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Bananenrepublik

Nichts hat die real-existierende DDR-Bevölkerung in linken und linksliberalen Kreisen so sehr in Verruf gebracht wie ihr durch eine Fülle von TV-Beiträgen dokumentiertes Verhalten während der Tage der Wende Ende der Achtzigerjahre: Das lag an einer bestimmten Sorte Obst, die in Westdeutschland (wenn auch erst seit Anfang der Sechzigerjahre) so leicht zu kaufen sind wie zwei Pfund Weizenmehl – Bananen.

Diese gelbe Frucht kauften sie häufig im Westen, wenn sie sie nicht schon hinter der Grenze zugeworfen bekamen: Aber auch Zahnpasta und Zigaretten westlicher Herkunft waren den Ausflüglern aus dem Osten so wichtig, dass für sie ein Teil des Begrüßungsgeldes in Höhe von hundert Mark geopfert wurde.

Die Reaktion auf dieses Phänomen fiel in den besseren Kreisen des Westens, aber auch unter DDR-Bürgerrechtlern vernichtend aus: So hatte man sich den Aufbruch zu einem besseren Sozialismus nicht vorgestellt – als Orgie des, so empfanden sie, schlechten Geschmacks, als Bestechung durch Nahrungsmittel und als Heimsuchung durch offen zur Schau getragenen Konsumismus.

Manche Bürgerrechtlerseele stoßseufzte: Wir wollten eine bessere Gesellschaft, sie aber nur knackigere Jeans. In den Augen der Intellektuellen, die auf ihren Geschmack seit jeher viel halten, kam das einem Verrat am demokratischen Ideal gleich: Dabei hatte das Volk offenkundig von den ja auch erzieherischen Segnungen des Sozialismus die Nase voll.

Auffällig an dieser Kritik am gemeinen Staats- und Konsumbürger war zugleich aber, dass ein ähnliches Muster an Kritik schon in den Fünfzigerjahren geäußert wurde, vor allem in den Feuilletons, die sich hauptsächlich mit der Rettung hochkultureller Werte nach dem Nationalsozialismus beschäftigten. Ihr schnöseliger Vorwurf findet sich in einem Begriff gebündelt: Wirtschaftswunder. Damit wurde ein Volk (das bundesdeutsche) beschrieben, das nach dem Holocaust vermeintlich nichts Besseres zu tun hatte, als sich von den exorbitant steigenden Löhnen die Bäuche voll zu schlagen und den Nazihorror glatt zu vergessen.

Statt in Demut das Kriegsheimkehrerdrama Draußen vor der Tür im Theater anzuschauen, bevorzugten die gemeinen Leute das Kino – und scheinbar niveaulose Filme wie Die Halbstarken oder Das Schwarzwaldmädel, träumten sich eher weg mit Schlagern wie Im Hafen von Adano oder Rock Around The Clock, als dass sie sich Neuer Musik widmeten.

Schon kurz nach der Kapitulation, als die Deutschen an den Wiederaufbau gingen und von den Amerikanern deren Way of Life (Lucky Strike, Cadbury-Schokolade, Cornflakes, Nylons, Swing, später Rock ’n’ Roll) gierig nacheiferten, erkannten hochkulturell gestimmte Kommentatoren nur „schnöden Mammon“, „konsumhafte Oberflächen“ und „besinnungslose Munterkeit“: Als ob es für ein (vor allem materiell) besseres Leben zu kämpfen nicht lohnte.

Dabei war es gerade der in den USA geborene Swing, der viele Jugendliche im Nazideutschland aufbegehren ließ – diese Musik (die nach Freiheit und anderen Möglichkeiten klang) zu hören war im Tausendjährigen Reich verpönt: Schon weil ihn zu tanzen die Männer zwang, etwas von ihrer soldatischen Akkuratesse und Verklemmtheit abzurücken.

JAN FEDDERSEN

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