BUDANOW-PROZESS: ABGRÜNDE VON HASS UND MÄNNERBÜNDELEI: Ein Mord, der kein Verbrechen sein soll
Um das Militärgericht in Rostow am Don branden die Leidenschaften. Vor dem Gebäude fordern täglich Demonstranten aus ultrapatriotischen Gruppierungen Freiheit für ihren des Mordes angeklagten „Helden Budanow“. Seit dem Überfall tschetschenischer TerroristInnen auf ein Moskauer Musical-Theater können sie auf Resonanz hoffen. Alles Tschetschenische ist der öffentlichen Meinung in Russland seither suspekter denn je.
Die Vergewaltigung und Ermordung der 18-jährigen Tschetschenin Elsa Kungajewa in ihrem Heimatort durch russisches Militär ist ein alltäglicher Vorfall; nicht alltäglich ist, dass er vor Gericht verhandelt wird. Spräche es Budanow schuldig, geriete dies in der öffentlichen Meinung Russlands zu einer Verurteilung aller in Tschetschenien stationierten Truppen. Ein Freispruch hingegen würde die Rechtlosigkeit der Menschen in der separatistischen Republik beweisen. Den Obersten für unzurechnungsfähig zu erklären, ist der einzige Ausweg aus dieser Sackgasse.
Schrecklich ist nicht nur, dass der Oberst die Frau entführt und ermordet hat, schrecklich ist auch, dass dies für die Pro-Budanow-DemonstrantInnen in Rostow eine Tatsache ist, aber kein Verbrechen. Eine dortige Bürgerinitiative will ihn sogar als Kandidaten fürs lokale Parlament aufstellen. Als ein Gutachten Budanow für geistesgestört erklärte, begrüßten dies die Ultras – offenbar als Voraussetzung für seine politische Karriere. Allein sind sie damit nicht, auch der stellvertretende Vorsitzende des Verteidigungskomitees im Föderationsrat, General Manilow, äußerte seine Zufriedenheit über die psychiatrische Expertise und meinte, die Generäle und Offiziere würden bei der Rehabilitierung des Obersten helfen.
Manilow bedauerte das unzulängliche russische Rechtssystem, das Soldaten und Offiziere nach einer „Kampfsituation“ zwinge, „sich zu rechtfertigen“. So sieht es also aus, das Urbild des russischen Offiziers in dieser Armee: ein Mann, der zurechnungsfähig sein muss, wenn es nötig ist, und unzurechnungsfähig sein darf, wenn er es besonders nötig hat. BARBARA KERNECK
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