Barack Obama in Berlin: Helene Fischer ist teurer
Ein Abend mit Barack Obama in Berlin gibt Rätsel auf. Nur eins ist klar: Für eine Abschiedstour ist der ehemalige US-Präsident dann doch noch zu jung.
Es war ein Abend, der viele Fragezeichen hinterlässt. „An evening with Barack Obama – live in person“ war angekündigt. Und schon das ließ offen, worum es eigentlich gehen könnte – abgesehen von der Gelegenheit, mit einem der bekanntesten Menschen der Welt einmal im gleichen Raum zu sein.
Das allerdings war offenbar vielen schon Motivation genug, sich am Mittwochabend trotz herrlichen Wetters in die nach einem großen Autokonzern benannte Mehrzweckarena am Berliner Ostbahnhof zu begeben und sich das auch etwas kosten zu lassen. Billigstes Ticket 61 Euro. Das ist immerhin noch 3 Euro günstiger als Helene Fischer, die Ende des Monats fünf Tage lang die Halle bespielen wird und ganze 26 Euro preiswerter als der Konzertbesuch beim Israel-Hasser Roger Waters Mitte Mai. Trotzdem mussten offenbar eine ganze Menge Freitickets über verschiedenste Firmen verschenkt werden, um die Halle mit ihren über 10.000 Zuschauerplätzen voll zu bekommen.
Schon das Setting machte deutlich, worum es hier ging: politisches Wohlfühl-Entertainment im Glanz des Ausnahmerhetorikers Barack Obama. Und das mit Vorprogramm: Musik von Cassandra Steen und Nigel Kennedy, und eine irgendwie zufällig generierte Podiumsdiskussion zur Bildungspolitik in Deutschland, bei der sich keine Kontroverse ergab, alles unter der flüssigen, aber auch nicht wirklich inspirierten Moderation von TV-Promi Klaas Heufer-Umlauf.
So vergehen die ersten eineinhalb Stunden als Vorprogramm auf den Hauptact – und offenbar wussten viele Besucher*innen recht genau, wie das Programm ablaufen sollte, denn erst gegen 20 Uhr, als Obama dann schließlich tatsächlich auf die Bühne tritt, sind die Ränge wirklich gefüllt.
Lacher. Understatement
Es geht mit Geplauder los, Obama erzählt von seinem Abendessen mit seiner Freundin Angela Merkel, von seinem Mittagessen mit Olaf Scholz – worüber sie gesprochen haben, erfährt man allerdings nicht, und Moderator Heufer-Umlauf fragt auch gar nicht erst nach. Obama erzählt von Amsterdam – wo am Montag nach Zürich zwei Tage zuvor der zweite von insgesamt dreien dieser seltsamen Auftritte in Europa stattgefunden hatte, und wie eine Tulpenzüchterin ihn unbedingt habe kennenlernen wollen, weil er doch persönlich mit Bruce Springsteen bekannt sei. Lacher. Understatement konnte Obama schon immer gut, er kann es sich leisten.
Irgendwas ist mit der Beleuchtung. Barack Obama auf dem großen Bildschirm hat einen gesunden Teint – aber wendet man den Blick davon ab und schaut direkt auf die Bühne, die selbst bei den guten und teuren Plätzen recht weit weg ist, dann sitzt da ein fahler, ausgemergelter alter Mann. Vorteilhaft ist anders. Aber wer schaut schon auf die Bühne in dieser riesigen Arena, wenn es einen Bildschirm gibt? Schließlich ist Obamas noch immer entzückendes Lächeln – das er schon in seinen Wahlkämpfen gewinnbringend einzusetzen wusste – nur dort tatsächlich zu erkennen. „An evening with President Barack Obama – live on screen“ wäre der richtige Titel gewesen
Was aber der Sinn dieser ganzen Veranstaltung ist, hätte sich auch dann nicht erschlossen.
Heufer-Umlauf stellt eine gute Stunde lang Stichwort-Fragen, auf die Obama in seiner üblichen Art antwortet. Alle wissen, dass er diese Textbausteine schon 1.000-mal zum besten gegeben hat, aber er spricht, als würde er in diesem Moment darüber nachdenken und unglaublich bedeutsame Dinge sagen. Man erinnert sich an einen Interviewauftritt in der „Daily Show“ während des Wahlkampfes 2008. Host Jon Stewart bat den damaligen demokratischen Präsidentschaftskandidaten am Schluss, ein paar Sätze aus Kundenservice-Bots auf Obama-Art zu sagen („Could you hope it up, please!“) – und Obama ließ sich drauf ein. „I’m calling to ask if you’re happy with your cell phone service“ – nie klang das so tiefgründig.
Nichts Unabgesprochenes
Moderator Klaas Heufer-Umlauf gibt keine Sätze vor, er springt nur von einem Thema zum nächsten. Keine Nachfragen, keine Kritik, und offenbar: Nichts Unabgesprochenes. Wir erfahren, dass Polarisierung, Fox- und Fake News die Demokratie gefährden. Das „mein Nachfolger“ versucht habe, die Regeln der Demokratie abzuschaffen. Dass Künstliche Intelligenz und Deep Fakes die Desinformation auf eine ganz neue Stufe heben könnten. Dass Klimarettung eine große Herausforderung ist und gerade die junge Generation nicht aufgeben darf. Dass Führung bedeutet, anderen zuzuhören und dass Diversität in Führungsteams bessere Entscheidungen bringt. Dass Frauen oft bessere Ideen haben als Männer, aber zu wenig zum Zug kommen.
Aha. Nichts von dem, was Obama sagt, ist irgendwie falsch – aber nichts ist auch nur irgendwie überraschend. Und vor allem: Obama kann sich als Wächter über demokratisch-liberale Grundüberzeugungen präsentieren, als habe er nie wirklich etwas mit realer Politik zu tun gehabt. Die Ausweitung des US-Drohnenkrieges unter seiner Führung, der NSA-Abhörskandal, die Nichtschließung des Gefangenenlagers in Guantánamo, die Höchstzahl der Abschiebungen aus den USA während seiner Präsidentschaft, der desaströse Angriff auf Libyen, die Tatsache, dass Obama mit einer Rekordzahl Schwarzer Stimmen gewählt wurde, aber dann in seiner Präsidentschaft nichts unternahm, um ihre Lage zu verbessern, der vollkommen unverdiente Friedensnobelpreis nur Monate nach seinem Amtsantritt – alles Fehlanzeige an diesem Abend unter den blauen Scheinwerfern, die in die Halle leuchten.
Dabei kann Obama, das hat er in der Vergangenheit gezeigt, durchaus glänzen, wenn er mit Kritik konfrontiert ist. Aber bei dieser Show ist das nicht vorgesehen.
Obama ist noch nicht so alt, dass man – wie bei einem Rolling-Stones-Konzert – in so eine Halle pilgern würde, um ihn noch einmal zu sehen, womöglich zum letzten Mal. Welche Rolle er eigentlich spielen will, abgesehen von der Promotion seiner Stiftung, dem Einstreichen horrender Vortragshonorare und dem Absetzen seiner Bücher ist unklar. Und so bleibt am Ende des Abends eine Frage, wie man sie nach dem Betrachten mancher Youtube-Videos stellt:
What the fuck did I just watch?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen