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Bahnfahrt in unruhigen ZeitenDer Zug der Einzelkämpfer

Es war kein Platz im Zug. Dafür waren überall Waffen: Im Holster des Polizisten, in den Gesprächen der Soldaten und auf dem Laptop des jungen Mannes.

Dienstwaffe im Holster: Bei einer Patrouille im vollen Zug fühlt sich das ungut an Foto: dpa/Julian Stratenschulte

D er Zug ist voll. Hamburg Richtung Göttingen. In den Gängen Menschen, Masken, Ungeduld. Vorn antwortet eine Frau darauf, ob sich jemand neben sie setzen könne: „Sind Sie denn geimpft?“ – „Nein.“ – „Dann möchte ich das nicht“, sagt die Frau fest. Ein Mann erhebt sich: „Ich bin geimpft. Wir können tauschen.“ Der Geimpfte setzt sich jetzt neben die Frau, die nur einen Geimpften neben sich haben will. Der Ungeimpfte setzt sich auf einen freien Platz im Vierer­abteil.

Die Sitznachbarin neben mir schüttelt den Kopf: „Ja, genau, wir sollten die Ungeimpften alle wegsperren“, sagt sie ironisch. „So ein Scheiß!“ Sie schaut mich an, als wollte sie eine Bestätigung. Ich sage nichts. Es sind schon so viele Worte in der Luft. So viele Worte, so viele Menschen. Ich will nur noch dorthin, wo ich ankommen möchte.

Neben mir über den Gang hinweg sitzt ein jüngerer Mann am Fenster. Auf den freien Platz neben sich hat er einen Rucksack gestellt. „Kann ich mich neben Sie setzen?“, fragt ihn eine Frau, die sich durch den Gang schiebt. Er schaut starr auf seinen Laptop. Die Frau spricht ihn noch einmal an. Aber er ignoriert sie, als würde es sie nicht geben. Er schweigt, ein machtvolles Schweigen. Die Frau geht weiter. Ich schaue den Mann an. Es ärgert mich, wie er da mit seinem Rucksack sitzt, um ihn herum die Menschen, die nach einem Platz suchen, die er ausblendet aus seiner Welt.

Ein Polizist geht durch den Gang. Am Gürtel seiner Hose trägt er eine Pistole. Es ist merkwürdig, wie diese Waffe in dem vollen Zug zu sehen ist, wie er damit nur ein paar Zentimeter an den Menschen vorbeigeht. Manche drehen sich nach ihm um, schauen ihn stumm an. Auf einmal wirkt etwas näher, Vorsicht und Gefahr.

Machtvolles Schweigen

Es ist das Wochenende, nachdem die Kamera­frau Halyna Hutchins auf einem Western-Filmset erschossen wurde. Vor mir sitzen zwei junge Bundeswehrsoldaten in Uniform. Sie unterhalten sich über diesen Vorfall: „Das sollte eigentlich gar nicht möglich sein“, sagt der eine. Ich frage mich, ob sie das anders berühren muss, da sie auch Kontakt zu Schusswaffen haben.

Der junge Mann neben mir hat jetzt auf seinem Laptop eine Seite geöffnet, auf der ein Gewehr zu sehen ist. Es scheint eine Verkaufsseite zu sein, er schaut sich das Gewehr an, scrollt hinunter. Er klickt andere Gewehre an. Eins nach dem anderen. Er zoomt auf einzelne Details. Er ist völlig versunken darin. Wollte er nicht, dass sich jemand neben ihn sitzt, weil er während der Bahnfahrt Gewehre recherchiert? Beim nächsten Halt fragt ihn wieder jemand nach dem Platz. Diese Person ist hartnäckiger, der junge Mann nimmt seinen Rucksack vom Sitz. Jetzt, mit dem Sitznachbarn neben sich, schaut er sich keine Gewehre mehr an.

Plötzlich in diesem Zug, mit dem Polizisten, den Soldaten und dem Mann neben mir, scheinen die Waffen überall zu sein. Ich frage mich, warum sie so eine Faszination auslösen. Immer noch. Und ich denke, wie wichtig es ist, dass wir in in diesem unruhigen Zug, in diesen unruhigen Zeiten, in denen so viele Menschen für sich kämpfen, besonnen bleiben.

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Christa Pfafferott
Autorin
Christa Pfafferott schreibt die Kolumne "Zwischen Menschen" für die taz. Sie wurde zum Dr. phil. in art. an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg promoviert. Sie hat zuvor Regie an der Filmakademie Baden-Württemberg studiert und die Henri-Nannen-Journalistenschule absolviert. Sie lebt als Autorin und Regisseurin in Hamburg.
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1 Kommentar

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  • Der Einzige mit einer Faszination für Waffen in diesem Artikel ist der junge Mann mit dem Laptop.

    Ein Polizist in Uniform muss noch lange keine Begeisterung für Waffen haben.

    Gespräche mit diesem Tenor zu diesem Fall haben in meinem persönlichen Umfeld viele geführt, und eine Waffenfreundin war davon keine.

    Man kann auch bei der Bundeswehr sein, ohne diese Faszination zu teilen. Das Gespräch, wie es die Autorin schildert, spricht eher gegen eine Faszination.

    Es wird Zeit, dass mehr Linke sich in die staatlichen Institutionen einbringen.