Baustadtrat Schmidt unter Beschuss: Gnadenlos ausgeschlachtet
Wer braucht Feinde, wenn er einen Koalitionspartner hat? Der Fall Schmidt wirft auch Schatten auf die SPD im Bezirk und im Land.
E s ist die schwerste politische Krise für Florian Schmidt in dieser an Streitigkeiten, Diskussionen und Kämpfen nicht gerade armen Legislaturperiode. Die SPD wirft dem grünen Baustadtrat in Friedrichshain-Kreuzberg Manipulation von Akten vor, der Regierende Bürgermeister spricht von „weitreichenden, sehr schwerwiegenden Vorwürfen“, die CDU raunt von einem Untersuchungsausschuss im Abgeordnetenhaus. Die Grünen in Bezirk und Land stehen weiterhin hinter ihm, auch wenn er Fehler gemacht habe.
Das hat Schmidt wirklich, darüber herrscht Einigkeit selbst unter seinen Parteifreunden. Formale Fehler und politische Fehler. Was ist passiert?
Die SPD-Fraktion in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) wollte in Sachen „Diese EG“ Akteneinsicht – also bei einer Genossenschaft, die im Mai von Schmidt benutzt wurde, um Häuser mittels bezirklichem Vorkaufsrecht Investoren wegzuschnappen. Doch die Fraktion erhielt nicht alle Unterlagen und wurde darüber nicht informiert. Schmidt entschuldigte sich am Montag für diese „Versäumnisse“.
Schwerer wiegt der Satz, der von der SPD kolportiert und von Schmidt nicht dementiert wird: Er habe die Akten nicht herausgerückt, weil er verhindern wollte, „dass die Inhalte von CDU und FDP instrumentalisiert“ und von einem Journalisten einer Berliner Tageszeitung für „politische Agitation“ genutzt werden.
Abgang wäre herber Verlust für die Grünen
Die interne Sitzung, in der diese Worte laut SPD-Mitteilung fielen, war vertraulich. Schmidt konnte also darauf hoffen, dass unter Koalitionspartnern – wie auf Landesebene bilden Grüne, SPD und Linke auch in Friedrichshain-Kreuzberg eine Koalition – eine Bewertung wie diese nicht öffentlich werden würde.
„An dieser Stelle können wir nicht schweigen“, schrieb jedoch die SPD mit einer Woche Verzögerung und warf Schmidt vor, sie zu „Kompliz*innen bei der Aushöhlung demokratischer und rechtsstaatlicher Kontrollrechte“ machen zu wollen. Schmidt entschuldigte sich am Montag auch für seine Sätze. „Misslich und unangebracht“ seien seine Aussagen gewesen; die Akteneinsicht sei ein hohes Gut, fügte er hinzu, „dessen Schutz und Gewährung elementar für demokratische Kontrolle staatlichen Handelns ist“.
Dass die von Schmidt erwähnten politischen Gegner seiner Politik wütend reagieren und diese unvermittelt aufgetauchte Chance für scharfe Kritik allzu gerne aufgreifen, ist nicht verwunderlich. Schließlich ist der Baustadtrat einer der prominentesten Grünen, er steht bundesweit für unkonventionelle Politik zugunsten von Mieter*innen.
Und er ist einer der wenigen rot-rot-grünen Politiker*innen, der bisher in der Wohnungspolitik sichtbare Erfolge errungen hat. Diese mögen bisweilen symbolischen Charakter haben – aber in einer Stadt, in der wegen der Wohnungsnot die Mietenpolitik alles andere überstrahlt, sind das wahlentscheidende Punkte. Das wissen auch die Grünen; für sie wäre sein Abgang ein herber Verlust.
SPD: Existenzangst schlägt Koalitionsdisziplin
Mehr als zwiespältig bleibt die Rolle der SPD. Auch für viele ihrer prominenten Politiker*innen ist Schmidt jemand, dem sie den Erfolg missgönnen. Das hat auch mit dem herben Bedeutungsverlust zu tun, den die SPD in Berlin generell erfährt und vor allem in ihrem einst ureigensten Beritt, der Bau- und Mietenpolitik.
Jahrzehnte lang hat sie auf Landesebene die Stadtentwicklungssenator*innen gestellt, tiefe Verbindungen zu Investoren entwickelt und unzählige Bauskandale überlebt. 2016 verlor die Partei das Amt an die Linke; darüber ist sie bis heute nicht hinweggekommen. Immer wieder versuchen offenbar enttäusche SPD-Politiker*innen deshalb mittels Sticheleien, wenn sie schon nicht gestalten können, den Kurs der Koalitionsparter zu stören.
Das trifft nicht nur Schmidt auf Bezirksebene, das musste auch die Bausenatorin Katrin Lompscher (Linke) immer wieder erfahren, die ebenfalls eine deutlich andere Strategie in der Stadtentwicklung verfolgt als die Sozialdemokraten.
Dahinter steckt bei der SPD auch die Angst, bei der nächsten Wahl im Herbst kommenden Jahres nur noch unter „ferner liefen“ zu verschwinden. Bei 15 bis 16 Prozent liegt die Partei in Umfragen derzeit; gut ein Drittel der bisherigen Abgeordneten käme bei diesem Ergebnis nicht mehr ins Parlament. Diese Sorge treibt einige fleißig twitternde Parlamentarier offensichtlich mehr um als die gemeinsame Politik und die Koalitionsdisziplin.
Erst mal Deckel drauf
Der Ton in der Koalition wird also rauer – schon eineinhalb Jahre vor der nächsten Wahl zum Abgeordnetenhaus. Und absurderweise ausgerechnet in der Zeit, in der das zentrale Gesetz von Rot-Rot-Grün, der Mietendeckel, spruchreif ist und verabschiedet werden wird. Das sät weiteres Misstrauen und schwächt die Zusammenarbeit. Für die Koalitionäre heißt das, vorsichtiger zu sein. Steile Thesen, Fehler, politisch oder formal, drohen von vermeintlichen Partnern gnadenlos ausgeschlachtet zu werden.
Schmidt könnte auch diese Krise überstehen, angekratzt zwar, aber im Amt. Die Bezirks-SPD hat lediglich ein Ultimatum gestellt; die CDU-Forderung nach einem Untersuchungsausschuss darf man angesichts der bereits agierenden Ausschüsse dieser Art als Theaterdonner abtun.
Erklären muss Schmidt allerdings, wie sich sein Satz, er habe einige Akten wegen drohenden Kampagnen der CDU, FDP und einer Tageszeitung zurückgehalten, mit der offiziellen Begründung des Bezirksamts (die auch seine eigene ist) verträgt. Danach stünden einer Herausgabe bei zwei Akten derzeit noch dringende öffentliche Interessen und schützenswerte Belange Dritter entgegen; geregelt sei das durch das Bezirksverwaltungsgesetz. Eine dritte Akte sei damals noch nicht fertig gestellt gewesen.
Wenn das korrekt ist – und vieles deutet darauf hin: Warum versteigt sich Schmidt, erfahren in politischen Auseinandersetzungen, in so steile Thesen? Als langjähriger Aktivist muss er wissen, dass vieles gegen ihn ausgelegt wird.
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