Autorin über Stauffenberg-Attentat: „Eine Verengung aufs Militärische“
Vor 80 Jahren scheiterte das Hitler-Attentat der Offiziere um Stauffenberg. Das Gedenken blende die vielen zivilen Unterstüzter aus, so eine Expertin.
taz: Frau Hoffmann, war das Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 wirklich die Tat einiger Weniger?
Ruth Hoffmann: Nein, im Gegenteil. Hinter dem Hauptakteur, Oberst Claus Schenk Graf von Stauffenberg, stand ein breites Bündnis. Rund 200 Menschen waren an der konkreten Vorbereitung beteiligt, zum weiteren Netzwerk zählten mehrere Tausend. Da das Attentat einen Umsturz einleiten sollte, standen Zivilisten in ganz Deutschland parat, um Posten in Politik und Verwaltung zu übernehmen.
Seit wann wurde der Umsturz vorbereitet?
Das Attentat war der Endpunkt einer Entwicklung über viele Jahre, einschließlich mehrerer gescheiterter Attentate. 1938 gab es erste Vorbereitungen für einen Staatsstreich, aber bis zum 20. Juli 1944 haben die Beteiligten gewechselt – weil Leute der Mut verließ, weil sie verhaftet oder an die Front gerufen wurden. Stauffenberg selbst stieß erst im Herbst 1943 dazu. Bis dahin war er überzeugter Nazi gewesen. Vor ihm war Henning von Tresckow die treibende Kraft, der seit 1939 nach Wegen suchte, Hitler zu töten. Andere, wie der Sozialdemokrat Julius Leber, der 1944 dabei war, waren gleich 1933 für mehrere Jahre im KZ verschwunden.
Aus welchen politischen Milieus kamen die Unterstützer?
Aus allen. Da waren Berufsoffiziere wie Stauffenberg oder Tresckow, der bürgerlich geprägte Kreisauer Kreis um Helmut James von Moltke, aber auch Arbeiter, Sozialdemokraten und Gewerkschafter wie Wilhelm Leuschner. Außerdem Christen beider Konfessionen und Nationalkonservative wie Carl Goerdeler. Im Juni 1944 hatten Verschwörer um Stauffenberg sogar zum kommunistischen Untergrund Kontakt aufgenommen, weil man für den Umsturz die breite Unterstützung der Bevölkerung brauchte. Das ist das Besondere am 20. Juli: dass Menschen über große soziale und weltanschauliche Gräben hinweg kooperierten. Leider hat sich die Rezeption des 20. Juli auf den konservativ-militärischen Teil verengt. Damit geben wir die schönste Botschaft dieses Tages aus der Hand.
Warum verübten eigentlich junge Offiziere das Attentat – und nicht die Generäle?
Die Verschwörer haben bis zuletzt um die Unterstützung der Generäle gekämpft, aber die haben sich auf ihren Eid zurückgezogen und weiter Krieg geführt, obwohl die militärische Aussichtslosigkeit spätestens 1942 offensichtlich war – und die Verbrechen sowieso. Das ist unverzeihlich. Dass es den Widerständlern nicht gelang, die Generäle für den Staatsstreich zu gewinnen, ist ein wesentlicher Grund für das Scheitern des 20. Juli.
Inwiefern?
Als Befehlshaber hätten die Generäle maßgeblich etwas bewirken können, etwa, indem sie ihre Truppen oder Teile davon in den Dienst des Umsturzversuchs gestellt hätten. Das wäre auch nach dem gescheiterten Attentat noch möglich gewesen, wie das Beispiel des in Paris stationierten Generals Carl Heinrich von Stülpnagel zeigt, der am 20. Juli 1944 Gestapo- und SS-Einheiten verhaften ließ.
Wieso war eigentlich jeder Zweite der Verschwörer adlig?
Der hohe Adelsanteil unter den Verschwörern bedeutet nicht, dass diese Schicht dem Widerstand per se nahestand. Im Gegenteil: Innerhalb des Adels war der Anteil der Widerständler minimal. Aber viele Adlige standen dem NS-Regime nahe und waren in Machtpositionen gekommen, die für einen Sturz des Regimes von Nutzen sein konnten. Und eine kleine Minderheit von ihnen hat sich zum Widerstand entschlossen.
Nach dem gescheiterten Attentat feierte das Volk Hitler. Wie kam das?
Der Historiker Hans Mommsen hat den deutschen Widerstand als „Widerstand ohne Volk“ bezeichnet. Tatsächlich hielt die Mehrheit Hitler bis zuletzt die Treue. Auch wenn wir von mehreren Tausend im Verschwörer-Netzwerk sprechen, war das gegenüber 65 Millionen Deutschen eine winzige Minderheit. Im ganzen Land gab es – freiwillige – Solidaritätsbekundungen für den „Führer“, der angeblich „durch die Vorsehung geschützt“ sei.
Wie lange galten die Verschwörer nach dem Krieg noch als „Verräter“?
Der hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer erreichte 1952 die Verurteilung des früheren Wehrmachtsoffiziers Otto Ernst Remer, der als Zugpferd der rechtsextremen Sozialistischen Reichspartei (SRP) Wahlkampf mit der Verunglimpfung der Widerständler des 20. Juli betrieb. Damit gelang Bauer die juristische Rehabilitierung der Verschwörer. Erstmals sagte ein deutsches Gericht: Das NS-Regime war ein Unrechtsstaat, und dagegen war Widerstand geboten. In großen Teilen der Bevölkerung hielt sich der Verratsvorwurf+ aber bis in die 1970er-Jahre. Und die Urteile des „Volksgerichtshofs“ wurden erst 1998 offiziell aufgehoben, die der Militärjustiz wegen „Kriegsverrats“ erst 2009.
*1973, hat Ethnologie, Geschichte und Politik studiert, ist Absolventin der Henri-Nannen-Schule und seit 2006 freie Journalistin. Sie lebt in Hamburg.
„Das deutsche Alibi. Mythos ‚Stauffenberg-Attentat‘ – wie der 20. Juli 1944 verklärt und politisch instrumentalisiert wird“: Goldmann, München 2024, 400 S., 24 Euro; E-Book 17,99 Euro
Wann setzte die Heroisierung der Attentäter ein?
Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) hat gegenüber den Alliierten früh auf sie verwiesen. Zugleich sorgte die Regierung mit Zustimmung des Bundestags dafür, dass NS-Beamte und -Richter wieder auf ihre Posten kamen. Der Erste, der die Attentäter auf großer Bühne würdigte, war 1954 Bundespräsident Theodor Heuss (FDP). Danach haben sich Gedenkfeiern eingebürgert, die aber vor allem auf den militärischen Teil der Verschwörung fokussiert waren.
Warum diese Verengung?
Hier hat die Gründung der Bundeswehr eine wichtige Rolle gespielt. Für sie sollte der 20. Juli zum einen die Existenzberechtigung liefern, zum anderen traditionsstiftend sein. Denn das Personal speiste sich überwiegend aus der alten Hitler-Armee. Adenauer hat darum schon 1950 Männer aus dem Umkreis des 20. Juli mit der Vorbereitung der Wiederbewaffnung beauftragt. Und das, obwohl er ansonsten kein Wort zum Widerstand verlor.
Wie kam es zur starken Militärpräsenz bei den Gedenkfeiern?
Für die allmähliche Verankerung eines positiven Bildes vom 20. Juli hat der Traditionsbezug der Bundeswehr eine wichtige Rolle gespielt. Insofern sehe ich ihre Präsenz auch bei den Gedenkfeiern nicht nur kritisch. Problematisch finde ich aber, dass der zivile Teil der Verschwörung dabei schon rein optisch ins Hintertreffen gerät. Das alljährliche Gelöbnis der neuen Rekruten am 20. Juli, das Verteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD) 1999 einführte, betont das Militär noch einmal besonders. Dass diese Dominanz viele Angehörige und Nachkommen des zivilen Widerstands stört und kränkt, kann ich gut verstehen.
Warum ist kaum bekannt, dass auch Kommunisten in die Verschwörung einbezogen werden sollten?
Das ist ein Ergebnis des Ost-West-Konflikts: In der BRD wurde der kommunistische Widerstand auch deswegen abgewertet, um sich gegen die DDR abzugrenzen. Denn dort galt der kommunistische Widerstand als der einzig wahre – und der 20. Juli als Aufstand reaktionärer Offiziere. So wurde auch das Gedenken ein Opfer der deutschen Teilung.
Und darunter litt auch der sozialdemokratische Anteil am Attentat des 20. Juli?
Die ersten 20 Jahre konservativer Regierung nach dem Krieg haben entscheidende Weichen gestellt. Der Emigrant Willy Brandt (SPD) wurde von der CDU als „vaterlandsloser Geselle“ diffamiert, wie alle Exilanten. Diese Abwertung des linken Widerstands und das konservative Narrativ halten sich bis heute. Es ist nicht zu verstehen, warum die SPD dem so wenig entgegenhielt und nicht viel entschiedener auf die Widerstandskämpfer in den eigenen Reihen hinwies.
Fazit: Inwiefern ist der 20. Juli ein „deutsches Alibi“?
Insofern, als er sich von unterschiedlichen politischen Gruppierungen und der deutschen Bevölkerung insgesamt instrumentalisieren lässt. Vor einigen Jahren ergab eine Umfrage, dass fast jeder dritte Deutsche glaubt, seine Vorfahren hätten Widerstand geleistet, indem sie Verfolgten halfen. Das ist leider weit jenseits der Realität. Aber daran sieht man, wie stark sich das Entlastungsnarrativ durchgesetzt hat.
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