BILANZPOLIZEI: OHNE REFORM DES AKTIENRECHTS BLEIBT SIE WIRKUNGSLOS: Vorschlag mit beschränkter Haftung
Gleich zwei Bundesministerien prüfen derzeit, wie Bilanzbetrug bei Unternehmen besser bekämpft und erkannt werden könnte. Noch vor den Wahlen soll es Einzelheiten zu einer wie auch immer gearteten „Bilanzpolizei“ geben, hieß es inoffiziell. Genaueres war nicht zu erfahren. Die Ungenauigkeit verwundert keinen Beobachter. Denn diese Bundesregierung kann vor den Wahlen überhaupt nichts mehr beschließen, noch dazu in der komplizierten Frage der effektivsten Kontrolle von Bilanzen. Und nach den Wahlen ist das Thema nicht mehr auf der Agenda, hoffen die jetzigen Minister oder ihre Nachfolger der anderen Parteien. Denn Gelegenheiten, das deutsche Aktien- und Strafrecht den modernen Wirtschaftsbedürfnissen anzupassen, werden seit Jahrzehnten verpasst – zuletzt beim seit Juli gültigen vierten Finanzmarktförderungsgesetz. Dieses Regelwerk zur Förderung der Kleinaktionärskultur geht, wie die Gesetze anderer Regierungen davor, nicht weit genug – obwohl gerade in den letzten Jahren viele Anleger durch Lügen in Vorstandsetagen und zweifelhafte, von namhaften Großbanken durchgeführte Börsengänge Geld verloren hatten.
Die jetzt angekündigte Bilanzpolizei würde nur etwas bezwecken, wenn die Haftung der Vorstände und ihrer externen Bilanzprüfer klarer geregelt wäre. Bis jetzt konnte sich die übergroße Mehrzahl der Beklagten vor Bußgeldern, Haftstrafen oder gar Schadenersatzzahlungen an geprellte Aktionäre retten. Bilanztester nach Art eines jüngsten US-Gesetzes könnten nur effektiv arbeiten, wenn auch weitreichend Paragrafen in zugehörigen Gesetzen angepasst würden. Und solche Anpassungen konnte die Industrie bisher noch jeder Bundesregierung und jedem Parlament ausreden. Von dem Gemenge zwischen Landesjustizbehörden und Bundesgesetzen ganz zu schweigen.
Einfacher als ein Revirement des Handelsrechts wäre vielleicht eine genaue Veröffentlichungspflicht: Wer verdient genau wie viel und woran in einem Firmenvorstand? Welche (Schadenersatz-) Verfahren laufen gegen eine Firma und ihre Repräsentanten? Welche umwelt- und damit potenziell bilanzschädigenden Substanzen werden verwendet, welche Investitionen bei menschenrechtsverachtenden Regimen gibt es? Wer hält welche Stimmrechte mit welchen Optionen? Alles müsste leicht per Internet einsehbar sein, in einem kostenlosen zentralen Register, wie es etwa bei der US-Börsenaufsicht SEC existiert. So etwas dürfte sich technisch in Zeiten des weltweiten Webs organisieren lassen. Außerdem würden solche Informationen Anleger schon im Vorfeld warnen – nicht erst, wenn der Insolvenzverwalter schon im Hof der Firma vorfährt. REINER METZGER
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