BSW-Strategie in Sachsen und Thüringen: Nicht ohne Sahra Wagenknecht
Nach den Landtagswahlen kündigt das BSW an, es wolle mitregieren. Doch wie? Da klingen die Landesvorsitzenden unterschiedlich.
In Berlin sagt die sächsische Parteichefin Sabine Zimmermann als Allererstes: Frieden. Das Thema brenne „den Menschen unter den Nägeln“. Wenn das BSW mitspielen solle, dann müssten CDU und SPD „grundsätzlich ihre Politik verändern“. Das klingt auftrumpfend. Es ist Tag eins nach der Wahl. Noch hat Sachsens CDU-Chef und bisheriger Ministerpräsident Michael Kretschmer das BSW noch nicht zu Sondierungen eingeladen. Niemand erwartet, dass man jetzt schon Kompromisslinien skizziert. Aber wenn nicht alles täuscht, rührt Zimmermann schon mal Beton an.
Mit der „Friedensfrage“ meint das BSW, dass jede Landesregierung, an der sich die junge Partei beteiligt würde, die für 2026 geplante Stationierung von US-Raketen ablehnen müsse. Weniger Waffen für die Ukraine, mehr Diplomatie. Das sagt Parteichefin Sahra Wagenknecht, die neben Zimmermann in die Kameras schaut. Das müssten dann auch Michael Kretschmer und Mario Voigt, der CDU-Landesvorsitzende in Thüringen. „Das Friedensthema ist für uns unverhandelbar“, so Wagenknecht. Das klingt nicht nach Beton, sondern nach Granit.
Man muss solche Sätze am Tag danach immer in Anführungszeichen setzen. Aber in der gemeinsamen Pressekonferenz ist unüberhörbar: Wagenknecht und Zimmermann benutzen andere Worte als Katja Wolf.
Koalitionsgespräche auf Augenhöhe?
Die Thüringer BSW-Chefin und selbstbewusste Ex-Oberbürgermeisterin von Eisenach klingt anders. Sie betont, dass, wenn BSW mitregiert, es für die Thüringer „spürbar besser werden“ müsse. Beim öffentlichen Nahverkehr, bei der Infrastruktur im ländlichen Raum und bei der Schulpolitik.
Dass Mario Voigt Appelle gegen Raketen und gegen Waffen für die Ukraine unterschreiben und vertreten muss, hört man von Wolf nicht. Genau genommen nennt sie Raketen oder Waffenlieferungen an die Ukraine gar nicht. Diese Wortwahl deutet schon mal die Richtung an: Wolf, die ja aus der Linkspartei ausgetreten ist, um eine Regierung ohne AfD in Erfurt zu ermöglichen, zieht keine Mauern hoch. Wagenknecht und an ihrer Seite Zimmermann sehr wohl.
Allerdings steht das BSW Sachsen auch vor einer ziemlich herausfordernden Situation. Die neue Fraktion will sich am Dienstag treffen. Sonntagabend bei der BSW-Wahlparty in einem Dresdner Hotel weiß Parteichefin Zimmermann noch nicht, wo. Man hat ja keine eigenen Räume. Alles ist frisch, neu, improvisiert. Nur drei der BSWler haben Erfahrung mit Parlamenten. Zimmermann war lange für die Linkspartei im Bundestag. Lutz Richter und Janina Pfau waren beide bis 2019 für die Linkspartei im Dresdner Landtag. Aber die meisten sind neu dabei.
Diese zusammengewürfelte Truppe – ein Viertel der Partei sitzt jetzt im Landtag – bekommt es bei Sondierungen mit der CDU zu tun, die seit 34 Jahren regiert. Keine einfache Situation. Auch jene, die ein paar raketenkritische Sätze eher für Spielmaterial bei den Deals um Kompromisse und nicht für „unverhandelbar“ halten, sehen das Risiko, dem geölten Machtapparat der CDU und auch der SPD nicht auf Augenhöhe zu begegnen.
Lutz Richter ist Vizelandeschef des BSW Sachsen und ein Politprofi, der im sächsischen Landtag Obmann der Linken im NSU-Untersuchungsausschuss war. Er sieht in Sachen Mitregieren für die neue BSW-Fraktion Vor- und Nachteile. So könnten eigenen Ministerien auch einiges erleichtern. Der 50-jährige Richter will sich im Landtag für mehr direkte Demokratie einsetzen.
Am Sonntagabend im Dresdner Hotel skizziert Richter Kriterien für das BSW. Man müsse unbedingt versuchen, die Schuldbremse zu verändern. Und um den Ärztemangel in der Provinz zu beheben, könne man eine Landarztprämie ins Auge fassen. Das BSW, so Richter, sei eine Partei für die ländlichen Regionen. Die Linkspartei habe sich auf urbanes Publikum verengt und völlig den Draht zur Provinz verloren. Deswegen sei Richter im Januar 2024 zum BSW gewechselt. Die Wahlergebnisse geben Richte recht. Die Linkspartei ist zu einer Partei der Zugezogenen in den Metropolen Dresden, Chemnitz, Leipzig geworden.
Aber glaubt Richter wirklich, dass sich Sahra Wagenknecht wirklich für die Dörfer in Sachsen interessiert? Naja, sagt er lachend, dafür sind wir ja da. Der Riss zwischen BSW und Linkspartei ist Richter sehr vertraut. Seine Frau Ina ist noch Genossin in der Linkspartei und im Stadtrat in Pirna.
Reicht eine Stimme?
In Thüringen ist die Situation ein bisschen anders. Zwar sah es am Sonntag in den ersten Prognosen so aus, als könnten CDU, BSW und SPD ebenfalls koalieren, doch das änderte sich bis zum vorläufigen Endergebnis. Nun ist klar: Es fehlt eine Stimme für die Mehrheit.
Doch selbst wenn die eine Stimme hinzukäme, etwa weil ein Linker zum BSW überläuft: Stabil wäre eine solche Koalition nicht. Einzelne Abgeordnete könnten viel Druck ausüben. Und gerade bei jungen Parteien wie dem BSW sind Fraktionsaustritte durchaus möglich. So verlor zum Beispiel die Thüringer AfD in ihren ersten beiden Legislaturen je drei Fraktionsmitglieder.
Um die AfD sicher zu umgehen, braucht es doch die alte Linke um den bisherigen Ministerpräsidenten Bodo Ramelow. Vielleicht entwickelte sich deshalb keine ausgelassene Stimmung auf der BSW-Wahlparty im Erfurter Dompalais. Und so gaben auch manche Mitglieder zu: Das BSW-Ergebnis von 16 Prozent sei gut, aber 20 Prozent, wie in den Umfragen, wäre schöner gewesen.
Wie in Sachsen sind auch in Thüringen die meisten der zukünftig 15 Fraktionsmitglieder politische Neulinge. Das sagt am Rande der Wahlparty in Erfurt auch Steffen Quasebarth, bis Juni Moderator beim MDR in Thüringen, seitdem Platz 3 auf der BSW-Liste. „Die 15 Leute, die jetzt von uns in den Landtag kommen, kennen persönlich nur wenige der anderen Abgeordneten. Ich glaube, es ist wichtig, dass wir uns zunächst einmal in Gesprächen kennenlernen, um Vertrauen aufzubauen.“ Macht Quasebarth sich keine Sorgen? Nein. Das sei zwar eine Herausforderung, aber das BSW habe „ein Expertenteam im Hintergrund“.
Auch andere zukünftige BSW-Abgeordnete geben sich auf der Wahlparty betont sorglos: „Wir haben ja auch erfahrene Personen dabei“, sagt zum Beispiel Sigrid Hupach. Sie selbst gehört da sicher dazu. Hupach war von 2013 bis 2017 für die Linke im Bundestag. Ansonsten fallen immer wieder die Namen Katja Wolf oder auch Tilo Kummer.
Kummer saß von 1999 bis 2019 für die Linke im Thüringer Landtag. Nun ist er Landesgeschäftsführer des BSW und muss viel organisieren. Weil er die meiste Fraktionserfahrung hat, soll er die neue aufbauen: Geschäftsordnung festlegen, Vorstand wählen und Mitarbeitende einstellen. Parallel dazu stehen der weitere Parteiaufbau an – und Sondierungsgespräche.
Dafür hat das BSW Thüringen schon ein Sondierungsteam aufgestellt. Wer dabei ist, will die Partei noch nicht sagen. Aber: Alle seien aus Thüringen. Anders als in Sachsen war die CDU seit zehn Jahren zwar nicht mehr in der Landesregierung – hat aber trotzdem einige Erfahrung in Sondierungsgesprächen. Zudem ist über CDU-Chef Voigt bekannt, wie gerne er Ministerpräsident werden möchte.
Sondierungsgespräche mit Oskar
Wer die Macht im BSW Sachsen haben wird, ist weiter hundertprozentig klar. Allerdings gibt es eine Fünfer-Gruppe, die die Sondierungen mit der CDU vorbereiten und die Haltelinien fixieren wird. Zimmermann und ihr Co-Chef, der Unternehmer Jörg Scheibe, werden in dem Team sein. Zudem jemand vom BSW aus Berlin und laut Gerüchten auch Oskar Lafontaine, Ex-SPD-Chef, Ex-Linkspartei-Chef und Wagenknechts Ehemann. Wagenknecht, so kann man deuten, will den Daumen drauf haben. Die SPD in Sachsen dürfte darüber, wenn es stimmt, nicht erbaut sein.
Am Montag in Berlin bekräftigt sie, dass sie bei Verhandlungen natürlich eine Rolle spielen will. Nicht in Expertengruppen, aber bei den „großen Linien“ wie Waffen und Raketen. „Wer mit uns koalieren will, muss mit mir sprechen“, sagt Wagenknecht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Scholz bezeichnet russischen Raketeneinsatz als „furchtbare Eskalation“