piwik no script img

Bandengewalt in HaitiNoch keine internationale Mission

Haitis Regierungskrise hält an. Ohne eine neue Regierung wird auch die Entsendung einer Polizeimission schwierig. Die UN warnen vor einer Hungersnot.

Versorgungsmangel: Straßenszene aus Port-au-Prince, Haiti, 12. März Foto: Ralph Tedy Erol/reuters

Nairobi/Port-au-Prince dpa | Nach der Rücktrittsankündigung des haitianischen Regierungschefs verzögert Kenia nach Medienberichten die zugesagte Entsendung von Polizisten in den Karibikstaat. Der Einsatz im Rahmen einer geplanten multinationalen Sicherheitsmission wird aus Sicht des Außenministeriums in Nairobi erst möglich sein, wenn Haiti wieder eine Regierung hat, wie unter anderem die New York Times und die kenianische Zeitung Daily Nation am Dienstag berichteten.

Nach Gesprächen in Jamaika hatte die karibische Staatengemeinschaft Caricom am Montag (Ortszeit) die Gründung eines haitianischen Übergangspräsidialrats angekündigt, der eine neue Interimsregierung bestimmen und den Weg hin zu Wahlen ebnen soll. Kurz darauf kündigte Interimspremierminister Ariel Henry an, zurückzutreten, sobald der Rat seinen Nachfolger bestimmt habe.

Henry hatte die Regierungsgeschäfte kurz nach der Ermordung des Präsidenten Jovenel Moïse im Juli 2021 übernommen. Seitdem gab es keine Wahlen, das Land hat weder einen Präsidenten noch ein Parlament. Als Henry im Jahr 2022 eine massive Erhöhung der Kraftstoffpreise ankündigte, kam es zu großen Protesten und Plünderungen.

Laut den Vereinten Nationen kontrollieren brutal agierende Banden rund 80 Prozent der haitianischen Hauptstadt Port-au-Prince. Die zwei mächtigsten Banden schlossen sich Ende Februar zusammen und forderten Henrys Rücktritt, während der Regierungschef auf einer Auslandsreise war. Von dieser ist er bis heute nicht zurückgekehrt – Henry soll sich zurzeit in Puerto Rico aufhalten. Die Reise hatte ihn unter anderem nach Kenia geführt, wo am 1. März beide Staaten die Entsendung von 1.000 kenianischen Polizeibeamten nach Haiti vereinbarten. Dabei hatte ein kenianisches Gericht den Einsatz zuvor für verfassungswidrig erklärt.

Eine der schwersten Lebensmittelkrisen der Welt

Der UN-Sicherheitsrat hatte die Mission zur Unterstützung der haitianischen Polizei bereits im Oktober genehmigt. Kenia erklärte sich bereit, die Führung zu übernehmen. Auch Benin, die Bahamas, Bangladesch, Barbados und der Tschad sagten Einsatzkräfte zu. Beim Caricom-Treffen in Kingston erhöhte US-Außenminister Antony Blinken die finanzielle Hilfszusage der USA für die Mission um 100 Millionen auf 300 Millionen Dollar (rund 274 Millionen Euro). Der US-Kongress gab jedoch bisher nur einen Teil davon frei. Nach Angaben eines UN-Sprechers vom Montag gingen zur Finanzierung des Einsatzes erst 10,8 Millionen Dollar ein.

Der Sprecher teilte außerdem mit, der Plan zur Deckung des humanitären Bedarfs in Haiti, für den 674 Millionen US-Dollar benötigt würden, sei nur zu 2,6 Prozent finanziert. Fast die Hälfte der rund 11 Millionen Einwohner des Landes leidet nach Schätzung der Vereinten Nationen unter akutem Hunger. In Haiti herrsche eine der schwersten Lebensmittelkrisen der Welt, sagte der WFP-Landesdirektor in Haiti, Jean-Martin Bauer. „1,4 Millionen Haitianer sind einen Schritt von einer Hungersnot entfernt.“

Die UN-Organisation befürchtet, dass die schon jetzt nicht ausreichenden Bemühungen um humanitäre Hilfe zum Erliegen kommen könnten, weil die schlechte Sicherheitslage den Zugang zu den Menschen behindere, aber auch wegen versiegender finanzieller Mittel. Auch die Welthungerhilfe forderte die internationalen Geldgeber auf, die humanitären Mittel für Haiti aufzustocken.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

7 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Ich finde es immer wieder schön wie die USA durch Hilfslieferungen das heil machen wollen, was nicht kaputt wäre, wenn sie sich nicht eingemischt hätten. Coup 2004? Auch wenn sie das abstreiten mögen (was nicht das erste Mal ist), die meisten sind sich einig, dass die mal wieder ihre Finger im Spiel hatten. Gibt es eigentlich ein Land in Südamerika in dem sie nicht interveniert haben, und bei dem die Intervention nicht zum Nachteil von Demokratie und den dortigen Menschen war?



    Da wurde mal wieder ein demokratisch gewählter Präsident abgesetzt, in einem Land das erst ca. zehn Jahre lang eine hart erkämpfte und sorgsam aufgebaute Demokratie hatte und warum? Weil der Präsident den Mindestlohn anheben wollte für Arbeiter die Kleidung für Amerika nähten, der mehr für Bildung und Gesundheit ausgeben wollte (während die Amerikaner ein "small government" wollten) und die 21 Milliarden von Frankreich zurückerstattet haben wollte, die es als "Unabhängigkeitsschulden" von Haiti erpresst hatte. Sei dem Aristide des Amtes enthoben wurde, gab es keine Ordnung mehr. 20 Jahre, Teile davon ohne präsident, das Parlament kaum arbeitsfähig, der letzte Präsident ermordet. Ariel Henry der de facto Premierminister der jetzt zurück getreten ist, wurde nicht gewählt sondern ernannt von Core Group (Gruppe von Ländern mit überwiegend weißer Bevölkerung angeführt von den USA) was gegen die Verfassung Haitis ist. Aber ist ja nicht das einzige Staatsoberhaupt das von den Amerikaner ins Amt berufen und unterstützt wurde. Z.B. Juan Orlando Hernández, Ex-Präsident von Honduras, war auch so ein tolles Staatsoberhaupt- wurde gerade u.a. wegen Drogenhandels und gewalttätiger Mafiaverschwörung in den USA verurteilt.



    Erst Probleme verursachen und dann Almosen hinschmeißen um das Gewissen zu beruhigen? Klagen zu vermeiden? Wie wäre es mit einfach mal nicht in die Politik anderer Länder einmischen, nur weil sie nicht als erstes an US Interessen denken sondern an die Interessen ihrer Bürger.

    • @Momo Bar:

      Ich gehe bei allem mit, vor allem der Bewertung der USA (Frankreich nicht vergessen!).

      Bei der Beurteilung Aristides bin ich mir jedoch nicht so sicher. Er bestreitet zwar, seine paramilitärischen Truppen befehligt zu haben, doch sie haben weitgehend in seinem Sinne gehandelt. Ich lebte seinerzeit in Frankreich und habe hauptsächlich französische Zeitungen gelesen (die es natürlich auch unterließen, auf die besondere Verantwortung Frankreichs in Bezug auf Haiti hinzuweisen).

      • @Trolliver:

        Ich musste mich jetzt auch nochmal einlesen, weil ich das zwar damals verfolgt habe, aber es ist eben auch 20 Jahre her. Ich habe nur vor einigen Tagen ein Interview bei Democracy Now! gesehen, weswegen da vieles wieder hoch kam. (“Empire’s Laboratory”: How 2004 U.S.-Backed Coup Destabilized Haiti & Led to Current Crisis), Zudem ein Artikel von Responsible Statescraft: From coup to chaos. 20 years after the US ousted Haiti´s president. Und im Jacobin gibt es auch noch einen sehr ausführlichen Artikel darüber wie man die Medien nutzte um Unwahrheiten zu verbreiten und auch sehr detailliert beschreibt was im Vorfeld des Coup passiert ist. Titel: Canada Strongly Supported Haiti’s 2004 Coup d’État



        Für mich sieht es sehr danach aus das die USA und Kanada auch bei den Paramilitärs ihre Finger im Spiel hatten. Soweit ich mich an meine Recherchen von damals erinnere, kam ich da zum gleichen Schluß, vor allem durch die massiven Manipulationen im Vorfeld des Coup aber auch danach. Das erinnerte mich einfach zu sehr an andere südamerikanische Länder wo sie sehr ähnliche Taktiken anwendeten.

        • @Momo Bar:

          Momo, sehr interessante Artikel. Ich kann mir auch absolut vorstellen, dass die USA dort wieder ihre Finger im Spiel hatten - wann hatten sie es nicht?

          Zunächst machtpolitisch und wirtschaftlich (United Fruit Company, heute Chiquita), dann irrational antikommunistisch (Iran-Contra, der Gipfel des Wahnsinns!) und darauf zunehmend wegen der Flüchtlinge.

          Viel richtig gemacht haben die USA nicht in Lateinamerika. Und in Asien auch nicht.

          • @Trolliver:

            Nein mit Ruhm bekleckert haben sie sich tatsächlich nicht. Wäre nur schön wenn sie mal aus ihren Fehlern, wenn man sie denn so nennen will, lernen würden, denn den Preis zahlen immer die Zivilisten der jeweiligen Länder. Und dann wundern sich wieder zahlreiche Amerikaner wieso so viele Flüchtlinge z.B. aus Lateinamerika kommen, während sie völlig übersehen das die Außenpolitik ihrer Regierung häufig nicht ganz unschuldig daran ist.

  • Tragisch, aber nicht unerwartet. Solange es kein staatliches Gewaltmonopol dort gibt, dass gegen die Banden nur mit Gewalt herzustellen sein wird, wird es dort keine Ruhe geben. Rockbottom ist noch nicht erreicht, noch gibt es was zu holen für die Banden. Kein Grund für die, aufzuhören. Mich würde interessieren, welche Ideen es von wem gibt, wie dieses Land zukünftig weiter existieren und aussehen soll.

  • Haiti hatte einst viel fruchtbare Böden, die jedoch aufgrund schlechter Nutzung ausgelaugt wurden und erodiert sind. Damit sind sie mehr oder weniger für immer verloren, ein Neuaufbau erfordert viel Zeit und gemeinschaftliches Handeln - wozu Haiti jedoch nicht in der Lage ist.

    Haiti ist auch nicht in der Lage, Hilfslieferungen dort ankommen zu lassen, wo sie benötigt werden, internationale Missionen noch weniger.

    Es hängt zunächst und vor allem alles an der Sicherheit: für die Bevölkerung, die Missionen und die zu stationierenden Polizisten internationaler Verbände. Dann kann man an einen Aufbau denken.

    Der sollte jedoch von vorn herein die Fruchtbarmachung der Böden als Ziel ausgeben. Die Jahrzehnte, die das dauert, wenn man es richtig macht, wird das Land auf Hilfe angewiesen sein - welche wiederum nur erfolgen kann, wenn die Sicherheitslage eine komplett andere ist als heute.

    Diese Aufgabe von Ländern des globalen Südens übernehmen zu lassen, finde ich gut. Der Westen sollte dies finanzieren, vor allem Frankreich und die USA.