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Autorin über digitale Bildkultur„Plötzlich bist du eine Katze“

Fotofilter spiegeln unsere Gesellschaft, sagt Autorin Berit Glanz. Ein Gespräch über medienkritische Wachsamkeit und das Spielerische an Bildern von uns im Web.

Welches Bild dieser junge Mensch wohl gerade von sich auf dem Handybildschirm sieht? Foto: Peter Dazeley/getty images
Sophia Zessnik
Interview von Sophia Zessnik

taz: Frau Glanz, unlängst sorgte der Tiktok-Filter „Bold Glamour“ für Aufregung im Netz. Er lässt unsere Haut unter anderem ebenmäßiger erscheinen und macht einen so vermeintlich schöner. Was passiert da mit unseren Sehgewohnheiten?

Berit Glanz: Eine verbreitete These ist: so ein Filter sorge dafür, dass wir uns im realen Raum alle hässlich fühlen, weil wir uns virtuell schöner begegnen. Ich würde eher sagen, solche Filter bringen uns bei, zu verstehen, dass im virtuellen Raum alles gefiltert ist – also genau durch diesen massiven Kontrast.

Also glauben Sie nicht, dass Filter wie diese eine negative Auswirkung auf unser Selbstbild haben?

Ich weiß schon, eine gängige Annahme ist, Filter wie der „Bold Glamour“ sorgten dafür, dass man sich nach Benutzung selbst nicht mehr mag und dann mit Botoxspritzen oder Schönheitsoperationen nachhelfen will. Ich würde nicht sagen, dass das zwingend so ist. Gerade bei Tiktok geschieht der Einsatz von Filtern eher spielerisch. Besonders junge Menschen haben ja eine ganz andere Medienkompetenz, sie sind schließlich mit dem Internet groß geworden.

Wie ich auch bei mir selbst feststellen konnte, funktionieren Filter wie der „Bold Glamour“ nicht bei allen Menschen gleich gut. Während manche schön werden, sehen andere seltsam aus. Woran liegt das?

Der Filter sorgt bei allen Gesichtern für größere Augen, vollere Lippen und glattere Haut. Außerdem modifiziert er Kinn- und Wangenpartie. Das funktioniert nicht bei allen Gesichtern gleich gut, weil nicht alle Gesichter mit aufgeplusterten Lippen oder einer definierten Kinnpartie besser aussehen. Menschen sind halt sehr verschieden und dementsprechend wirken auch die Verfahren dieser Filter nicht immer gleich.

Ein Bild der Autorin mit dem „Bold Glamour“-Filter Foto: Berit Glanz

In Ihrem Essayband zeigen Sie auf, dass Filter „sexistische und rassistische Stereotypen“ reproduzieren. Können Sie das erläutern?

Die Ideale, an denen sich Filter orientieren, basieren auf gesellschaftlichen Vorstellungen von Schönheit und diese sind oftmals sexistisch und auch rassistisch. Viele Beauty-Filter hellen beispielsweise die Haut auf, weil das der weitverbreiteten westlichen Schönheitsnorm entspricht. Das ist natürlich extrem rassistisch. Das ist aber ein gesellschaftliches Problem, das sich eben auch in technologischen Entwicklungen zeigt.

Sie meinen also, man müsse bereits vor der technologischen Entwicklung ansetzen?

Klar. Filter sind Spiegel unserer Gesellschaft. Und als solche zeigen sie auch, was schiefläuft.

Während der Pandemie hat die Anzahl derer zugenommen, die an Essstörungen erkrankt sind. Besonders weiblich gelesene Kinder und Jugendliche sind betroffen und es wird von einem Zusammenhang zur vermehrten Nutzung sozialer Medien ausgegangen. Wie erklären Sie sich das?

Unsere Sehgewohnheiten mussten sich in den letzten Jahren schnell umstellen und anpassen. Gerade in den ganzen Videokonferenzen ist man neben anderen ständig auch sich selbst begegnet. Vorher war es eher selten, dass man sich beim Sprechen selbst beobachten konnte. Jetzt wissen wir, wie wir aus unterschiedlichen Winkeln aussehen; nicht immer toll. So etwas hat natürlich seine Auswirkungen. Auch hier gibt es genug Studien, die zeigen, dass vor allem weiblich gelesene junge Menschen sich nach der Nutzung von Instagram nicht unbedingt besser fühlen.

Ein Bild der Autorin mit dem Snapchat-Hundefilter Foto: Berit Glanz

Das ist aber nicht nur die Filtertechnologie, die das macht, sondern auch der Inhalt der Bilder. Hier ist der soziale Graph ganz entscheidend: Mit wem vergleiche ich mich wie? Und da kommt wieder die Medienkompetenz ins Spiel. Diese technologischen Entwicklungen gehen ja nicht wieder weg. Was wir also lernen müssen, ist ein Umgang mit ihnen und dass wir diesen auch an unsere Kinder vermitteln.

Nun sind Eltern je nach Generation oft auch nicht geschult im Umgang mit (sozialen) Medien.

Ja, das ist ein Problem. Eigentlich muss man gemeinsam mit Kindern oder Jugendlichen in die sozialen Medien reingehen. Oder selbst so viel Zeit dort verbringen, dass man versteht, was für Themen und Debatten da gerade wichtig sind. Wer beispielsweise jetzt einen Sohn im Teenageralter hat und nicht weiß, wer Andrew Tate ist, der hat ein Problem. Weil man den Einstiegsmoment in diese antifeministische Radikalisierung nicht greift.

Sie plädieren dafür, dass Eltern gemeinsam mit ihren Kindern Plattformen wie Tiktok erkunden und sie spielerisch nutzen. Sind Filter etwa das neue Verkleiden?

Das könnte man so sagen. Filter können ja superwitzig sein: Plötzlich bist du eine Katze oder befindest dich auf einer Bühne; das finden Kinder (und nicht nur die) toll. Ich glaube, da hat man schon erst mal einen guten Einstieg, wenn man das gemeinsam macht. Aber klar, das muss begleitet werden und das passiert aktuell nicht kompetent genug, weder von Bildungsinstitutionen noch von vielen Eltern. Das liegt auch daran, dass sich dieses Feld so wahnsinnig schnell entwickelt. Und die Zeit aufzubringen zu sagen: Jetzt lerne ich Tiktok oder etwas über Incel-Radikalisierung, das ist einfach viel Arbeit!

Im Interview: Berit Glanz

Berit Glanz ist 1982 in Norddeutschland geboren und studierte Theaterwissenschaft, Neuere Deutsche Literatur und Skandinavistik. Ihr Debütroman „Pixeltänzer“ erschien 2019. Als Kulturjournalistin schreibt sie über Memes, digitale Literatur und andere Aspekte der Internetkultur. Sie ist Redaktionsmitglied des digitalen Feuilletons 54books und schreibt eine Kolumne für die FAS. Seit dem Sommer 2021 lebt Berit Glanz mit ihrer Familie in Reykjavík.

Leider sind es vor allem weiblich gelesene Menschen, denen der Spaß an Social-Media-Plattformen oft genommen wird. Ein Beispiel, das Sie in Ihrem Buch anführen und das das gut illustriert, ist der Snapchat-Hundefilter. Wollen Sie das kurz ausführen?

Der Hundefilter ist ein extremes Beispiel dafür, wie Teile der Gesellschaft anderen Dinge, die sie schön finden, nehmen und kaputt machen. Das ist eigentlich ein harmloser AR-Filter, der einem Hundeohren und -nase aufsetzt. Der wurde eine Zeit lang gern von jungen Frauen genutzt, der Filter wurde dann als „Hoe Filter“ sexualisiert und diskreditiert. Aber das hängt mit den sexistischen Mechanismen zusammen, die offline wie online tief verankert sind. Schön hier war, dass es in Reaktion darauf ein Trend wurde, die Bezeichnung „Hoe“ in Verbindung mit dem Filter aufzugreifen und sich subversiv anzueignen.

AR steht für Augmented Reality, Filter wie der „Bold Glamour“ benutzen aber AI, also Artificial Intelligence. Könnten Sie den Unterschied erklären?

Bei AR ist das Bild von der Realität ein statisches, und da drauf wird was gelegt. Der Computer erkennt dein Gesicht, weiß, wo Augen und Nase sind und legt auf Letztere etwa eine Hundenase drauf. Da entstehen zwei Bilder übereinander. Bei AI gibt es nur ein Bild und das wird live berechnet. Es wird also nichts auf die Realität raufprojiziert. Der Unterschied ist, dass ich mich jetzt auch mit dem Filter bewegen oder reden kann und er passt sich an, weil er immer live weiterrechnet. AI-Filter sind nicht komplett neu und waren auch schon Teil einiger AR-Filter, aber sie werden immer überzeugender, weil die Rechenleistung immer besser wird. Das wird sicher noch spannend.

Sind Filter Kunst?

Ja, würde ich schon sagen. Die Leute programmieren Filter erst mal als digitale Kunst. Die Übergänge hier sind, wie auch sonst in der Kunst fließend. Da kommen Modelabels, die die Filter nutzen wollen, und das geht sofort in Werbung über. Das läuft alles ineinander, weil Filter natürlich unglaublich gute Markenvehikel sind. Tolle Filter werden von wahnsinnig vielen verwendet. Das ist natürlich eine Sichtbarkeit für eine Marke, die kann man kaum anders erreichen. Leute, die diese ästhetischen Filter produzieren, sind sofort nachgefragt. Das ist eine Fähigkeit, für die gut bezahlt wird, das ist ja nicht in allen Bereichen der Kunst so.

Das Buch

Berit Glanz: „Filter“. Reihe Digitale Bildkulturen. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2023, 80 Seiten, 12 Euro

Mal sehen, wie lange das so bleibt, wenn Open AIs wie ChatGPT das alles irgendwann besser können als Menschen. Zu unterscheiden, was real ist und was inszeniert, wird wohl immer schwieriger. Oder?

Ich glaube, es wird immer ein Katz-und-Maus-Spiel sein zwischen technischer Entwicklung und der menschlichen Reaktion darauf. Was sich ändern muss, ist eben tatsächlich die Medienkompetenz und die Rezeption von Bildern und Bewegtbildern. Und nicht nur da: Auch die Stimmfilter, die gerade alle auf den Markt kommen, werden noch eine große Rolle spielen.

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1 Kommentar

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  • Nicht nur, dass man sich nach dem Filtern evtl. selbst nicht mehr im Spiegel anschauen mag, sondern andere, die einen zuvor online gesehen haben denken bei analoger Begegung womöglich „DIE sieht aber schlecht aus“. Frau sollte es also nicht übertreiben und den Regler, mit dem man den Filter einstellen kann nicht bis zum Anschlag hoch schieben! Außerdem besteht sonst noch die Gefahr, dass die Teilnehmenden an Online-Treffen nicht mehr unterscheiden können, ob jemand nun echt ist, oder seinen Avatar geschickt hat.

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