BVG-Streik: Der Streik ist recht und billig - und teuer
Je länger der BVG-Streik dauert, desto offensichtlicher wird, dass er die Arbeitgeber nicht trifft. Vor allem sozial schwache Berliner BürgerInnen zahlen die Zeche für den Ausstand. Es ist Zeit, über neue Formen des Arbeitskampfs nachzudenken.
Große Teile der Bevölkerung zeigen Verständnis für die BVG-Angestellten, die mit dem Streik im öffentlichen Nahverkehr für eine Erhöhung ihrer Löhne kämpfen. Je länger er aber dauert, desto deutlicher tritt ein Missverhältnis in den Vordergrund: Die, die der Arbeitskampf treffen soll - die Arbeitgeberseite mit BVG und der Kommunale Arbeitgeberverband - geben sich ungerührt.
Der Senat spare, so der Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD), täglich eine halbe Million Euro, da während der Streiktage keine Zuschüsse gezahlt werden müssen. Auch bei der BVG hielten sich die Einbußen wegen der fehlenden Einnahmen und Zuschüsse durch die Einsparungen bei den Löhnen und den laufenden Kosten in Grenzen.
Betroffen durch den Streik im öffentlichen Nahverkehr sind dagegen Unbeteiligte. Viele Unbeteiligte sogar, die am unteren Ende der Einkommensskala stehen. Leute, die, weil sie arm sind, auf den öffentlichen Nahverkehr angewiesen sind. Leute, die nicht aufs Auto, aufs Taxi oder, aus gesundheitlichen Gründen, aufs Fahrrad umsteigen können. Leute, die Angst haben, ihren Job zu verlieren, wenn sie nicht pünktlich zur Arbeit kommen.
Zusätzlich trifft der Streik solche Gruppen, die kaum eine Lobby haben: Schüler und Schülerinnen etwa. Und Frauen - wie Jutta Matuschek, Abgeordnete der Linken, erwähnt: "Denn sie bilden zu 60 Prozent die Kundschaft der BVG." Dazu trifft es die Kioskbesitzer auf den U-Bahn-Steigen, die mittlerweile gegen die BVG klagen wollen, und andere outgesourcte Dienstleistungen, die ehemals eigentlich von der BVG selbst getätigt wurden, sei es Reinigung, Wachschutz oder Fahrscheinkontrolle.
Die Beschäftigten in diesem Sektor können ihrem Erwerb nicht nachkommen. Arbeiten sie als Selbstständige oder sind sie auf Honorarbasis angestellt, haben sie Lohnausfälle zu verkraften. Es sei denn, die Reinigungsfirma Sasse und die Wachschutzfirma Securitas zahlen trotzdem. "Wir bemühen uns", sagt ein Sasse-Angestellter dazu.
Der Streik der BVGler bürdet also Dritten eine Streiklast auf, die sich negativ auf deren Einkommen auswirkt. Damit wird das Gegenteil von dem bewirkt, was doch Ziel des Streiks ist: eine gerechtere Entlohnung. Besonders brisant: Viele genau dieser Betroffenen gehören zu den gesellschaftlichen Gruppen, die von der Gewerkschaft ohnehin nicht erreicht und vertreten werden.
Andererseits gibt es auch unbeteiligte Gruppen, die vom Streik im öffentlichen Nahverkehr profitieren: die Taxifahrer, die Fahrradhändler, die RentnerInnen. Denn Rentenerhöhungen werden, so es sie gibt, an Lohnerhöhungen ausgerichtet.
Der BVG-Streik macht mehrere Missverhältnisse deutlich: Zum einen zeigt er, wie die traditionelle und rechtmäßige Arbeitskampfform Streik durch die Privatisierung von Dienstleistungen und die Deregulierung auf dem Arbeitsmarkt unterhöhlt wird. Zum anderen zeigt sie, dass die Gewerkschaften es bisher nicht geschafft haben, auf diese Entwicklung zu reagieren.
Dieses Missverhältnis spiegelt sich zunehmend auch in Kommentaren von Menschen zum Streik. "Der Arbeitsbegriff der Gewerkschaften entspricht nicht mehr der Realität. Erwerbsarbeit funktioniert oft nicht mehr, man muss andere Aktionsformen als Streik suchen", sagt Frauke Hehl von der "Workstation" - einer Plattform für den Austausch zum Thema Arbeit. Es werde ja sehr viel Arbeit geleistet, für die es überhaupt keine Entlohnung gibt, ohne die die Gesellschaft aber nicht funktionieren würde. "Im BVG-Streik spiegeln sich die Ungerechtigkeiten der Verteilung von Arbeit, auch die sozialen Folgen werden deutlich."
In der Gewerkschaft kennt man diese Diskussion, wie Jan Jurczyk, Pressesprecher des Ver.di-Bundesvorstandes bestätigt. Neue Aktionsformen, um auf Deregulierung und Liberalisierung zu reagieren, suche man eher im internationalen Kontext. Zusammen mit Attac mache man auf die Arbeitsausbeutung in der Dritten Welt aufmerksam.
Eine Gewerkschaftsgruppe aber, die sich mit alternativen Arbeitskampfformen beschäftigt, die auf die gesellschaftlichen Veränderungen hierzulande reagieren, gibt es nicht. Von Vorschlägen wie dem, dass die Busfahrer zwar die Strecken bedienen könnten, aber die Fahrkarten nicht kontrollieren, hält Jurczyk nichts. "Das gilt als Unterschlagung. Das Streikrecht hilft dem Busfahrer nicht."
Dass es Aufgabe der Gewerkschaft sein kann, zu erreichen, dass das Streikrecht dem Busfahrer bei so einer neuen Arbeitskampfform hilft, wehrt er ab. "Bei Arbeitskämpfen ist die Arbeitsniederlegung als Maßnahme vorgesehen. Sie bringt den größten ökonomischen Schaden für das Unternehmen", sagt er. Den Einwand, dass das bei der BVG und dem Senat nicht der Fall ist, hält sein Kollege aus dem Ver.di-Landesverband Andreas Splanemann wiederum für pure Rhetorik der Arbeitgeber.
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