„Babylon“ in der Berliner Staatsoper: Männer, die sich wichtig nehmen
Premiere in der Berliner Staatsoper: Jörg Widmann und Peter Sloterdijk haben ihr Stück „Babylon“ überarbeitet. Andreas Kriegenburg hat es inszeniert.
Der Euphrat, um mit der guten Nachricht anzufangen, singt. Marina Prudenskaya gibt ihm ihre Stimme. Sehr leise zuerst, dann anschwellend, gewaltig ausufernd und laut hinaufrauschend. Die Russin ist festes Mitglied im Ensemble der Staatsoper und wird mit ihrer Marie in Bergs „Wozzek“ für immer in Erinnerung bleiben. Sie kann auch alleine einen ganzen Fluss singen, wenn es denn sein muss.
Es muss sein. Mojca Erdmann, Gast im Haus, singt die Seele. Nicht mit Seele, sondern die Seele und sie klingt genau so wie Mojca Erdmann nun mal klingt, klar und schneidend bis in Tonlagen hinauf, die nicht mehr irdisch sind. Das ist sehr traurig für die arme Seele, die plötzlich ganz alleine auf der Welt ist, weil Tammu sie verlassen hat. Schlimm ist das, deshalb muss die gute Mojca Erdmann singen, dass ihr guter Mann im sündigen Babylon Inanna, der dort amtierenden Priesterin der Wohllust, in die Arme fiel „wie in den Rachen eines Löwen“. So steht es im Textbuch von Peter Sloterdijk.
Auch Susanne Elmark singt sehr gut, variabel angepasst an das Leben einer religiösen Sexarbeiterin, das sicher auch nicht leicht ist. Vom Tod mal ganz zu schweigen, aber selbst den schafft Otto Katzameier mit seinem gereiften Bariton ganz wunderbar. Die schlechte Nachricht ist halt nur, dass Peter Sloterdijk mit diesen schönen Stimmen macht, was er immer macht: Er plaudert gewichtig über alles mögliche, was ihm so eingefallen ist. Das ist in Talkrunden manchmal recht unterhaltend, öfter aber eher rätselhaft. Dass ein junger Mann schon mal sexuell aufgeregt ist, wie hier jetzt brühwarm erzählt wird, kann eigentlich niemanden verwundern.
In der Philosophie, die Sloterdijk bekanntlich studiert hat, ist das Problem notorisch ungelöst, wie sich Seele und Körper zueinander verhalten. Neu ist nur, dass die eine jetzt auch ganz alleine singen kann, während der andere offenbar ohne sie rumvögelt und trotzdem mit seiner Unterleibsgöttin zusammen in Versen schwelgt wie diesem: „Wo du hingehst, dahin gehe auch ich. Wo du bleibst, da bleibe ich auch.“ Das ist doch schön, oder etwa nicht?
Was soll ein Regisseur damit anfangen? Gar nichts?
In Babylon nicht, meint Sloterdijk, weil ihm dazu die Götter eingefallen sind, die mit Feuerbränden und Wasserfluten so sehr zürnen, dass sogar der dort erfundene Kalender durcheinandergerät. Womit wir bei den Aufgaben des Staates sind, worüber sich Sloterdijk immer gerne Gedanken macht. In Babylon schafft der Königsbass John Tomlinson Ordnung mit Menschenopfern, damit die Götter brav bleiben. Dramaturgisch wohl geformt trifft es gleich beim ersten Mal den ausländischen Juden, was glücklicherweise die vereinsamte Seele mit der wegen des staatlichen Todesopfers frustrierten Priesterin des Körpers zusammenbringt zu einem orphischen Ausflug in die altgriechische Unterwelt. Sie schaffen es tatsächlich, die babylonischen Frauen, und holen den Tammu heim ins Reich, wo nun sogleich ein neuer Regenbogen über einem neuen Bund mit dem Gott der Bibel aufgeht.
Das schreit nach Musik, und Jörg Widmann hat sie geliefert, 45 Jahre alt und mit einer langen Liste gerne und oft gespielter Werke ohnehin eine feste Größe des bundesdeutschen Musiklebens. Er kann alles, hat alles schon gehört und als Klarinettist das meiste davon wohl auch selbst gespielt, Puccini, Wagner, Schönberg sowieso, aber auch wüste Darmstädter Avantgarde mit Clustern und Elektronik. Operettenschlager und Militärmärsche sind ihm auch nicht fremd. Für den redseligen Sloterdijk hat er nun wirklich alles ausgepackt und lässt es gerne so extrem laut spielen, dass absolut niemand überhören kann, wie furchtbar wichtig ihm dieser Allerweltsuntergang ist.
Was soll ein Regisseur mit diesem Gerede und Getöne wichtiger Männer anfangen? Gar nichts, hat sich Andreas Kriegenburg gedacht, und stellte die Figuren an die Rampe. Dort können sie wenigstens ordentlich singen. Sein Bühnenbildner Harald Thor hat ihm für den Hintergrund eine Art Paternoster-Aufzug mit verschachtelten, düstereren Kammern gebaut. Sie fahren auf und ab, meistens gefüllt mit den Mitgliedern des Chores, die sich ängstlich an die Mauern drücken, aber auch mal in transparenten Überzügen für die obligatorische Orgie posieren. Es sieht immer stimmungsvoll aus und ist doch nur Dekoration für ein Stück, das so gerne eine große Oper wäre. Als es zu Ende war, hat es vor der Staatsoper auch noch geregnet.
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