BVG schließt Bahnhöfe für Obdachlose: Bitte alle draußen bleiben
Die BVG plant, künftig ihre Bahnhöfe bei Kälte nicht mehr für Obdachlose geöffnet zu lassen. Neben langfristiger Hilfe ist diese Zuflucht aber notwendig.
Eigentlich haben die „Kältebahnhöfe“ in Berlin schon lange Tradition. Die BVG lässt im Winter zwei ihrer Bahnhöfe offen, in den letzten Jahren waren das Südstern und Lichtenberg, damit obdachlose Menschen dort Zuflucht finden können. Die Zahlen der dort unterkommenden Wohnungslosen hätten sich im vergangenen Winter teilweise verzehnfacht, das Schutzangebot wird angenommen. Damit soll im kommenden Winter Schluss sein. Die BVG kündigte an, dass sie diese letzte Schutzeinrichtung vor der Kälte nicht mehr zur Verfügung stellen werde. Das Unternehmen begründete dies mit Sicherheitsbedenken, wie die Berliner Morgenpost als erste berichtete.
Kritik an der Ansage kam sowohl von politischer als auch gesellschaftlicher Seite. Die Caritas nannte den Vorstoß einen „Ausdruck sozialer Kälte in dieser Stadt“. Oppositionspolitiker monierten, die Berliner Politik ginge nicht genug gegen die Ursachen der Obdachlosigkeit vor, sondern arbeite sich nur an den Symptomen ab. Die BVG-Chefin Sigrid Nikutta verteidigte das Vorgehen. Da viele der Schutzsuchenden unter Drogeneinfluss seien, bestehe nahe der Gleise und Starkstromleitungen in den Bahnhöfen Lebensgefahr. Zustimmung bekam sie von Fahrgastverband: Die Obdachlosigkeit sei ein Problem, das in die Verantwortung der Politik falle.
Selbstverständlich braucht es eine Ursachenbekämpfung der Obdachlosigkeit, die dafür sorgt, dass Menschen gar nicht erst auf der Straße landen. Ebenso muss die Politik nachhaltige Angebote für obdachlose Mitmenschen schaffen, die sie für immer aus der prekären Lage herausholen. Übergangsangebote wie die Kältehilfe sollten keine Dauerlösung für die Betroffenen bleiben, genauso wenig wie die Übernachtung in Bahnhöfen. Der Sprecher für Armutsbekämpfung der Grünen-Fraktion, Stefan Ziller, forderte deswegen schon, dass BVG und zuständige Senatsverwaltung eine gemeinsame Lösung suchen. Dem sollen sich auch Projekte der Wohnungslosenhilfe anschließen.
Aber die Menschen sind jetzt obdachlos. Sie brauchen jetzt Hilfe. Sie müssen jetzt vor der Kälte bewahrt werden. Und da kann noch so effektiv an einer Ursachenbekämpfung gearbeitet werden – bis zum Winter wird nicht jede*r in Berlin eine Wohnung, ein Dach über dem Kopf haben. Deswegen ist es falsch, obdachlosen Menschen die letzte Zuflucht zu nehmen, und sei sie noch so trostlos wie ein Bahnhof.
„Zu sagen: Jetzt haben wir genug Betten, jetzt müssen sie nicht mehr in die U-Bahnhöfe, das funktioniert nicht“, sagte Caritas-Sprecher Thomas Gleißner der Berliner Morgenpost. Denn nicht alle ohne Dach über dem Kopf können oder wollen zur Kältehilfe, sei es wegen Drogenabhängigkeit, Hundebesitz oder schlechter Erfahrungen. Für sie braucht es eine Akutlösung gegen kalte Winternächte – was langfristige Betreuung, Hilfe und Strategien ja keineswegs ausschließt.
Leser*innenkommentare
Stefan Mustermann
BVG will zwar in der Bevölkerung so wahrgenommen werden, dass Menschen in etwa so denken: "Typisch Berlin".
Aber Berlin steht für die Vielfalt, Weltoffenheit und Toleranz!
Und BVG gehört dem Land Berlin!
Warum werden Obdachlose Menschen nicht toleriert? Für viele Menschen sind Bahnhöfe eine Möglichkeit um zu überleben und nicht zu erfrieren!
Leider sind in den letzten 10-15 Jahren über 300 Menschen in Deutschland erfroren, wie eine Zeitung berichtete.
Leider verstecken sich viele Behörden und Unternehmen hinter den Vorwänden wie Zuständigkeit oder sehen einfach weg, wenn Menschen hierzulande sterben.
Spitzbube
Es erfrieren so schon jeden Winter Menschen in Berlin. Dann werden es diesmal noch ein paar mehr!
83492 (Profil gelöscht)
Gast
"Aber die Menschen sind jetzt obdachlos. Sie brauchen jetzt Hilfe. Sie müssen jetzt vor der Kälte bewahrt werden."
Das ist wahr. Genauso wahr ist leider auch, dass Politik erst dann Missstände angeht, wenn sie nicht mehr unter den Teppich gekehrt oder auf andere abgewälzt werden können. So zynisch des klingt: es müssen erst ein paar Menschen öffentlichkeitswirksam erfrieren oder unter die Bahn geraten, bis etwas geschieht.
Und nebenbei: die kath. Kirche in Berlin, zu der auch die Caritas gehört, steht nicht so schlecht da. Bei den 41Mio Ausgabe für Baumaßnahmen 2018 wäre bei entsprechender Priorisierung sicher auch der eine oder andere Schlafplatz möglich gewesen. Was da genau gebaut wird, ist leider aus dem Bericht nicht zu entnehmen, getreu Matthaeus 6:3 "Wenn du aber Almosen gibst, so laß deine linke Hand nicht wissen, was die rechte tut,"
www.erzbistumberli...hmen-und-ausgaben/
EricB
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MC
Gegen kostenlosen ÖPNV
Für die Inhaftierung von Menschen, die sich kein Ticket leisten können.
Jetzt will sie auch noch Obdachlosen Kälteschutz verwehren.
Eine echte Menschenfreundin, diese Frau Nikutta.
Uranus
"Da viele der Schutzsuchenden unter Drogeneinfluss seien, bestehe nahe der Gleise und Starkstromleitungen in den Bahnhöfen Lebensgefahr."
WTF? Das klingt so naheliegend und nachvollziehbar, wie die Räumungsbegründung der Besetzung im Hambacher Wald. Wieviele sind dadurch bereits gefährdet worden? Wieviele sind andererseits erforen? "Weil wir Dich lieben"? Weil wir Dich verachten!!!
kalleM
Moin, jetzt kommen ganz alte Erinnerungen bei mir hoch: So ca. 1970 gab es mal im Winter in Stockholm in den Vorgärten der Häuser eine Häufung von erfrorenen menschlichen Leichen. Daraufhin wurden die U-Bahnhöfe in Stockholm wieder die Nacht über NICHT MEHR VERSCHLÖSSEN.
Linksman
BVG & Fahrgastverband haben recht.
Die Bahnhöfe können nicht als Reparaturbetrieb des staatlichen Versagens bei der Bereitstellung von Wohnraum herhalten.
Linkes Ja zum mutigen BVG-Vorstoß:
www.neues-deutschl...rbergsbetrieb.html
88181 (Profil gelöscht)
Gast
@Linksman Ist ja gut und schön und wenn der Senat jetzt nichts tut, dann wird es wieder Kältetote geben.
Hauptsache man hat Recht.
rauchamendedernacht
da wirds ja zeit für einen klassiker:
"Nee, nee, nee, eher brennt die BVG!"
emanuel goldstein
Im Kern hat der Fahrgastverband recht. Es ist die gleiche Nummer wie mit den Tafeln. Wenn derlei Dinge langfristig aus staatlicher Hand ausgelagert werden, schaffen wir munter selbst den Sozialstaat ab. Gleichwohl das Dilemma bleibt, denn geholfen werden muss, wenn es Hilfe bedarf und sich der Staat zurückzieht. Perspektivisch sollte aber darauf hingewirkt werden, dass der Staat seinen Verpflichtungen nachkommt.
88181 (Profil gelöscht)
Gast
Eine skandalöse Entscheidung die möglicherweise Menschen das Leben kosten wird.
"Zustimmung bekam sie von Fahrgastverband: Die Obdachlosigkeit sei ein Problem, das in die Verantwortung der Politik falle."
Und hier würde ich sagen: Fahrgastverband, this is not in my name.