Bäcker über die Abhängigkeit der Zunft: „Ich bin nur das Anhängsel“
Er unterwirft sich nur seinem Sauerteig, sagt der Freibäcker Arnd Erbel. Er sei frei – vom Kapitaldienst bei den Banken und von Mehltypen.
taz: Herr Erbel, lassen Sie uns über Sauerteig reden, eine wichtige Zutat beim Brot, ein Triebmittel wie die Hefe. Aber was ist der Unterschied?
Arnd Erbel: Bei beiden sind Hefebakterien wichtig. In der Hefe stecken sie in einer Reinkultur, die man sofort zum Backen verwenden kann. Ein Sauerteig entsteht durch natürliche Gärung. Er enthält unterschiedliche Hefen, außerdem Milchsäurebakterien. Die fängt er aus der Luft. Man muss die guten von den schlechten trennen, sie behüten und aufpäppeln. Mit dem fertigen Sauerteig rührt man dann einen Vorteig an.
Päppeln? Das klingt ein bisschen so, als ob der Sauerteig ein Kind wäre.
Wenn man mich hört, dann könnte man schnell auf den Vergleich kommen. So ein Teig ist gefräßig. Die Mikroorganismen wollen immer Wasser, Mehl und sie lieben bestimmte Temperaturen. Und der Bäcker will, dass manche Bakterien die Oberhand behalten und außerdem ein gewisses Maß an Essig- und Milchsäuren, die der Sauerteig neben dem zum Treiben wichtigen Kohlendioxid produziert. Ich teile mir mit meinem Sauerteig die Wohnung.
Die Wohnung?
Er ist die Mutter für all die Sauerteige in der Backstube. Jetzt im Winter, wenn die tagsüber abkühlt, nehme ich ihn mit. Und in der Wohnung verlangt er nach einem speziellen Platz. Da bring ich ihn dann hin. Eigentlich bin ich nur das Anhängsel. Ich nenne mich zwar Freibäcker, aber in der Beziehung zu meinem Sauerteig bin ich ganz unfrei.
Er begleitet Sie auch auf Reisen?
Warum sollte jemand Daten besitzen? „Luft gehört auch keinem“, sagt Evgeny Morozov. Oft wird er als Internetkritiker bezeichnet. Dabei will er die Schreibmaschine gar nicht zurück. Das Titelgespräch über Google, Weißrussland und den Humor der Zukunft lesen Sie in der taz.am wochenende vom 31. Januar/1. Februar 2015. Und: Finnland schafft die Schreibschrift ab, damit Schüler mehr Zeit zum Tippen haben. Auch Deutschland ist ein Blockbuchstabenland geworden. Ist die Schreibschrift überflüssig? Mit Gastbeiträgen von Martin Walser und Katharina Nocun – verfasst mit Kugelschreiber. Außerdem: Warum man Sauerteig auch mal mit ins Kino nehmen sollte. Von einem Bäcker und seiner Beziehung zum Brot. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.
Ja sicher. Und auch schon mal ins Kino, wenn ich keinen Babysitter finde, der die Temperatur kontrollieren kann. In der Regel weiß ich zwar, wie der Sauerteig sich entwickelt. Aber das ist ein emergentes System.
Ein was?
Etwas, das plötzlich über sich hinauswachsen kann. Kurz: Der Sauerteig macht gern mal, was er will. Wie die Mikroorganismen sich verhalten – da passiert noch immer Unerklärliches. Eigentlich freut mich das. Ich bezweifele, dass da jemand genau durchsteigt.
Das klingt wirklich, als wäre der Sauerteig viel mehr als nur eine Zutat.
Er ist mehr als ein Rohstoff und auch mehr als die Summe seiner Zutaten. Für mich hat das etwas Sinnstiftendes. Es ist eine Freundschaft. Ich und mein Sauerteig reifen gemeinsam.
45, ist in der Backstube aufgewachsen. Dort, im mittelfränkischen Dachsbach nordwestlich von Nürnberg, wird seit 1680 Brot in den Ofen geschoben. Es ist eine der ältesten Bäckereien Deutschlands, seit Generationen in Familienbesitz. Arnd Erbel nennt sich Freibäcker. Er verzichtet auf Zusatzstoffe, Backmischungen oder standardisierte Mehle und backt zum größten Teil von Hand. Seine Rohstoffe findet er in der Region. Neben zwei eigenen Läden beliefert er zahlreiche Gourmet-Restaurants vom Allgäu bis an die Nordsee. Bezug über erbelbrot.de.
Dann hat er sicher auch einen Namen.
Friendship Sourdough. Und zwar, weil ich immer Sauerteige von Reisen mitbringe. Außerdem haben Freunde und Kollegen aus aller Welt auch immer Kulturen als Geschenk dabei. Weil ich nicht alle parallel pflegen kann, gebe ich die Kulturen meist zu meinem Friendship Sourdough. Dort können sie dann gemeinsame Sache machen.
Der Sauerteig findet immer mehr Freunde, auch unter Hobbybäckern.
Wunderbar. Das hebt das Urteilsvermögen. Wer sein Brot einmal selbst gebacken hat, wird sich sehr wahrscheinlich auf die Suche nach gutem Brot machen.
Aber deshalb ist Sauerteig nicht das Nonplusultra für jedes Brot?
Ganz und gar nicht. Nehmen Sie zum Beispiel das Baguette. Vor ein paar Jahren sind in Frankreich viele Handwerksbäcker auf die Idee gekommen, dafür Sauerteig zu verwenden, um sich von der Industrie abzusetzen. Wer „artisanal“, handwerklich, auf sein Schild schreiben wollte, machte „Baguette au levain“, also mit Sauerteig. So kann der Mensch von einem Extrem ins andere fallen. Sauerteig ist bei einem Baguette fataler als bei einem Roggenbrot, vor allem wenn ihm die Qualität fehlt. Denn Weißmehl hat keine Substanz, um die Säure geschmacklich abzupuffern. Das Ergebnis ist dann oft ein für meinen Geschmack zu saures Weißbrot. Es ist leider relativ unkontrolliert, was mit Sauerteig passiert.
Wie meinen Sie das?
Na ja, es ist so: Wilde Hefen sind überall in der Luft. Und die freuen sich auf ein Süppchen aus Mehl und Wasser. So wie auf Apfelsaft: Der beginnt mit der Zeit auch zu gären. Irgendwann blubbert es. Dann hat man die Vorstufe zu einem Sauerteig. Aber das hat mit Reife noch nichts zu tun. Kann sein, dass der nur säuert, aber nicht treibt. Auf diesen „Umschlag“ in der Qualität kommt es mir an.
Und wie drückt sich das aus?
Neben dem Aufgehen beispielsweise im Geschmack: Durch den Sauerteig entsteht im Brot ein herzhaftes Aroma. Gelegentlich kann das aber auch schiefgehen. Dann bekommt man unangenehme Säurespitzen. Interessant ist auch das Phänomen der Haltbarkeit: Ein Bäcker kann ein Brot genauso backen wie ein anderer, was Geschmack und Aussehen betrifft, aber das eine schimmelt früher. Sauerteig ist eben nie gleich Sauerteig.
Haben deutsche Bäcker dafür mehr Verständnis als französische?
Hier ist die Kultur schon anders. Deutschland ist ein Roggen- und Sauerteigland. Roggen kann ohne Säure nicht gebacken werden, sonst bleibt das Brot im Inneren glitschig und teigig. Aber über die Qualität sagt das wenig aus. Auf die wird bis heute nicht wirklich geachtet. Möglich gemacht haben das vor allem die Säurepulver und Hefen aus der Industrie, die man mit dem eigenen Sauerteig dem Brot zusetzen kann. Dann hat der Bäcker einen willenlosen, kontrollierbaren Sauerteig.
Braucht ein Sauerteig, um wirklich gut zu sein, ein bestimmtes Alter?
Nein, ein Sauerteig braucht Reife. In der richtigen Umgebung angesetzt, wie bei mir in der Bäckerei, hat man schon nach wenigen Wochen einen Teig, der ähnliche Ergebnisse bringt wie mein alter Freund.
Wenn man mit Ihnen spricht, kann man das Gefühl bekommen, Brot ist eine Wissenschaft.
Eigentlich würde es sich lohnen, über jedes einzelne Brot ein Buch zu schreiben. Aber wer will so was lesen? Mein Tipp: Weniger über Brot lesen. Wer ein paar Mal von Hand einen Teig knetet, erfährt viel mehr.
Warum nennen Sie sich Freibäcker?
Das ist anarchistisch gedacht. Ich bin selten gewillt, mich etwas anderem als meinem Sauerteig unterzuordnen. Mir ist einfach die hochgradige Abhängigkeit vieler Bäcker aufgestoßen. Von dem Kapitaldienst bei den Banken, von der Werbung, die sie machen, von den Backmitteln und Mehltypen. Davon bin ich einigermaßen frei. Ich kaufe das Getreide direkt vom Biobauern, mahle es selbst oder lasse es mahlen. Mein Müller sagt immer, das Mehl könnte er so keinem anderen Bäcker verkaufen. Bäcker mögen ihr Mehl normalerweise so wie voriges und vorvoriges Jahr. Sie wollen sich keinen Kopf darüber machen, ob es sich verändert. Ich will das. Ich freue mich schon darauf, was die nächste Ernte bringt.
Gab es Freibäcker nicht auch schon mal im Mittelalter?
Das habe ich später auch erfahren. Es waren Bäcker, die die Hansestädte damals den Zunftbäckern entgegengestellt haben, wenn es Preisabsprachen gab oder mindere Qualität. Es war ein früher Verbraucherschutz. Ich sehe das auch so. Weil ich eine Alternative biete.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu
Wanted wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Jeder fünfte Schüler psychisch belastet
Wo bleibt der Krisengipfel?
Gespräche in Israel über Waffenruhe
Größere Chance auf Annexion als auf Frieden