Bauprojekt in Osnabrück: Allzu schöne neue Welt
Auf einem ehemaligen Bahngelände in Osnabrück planen Investoren einen neuen Stadtteil. In dem soll ein Masterplan alle Konflikte vorab verhindern.

Die Lok-Viertel-OS GmbH der Osnabrücker Aloys-&-Brigitte-Coppenrath-Stiftung, Koordinator des Vorhabens, lobt sich für „eines der spannendsten Stadtentwicklungsprojekte Deutschlands“. Bis zu 2.000 Wohnungen sollen entstehen auf 60 Prozent der Baufläche, dazu Gewerbe, eine Grundschule, Kitas.
Jahrzehntelang prägen Stillstand und Streit die Brache hinter dem Ringlokschuppen, der heute das Coppenrath Innovation Centre beherbergt, zum Thema KI. Krude Ideen stehen im Raum, von der Multifunktions-Arena bis zur Pfingstbewegungs-Großkirche.
Die Stadt jongliert planlos mit ihrem Vorkaufsrecht, ihren Bebauungsplänen. Ein ultrakonservativer Zwischenbesitzer gefällt sich in Homophobie. Das bunt-alternative Soziokulturbiotop Freiraum Petersburg, lange hier Mieter, wirft das Handtuch. Chaos, Frust, Gepoker um Millionen.
Die Ratsmehrheit ist glücklich
Mittlerweile ist alles in trockenen Tüchern. Die Stiftung hat das Gelände komplett gekauft, ein städtebaulicher Wettbewerb ist abgeschlossen, die Ratsmehrheit ist glücklich, und Lok-Viertel-OS verheißt auf seiner Website vollmundig eine „Chance, Stadt neu zu denken“.
Klar, es ist laut hier: Bahngleise umgeben das Areal, und im Süden liegt ein riesiges Industrie- und Gewerbegebiet. Aber Lok-Viertel-OS verheißt eine Insel der Glückseligen: Nachhaltigkeit als „Leitprinzip“. Viele „dritte Orte“ ohne Konsumzwang. Eine „Caring Community“, um „gemeinschaftlich füreinander zu sorgen“. Kein Zauberwort fehlt, das gut zu Bildern passt, die relaxte Freizeitmenschen zeigen in viel Grün. Von Innovation und Inklusion ist die Rede, von Partizipation, Ökologie, Barrierefreiheit.
Das alles ist ernst gemeint. Aber ob die schöne, neue Welt der Realität standhält? Beim Thema Sicherheit bauen die Planer schon mal vor. Ihr sozialer Masterplan verspricht, es gebe keine Angsträume und ein „hohes Maß an ‚positiver‘ sozialer Kontrolle“.
Man wolle „Unsicherheitssituationen, falsche Anreizsignale und mögliche Konflikte“ durch eine Gestaltung von Plätzen und Freiräumen, die Probleme antizipiere, vermeiden; Konflikte nicht durch Vertreibung ausräumen, sondern durch Dialog und Regulierung. Das ziele auf Menschen aus umliegenden Quartieren. Was das konkret heißt, bleibt unklar. Kameras? Streifengänge?
Die soziale Kontrolle werde „durch eine zielgerichtete Quartiersentwicklungspolitik mit hoher Lebensqualität angestrebt, die das Engagement vor Ort fördert, damit gesellschaftlicher Zusammenhalt und Integration gelingen können“, erklärt Gerd Hoofe, Sprecher von Lok-Viertel-OS.
„Dazu gehören die städtebaulich-architektonische Gestaltung und die technische Ausstattung genauso wie das Management der Flächen und Einrichtungen als auch die Verantwortungsübernahme der Nutzerinnen.“ Die Bitte der taz zu konkretisieren, bleibt unbeantwortet. Man habe „alles gesagt“, sagt Hoofe.
Volker Bajus, Fraktions-Vize der Grünen in Stadtrat und Landtag, teilt die Sorgen vor einer auf Exklusivität setzenden Entwicklung: „Privates Geld wird investiert, weil es Gewinnerwartungen gibt“, schreibt er der taz. Wenn sich diese nicht mit der ursprünglichen Planung realisieren ließen, könnten Forderungen nach Plan-Änderungen bis hin zu einer Art „Gated Community“ entstehen. „Das darf nicht passieren“, warnt Bajus.
Der beste Schutz seien nicht Kameras und private Sicherheitsdienste, sondern eine bunte und vielfältige soziale Mischung und lebendige öffentliche Räume. Sozialverbände, Initiativen und Bürgervereine müssten in die Planung früh und gut eingebunden sein.
Auf Osnabrück kämen durch das Viertel investive Belastungen „in einem mittleren zweistelligen Millionenbetrag“ zu, schreibt Simon Vonstein, Sprecher der Stadt, der taz. Die Stadt arbeite am Bebauungsplan und sehe sich „auf der Zielgeraden“.
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