BUNDESTAGSPRÄSIDENT THIERSE UND DIE FISCHER-DEBATTE: Rechts und links sind nicht vergleichbar
Wolfgang Thierse hat Recht. Ein geläuterter Rechtsextremist muss Minister werden können. Menschen haben ein Recht auf Umkehr. Auch die Proteste gegen ehemalige Nazis in hohen Regierungsämtern richteten sich seinerzeit vor allem gegen deren Versuche, eigene, individuelle Schuld zu bestreiten. Ein reuiger, rechter Gewalttäter als Innenminister? Warum denn nicht?
Zur Verteidigung der Vergangenheit von Joschka Fischer taugt der Hinweis des Bundestagspräsidenten allerdings nur bedingt. Die militante Linke der 70er-Jahre lässt sich nicht mit rechtsextremistischen Schlägern von heute gleichsetzen. Die eine bekämpfte ein System, die anderen verüben Gewalt gegen die schwächsten Mitglieder der Gesellschaft: Flüchtlinge, ethnische Minderheiten, Obdachlose. Das war und bleibt ein Unterschied.
Um jedem – vor allem einem gewollten – Missverständnis vorzubeugen: Der linke Terrorismus war verbrecherisch und unmenschlich. Wahr ist aber auch, dass damals manche Systemkritiker erst durch eine unangemessene Härte der staatlichen Verfolgung überhaupt in die Kriminalität getrieben worden sind. Das gilt für die deutsche Rechte ebenfalls nicht. Weder früher noch heute.
Joschka Fischer selbst analysiert die Vergangenheit inzwischen auf geradezu haarsträubende Art und Weise. Im Klein-Prozess hat er durchblicken lassen, dass es zur linken Protestbewegung seiner Ansicht nach nicht gekommen wäre, wenn Richard von Weizsäcker seine Rede über deutsche Schuld schon 1965 und nicht erst 1985 gehalten hätte. Meint er das wirklich ernst?
Auch jemand, der blanken Unfug redet, kann Opfer einer Hexenjagd werden. Fischer wird jetzt vorgeworfen, er habe Margrit Schiller 1973 zeitweise in seiner Wohnung beherbergt. Die Behauptung ist nicht bewiesen. Fest steht aber, dass sich die RAF-Angehörige zum fraglichen Zeitpunkt ganz legal auf freiem Fuß befand. Das Nachrichtenmagazin Focus berichtet, Schiller habe 1971 versucht, einen Polizisten zu ermorden. Woher wissen die Kollegen das? Verurteilt wurde sie wegen Unterstützung einer kriminellen Vereinigung, unerlaubtem Waffenbesitz und Urkundenfälschung.
Dem Spiegel von 1974 zufolge hat übrigens auch der Sohn von Heinrich Böll die RAF-Frau zu Hause empfangen. Und als überzeugter Gegner von Gewalt zugleich allen Anwerbeversuchen widerstanden. Der Umgang mit militanten Linken hatte damals viele Facetten. Die Außenpolitik von Joschka Fischer liefert hinreichend Anlass zur Kritik. Die Sezierung seiner Vergangenheit dient aber offenkundig keinem anderen Zweck als dem, ein besonders populäres Regierungsmitglied zu diskreditieren. Das ist abstoßend. BETTINA GAUS
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