Autor über Homosexuellenbewegung: „Homophobie gibt es überall“
Gottfried Lorenz kämpft seit den 1970ern in Hamburg für Rechte Homosexueller. Nun engagiert er sich für ein Denkmal für sexuelle Vielfalt.
taz: Herr Lorenz, Sie sind 1968 Doktor in Neuerer Geschichte geworden, haben sich dann aber gegen eine akademische Laufbahn entschieden. Warum sind Sie im norddeutschen Schuldienst gelandet?
Gottfried Lorenz: Als ich meine Referendarausbildung in Flensburg machte, dachte ich: „Endlich mal was los!“ Denn in Bonn, wo ich als wissenschaftlicher Mitarbeiter nach meinem Studium schwedische Akten edierte, gab es nur wenig Kontakt zu anderen Menschen. Im Schuldienst war das anders. Einmal bin ich sogar zum Schulleiter gegangen, nachdem ich ein Vierteljahr lang eine allzu brave, fast reine Mädchenklasse zu unterrichten hatte, und habe ihm gesagt: „Ich möchte diese Klasse wegen Lahmarschigkeit abgeben.“
Und?
Eingetauscht habe ich sie gegen eine Klasse mit 43 Kindern. Das war natürlich viel mehr Korrekturarbeit. Aber ich bin in dieser großen Klasse aufgelebt! Hinzu kam, dass Anfang der 1970er-Jahre in Südholstein neue Gymnasien gegründet wurden, auch in Glinde. Es gab also Bedarf an Lehrkräften. Und von meinem Berufsstandort Glinde aus fühle ich mich vor allem dem Sehnsuchtsort Hamburg verbunden.
Was war so wohltuend an der Arbeit an einer Schule?
Die Arbeit mit jungen Menschen an einer Schule war wahrscheinlich auch deshalb so wichtig für mich, weil ich immer als Single gelebt habe. Eine eheähnliche Verbindung liegt mir nicht. Ich arbeite gerade an der Geschichte der ersten studentisch geprägten Homosexuellengruppe, der 1970 gegründeten Homosexuellen Aktionsgruppe (HAG) Bochum/Ruhr. Für sie war es verpönt, so zu tun, als wäre man heterosexuell und wollte man eine Familie gründen. Eine eheliche Verbindung zweier Homosexueller galt bei den Universitäts-Schwulen dieser Zeit als etwas, nun ja, Perverses. Da ich nie mit einem anderen Menschen zusammengelebt habe, hatte ich Zeit, nebenbei noch wissenschaftlich zu arbeiten und zu publizieren. Und das kommt mir jetzt im Alter zupass.
Zu dieser Zeit, Anfang der 1970er-Jahre, sind Sie in Hamburg der Internationalen Homophilen Weltorganisation (IHWO) beigetreten. War das ein Schritt in Richtung Öffentlichkeit?
In den 1970er- und 1980er-Jahren war Sexualität kein Gesprächsthema in meinem bürgerlichen heterosexuellen Freundeskreis. Von einem Lehrer damals zu erwarten, dass er sich hinstellt und öffentlich sagt: „Ich bin schwul“, das wäre beruflicher Selbstmord gewesen. Die eine oder andere Lehrkraft war nicht gerade homosexuellenfreundlich, was mir bisweilen an Bemerkungen über „auffällige“ Schüler deutlich wurde: „Der könnte schwul sein“, wurde dann gesagt.
Und jenseits dieses Freundeskreises?
Nachdem der Paragraf 175, der gleichgeschlechtlichen Sex unter Strafe stellte, 1969 das erste Mal reformiert wurde, also vor 50 Jahren, hat sich in Hamburg eine IHWO-Gruppe gebildet, in der ich mitgearbeitet habe. Das war ein erster Austausch jenseits des Freundeskreises. Aufmerksam auf die IHWO war ich durch Zeitschriften-Annoncen geworden. Aber nachdem ich neue berufliche Aufgaben übernommen hatte, trat die Mitarbeit in der Community zurück, so wichtig für mich selbst meine sexuelle Orientierung war und ist.
Etwa zur selben Zeit haben sich an den Universitäten die Homosexuellen Aktionsgruppen (HAGs) gegründet. Worin bestand der Unterschied zur IHWO?
Reinhard Schmidt, den ich in Bochum bei der Eröffnung der Ausstellung „Liberales Hamburg?“ kennengelernt habe, war Gründungsmitglied der HAG Bochum. Er hat mich gefragt, ob ich mich um die Aufarbeitung der Geschichte dieser Gruppe kümmern könne. Im nächsten Jahr wird eine Festschrift mit zwei Aufsätzen von mir erscheinen. In Deutschland waren bis Ende der 1970er-Jahre die Stonewall Riots für die meisten Homosexuellen nicht sonderlich wichtig. Als befreiend haben wir die Reformen des Paragrafen 175 StGB der Jahre 1969 und 1973 wahrgenommen. Parallel dazu sind die HAGs entstanden, die dem Establishment und traditionellen Beziehungsreformen kritisch gegenüberstanden.
Wie war Ihr Verhältnis zur 68er-Bewegung?
Weder die neu entstehende Homosexuellenbewegung noch die Frauenbewegung fanden in der durch und durch Macho-Hetero-geprägten 68er-Bewegung eine Heimat. Im Unterschied zu den Studenten der dritten deutschen Homosexuellenbewegung waren die Mitglieder der IHWO beruflich etabliert. Sie hatten etwas zu verlieren, wollten bürgerlich leben und von der Gesellschaft als homosexuelle Männer und Frauen anerkannt werden. Sie müssen daran denken: Wir waren die erste Generation nach dem Krieg, die aus der Armut herauskommen konnte und wollte. So manche Spannung zwischen der zweiten und der dritten Homosexuellenbewegung beruhten auf dem Generationskonflikt zwischen Kriegsgeneration und der ersten Nachkriegsgeneration.
Ihr Vater starb im Zweiten Weltkrieg, er war Pastor. Wie ist Ihr Verhältnis zur Kirche?
Ich bin Christ, habe mich nicht vom Glauben abgewandt, so sehr es auch immer Zweifel gab und gibt. Ich bin Mitglied der Gemeinde „positiv leben und lieben“ der Hamburger Aids-Seelsorge, zu der übrigens viele Menschen gehören, die einmal aus der Kirche ausgetreten waren und dann wieder eingetreten sind.
Und die homophobe Tradition der Kirche?
Homophobie ist nicht im Rechts-Links-Schema oder in den Kategorien gläubig/ungläubig zu verorten. Toleranz habe ich auf allen Seiten kennengelernt – und das Gegenteil auch. Wenn ich öffentlich auftrete, mache ich deutlich, dass es in jeder Institution und Partei eine homophobe Tradition gibt. Mit Heinrich Bölls Novelle „Der Zug war pünktlich“ wäre auch Heinrich Himmler einverstanden gewesen, denn der dort geschilderte Schwule ist die einzige Person des Textes mit widerlichem Charakter, der sich aus seiner widerlichen Sexualität ergibt – und darüber hinaus ist sie geschlechtskrank. Und ausgerechnet nach Böll nennt sich eine Parteistiftung!
Seit Ihrer Pensionierung sind Sie öffentlich sehr aktiv geworden, mit Ulf Bollmann: Sie haben unter anderem eine Ausstellung zur Homosexuellenverfolgung in Hamburg nach 1945 zusammen erarbeitet. Ist die sexuelle Gleichberechtigung in der Stadtgesellschaft angekommen?
Ja, es hat sich atmosphärisch einiges geändert, aber in meiner Generation ist und bleibt man skeptisch. In Hamburg sind die Bemühungen um eine Reform des Paragrafen 175 von Strafjuristen, Theologen, Medizinern und Künstlern ausgegangen. Der heutige Polizeipräsident ist uns gewogen, und wir sind bei unserer Ausstellung im Jahr 2013 von Politik, Justiz und Polizei unterstützt worden. Gesetze aber können nur das Verhalten staatlicher Organe beeinflussen, nicht einem Privatmenschen vorschreiben, tolerant zu sein.
79, promovierte an der Universität des Saarlandes in Neuerer Geschichte, arbeitete dann als Lehrer und veröffentlichte etliche Bücher zur Geschichte der Homosexuellen in Hamburg von 1919 bis in die Gegenwart. Internet: www.dr-lo.de
Veranstaltung zum Stand des Hamburger Denkmalprojekts: Mi, 31. 7., 19 Uhr, Pride House/IFZ, Rostocker Straße 7, Hamburg
Die Probleme sind also nicht aus der Welt.
Die Instrumentalisierung der Homosexualität ist etwas, was mich mein Leben lang begleitet hat. Alles, was im sexuellen Bereich von der Heteronorm abweicht, lässt sich im Konkurrenzkampf verwenden. Denunziation sind Tür und Tor geöffnet. Und wir sollten nicht so tun, als ob unsere CSD-Veranstaltungen eine heile queere Welt spiegelten. Denn wie sicher ist eine Rechtsordnung, wenn sie von Nicht-Demokraten gekapert würde?
Mit einer Initiativgruppe arbeiten Sie daran, im Zentrum Hamburgs ein Denkmal für sexuelle Vielfalt zu schaffen. Was wollen Sie genau?
Ein Schwulendenkmal wie in Frankfurt, Köln, Lübeck oder Berlin ist heute nicht mehr möglich, sondern nur noch ein Denk-Ort für alle Bereiche der Sexualität, also ein „Denk-Mal sexuelle Vielfalt“. Wir wollen ein Denkmal mitten in der Stadt, das zeigt: Es gibt uns, gleichgültig, wie wir sexuell empfinden.
Wie sieht das konkret aus?
Martin Eichenlaub hat dazu eine Idee für ein begehbares Prisma entwickelt, in dem sich außen die Spektralfarben spiegeln, das innen aber grau ist. Entfernt man eine Farbe des Regenbogens, erlischt er. Wir haben bisher mit den Parteien Gespräche geführt, um politische Unterstützung zu gewinnen. Fast alle sagen „prima“. Doch das ist bisher nur deklaratorisch. Nun bedarf es des politischen Willens. So ist der Stand der Dinge.
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