FDP instrumentalisiert“ und von einem Journalisten einer Berliner Tageszeitung für „politische Agitation“ genutzt werden.

Abgang wäre herber Verlust für die Grünen

Die interne Sitzung, in der diese Worte laut SPD-Mitteilung fielen, war vertraulich. Schmidt konnte also darauf hoffen, dass unter Koalitionspartnern – wie auf Landesebene bilden Grüne, SPD und Linke auch in Friedrichshain-Kreuzberg eine Koalition – eine Bewertung wie diese nicht öffentlich werden würde.

„An dieser Stelle können wir nicht schweigen“, schrieb jedoch die SPD mit einer Woche Verzögerung und warf Schmidt vor, sie zu „Kom­pli­z*in­nen bei der Aushöhlung demokratischer und rechtsstaatlicher Kontrollrechte“ machen zu wollen. Schmidt entschuldigte sich am Montag auch für seine Sätze. „Misslich und unangebracht“ seien seine Aussagen gewesen; die Akteneinsicht sei ein hohes Gut, fügte er hinzu, „dessen Schutz und Gewährung elementar für demokratische Kontrolle staatlichen Handelns ist“.

Dass die von Schmidt erwähnten politischen Gegner seiner Politik wütend reagieren und diese unvermittelt aufgetauchte Chance für scharfe Kritik allzu gerne aufgreifen, ist nicht verwunderlich. Schließlich ist der Baustadtrat einer der prominentesten Grünen, er steht bundesweit für unkonventionelle Politik zugunsten von Mie­te­r*in­nen.

Und er ist einer der wenigen rot-rot-grünen Po­li­ti­ke­r*in­nen, der bisher in der Wohnungspolitik sichtbare Erfolge errungen hat. Diese mögen bisweilen symbolischen Charakter haben – aber in einer Stadt, in der wegen der Wohnungsnot die Mietenpolitik alles andere überstrahlt, sind das wahlentscheidende Punkte. Das wissen auch die Grünen; für sie wäre sein Abgang ein herber Verlust.

SPD: Existenzangst schlägt Koalitionsdisziplin

Mehr als zwiespältig bleibt die Rolle der SPD. Auch für viele ihrer prominenten Po­li­ti­ke­r*in­nen ist Schmidt jemand, dem sie den Erfolg missgönnen. Das hat auch mit dem herben Bedeutungsverlust zu tun, den die SPD in Berlin generell erfährt und vor allem in ihrem einst ureigensten Beritt, der Bau- und Mietenpolitik.

Jahrzehnte lang hat sie auf Landesebene die Stadt­ent­wick­lungs­se­na­to­r*in­nen gestellt, tiefe Verbindungen zu Investoren entwickelt und unzählige Bauskandale überlebt. 2016 verlor die Partei das Amt an die Linke; darüber ist sie bis heute nicht hinweggekommen. Immer wieder versuchen offenbar enttäusche SPD-­Po­li­ti­ke­r*in­nen deshalb mittels Sticheleien, wenn sie schon nicht gestalten können, den Kurs der Koalitionsparter zu stören.

Das trifft nicht nur Schmidt auf Bezirksebene, das musste auch die Bausenatorin Katrin Lompscher (Linke) immer wieder erfahren, die ebenfalls eine deutlich andere Strategie in der Stadtentwicklung verfolgt als die Sozialdemokraten.

Dahinter steckt bei der SPD auch die Angst, bei der nächsten Wahl im Herbst kommenden Jahres nur noch unter „ferner liefen“ zu verschwinden. Bei 15 bis 16 Prozent liegt die Partei in Umfragen derzeit; gut ein Drittel der bisherigen Abgeordneten käme bei diesem Ergebnis nicht mehr ins Parlament. Diese Sorge treibt einige fleißig twitternde Parlamentarier offensichtlich mehr um als die gemeinsame Politik und die Koalitionsdisziplin.

Erst mal Deckel drauf

Der Ton in der Koalition wird also rauer – schon eineinhalb Jahre vor der nächsten Wahl zum Abgeordnetenhaus. Und absurderweise ausgerechnet in der Zeit, in der das zentrale Gesetz von Rot-Rot-Grün, der Mietendeckel, spruchreif ist und verabschiedet werden wird. Das sät weiteres Misstrauen und schwächt die Zusammenarbeit. Für die Koalitionäre heißt das, vorsichtiger zu sein. Steile Thesen, Fehler, politisch oder formal, drohen von vermeintlichen Partnern gnadenlos ausgeschlachtet zu werden.

Schmidt könnte auch diese Krise überstehen, angekratzt zwar, aber im Amt. Die Bezirks-SPD hat lediglich ein Ultimatum gestellt; die CDU-Forderung nach einem Untersuchungsausschuss darf man angesichts der bereits agierenden Ausschüsse dieser Art als Theaterdonner abtun.

Erklären muss Schmidt allerdings, wie sich sein Satz, er habe einige Akten wegen drohenden Kampagnen der CDU, FDP und einer Tageszeitung zurückgehalten, mit der offiziellen Begründung des Bezirksamts (die auch seine eigene ist) verträgt. Danach stünden einer Herausgabe bei zwei Akten derzeit noch dringende öffentliche Interessen und schützenswerte Belange Dritter entgegen; geregelt sei das durch das Bezirksverwaltungsgesetz. Eine dritte Akte sei damals noch nicht fertig gestellt gewesen.

Wenn das korrekt ist – und vieles deutet darauf hin: Warum versteigt sich Schmidt, erfahren in politischen Auseinandersetzungen, in so steile Thesen? Als langjähriger Aktivist muss er wissen, dass vieles gegen ihn ausgelegt wird.

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Bert Schulz
Ex-Leiter taz.Berlin
Jahrgang 1974, war bis Juni 2023 Leiter der Berlin-Redaktion der taz. Zuvor war er viele Jahre Chef vom Dienst in dieser Redaktion. Er lebt seit 1998 in Berlin und hat Politikwissenschaft an der Freien Universität studiert.
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3 Kommentare

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  • Nach Recht und Gesetz wäre der Stadtrat verpflichtet gewesen, den Abgeordneten die Akten komplett zur Verfügung zu stellen.



    Das hat er nicht getan, und in der kolportierten Sitzung hat das auch gestanden.



    Es ist ein gutes Zeichen, daß es in der SPD noch Abgeordnete gibt, die sich an Vertuschungsaktionen nicht wegen der "Koaltionsdisziplin" beteiligen, sondern auf die Einhaltung von Gesetzen bestehen.



    Und es ist ein schlechtes Zeichen für diese Zeitung, daß die strafrechtlichen Aspekte des Verhaltens des Stadtrates nicht mal erwähnt werden.

    • @Don Geraldo:

      Nein, das ist nicht korrekt, dass er dazu verpflichtet ist alle Akten rauszugeben: Nach Recht und gesetzt ist er dazu verpflichtet nur Akten zur Ansicht rauszugeben, bei denen keine Gefahr besteht, das Rechte Dritter belangt werden oder laufende Verfahren gefährdet werden und muss sogar Akten zurückhalten, die diesen Vorgaben nicht entsprechen. So steht es im Verwaltungsgesetz. Siehe hier: bit.ly/30E6dGX bei §11.



      Fraglich ist also im Wesentlichen, ob die die Begründung für das Zurückhalten korrekt war und da sagt er selbst "Nein" und bittet um Entschuldigung.

      • @Magnus Hengge:

        Unter dem Link ist auch zu finden: "Die Verweigerung der Akteneinsicht ist schriftlich zu begründen." Und genau hier liegt das Problem! Warum reicht er die Begründung erst nach, nachdem der SPD wegen der fehlerhaften Nummerierung der Verdacht kam, es müssten Unterlagen fehlen?

        Hätte er den vorgesehenen Weg gewählt, hätte die SPD das vermutlich akzeptiert, denn das Rechte Dritter zu diesem Zeitpunkt zu berücksichtigen sind, wäre nachvollziehbar gewesen.

        Stattdessen führt er bei der fraglichen Fraktionssitzung eine Argumentation an, die mit einem demokratischen Grundverständnis nicht zu akzeptieren ist.

        Von der Linkenfraktion ist zu hören, sie gehe von der Unschuldsvermutung aus, obwohl zumindest Teile der Fraktion auch bei der gemeinsamen Sitzung Zeuge des kolportierten Satzes "... dass er verhindern wollte, dass die Inhalte von Akten von CDU und FDP instrumentalisiert und von einem Redakteur des Tagesspiegels zur politischen Agitation genutzt werden..." geworden seien müssten.

        Und scheint sich damit zum Steigbügelhalter zu machen.