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Autor über Entscheidungsfindung„Niemand googelt Gegenargumente“

Wie trifft man gute Entscheidungen? Autor Mikael Krogerus hat sich mit der Forschung zu Entscheidungsfindungen beschäftigt. Und gibt ein paar Tipps.

Wenn man danebenlag, sollte man dazu stehen. Es sei die einzige Art, daraus zu lernen, sagt Krogerus Foto: Sean Gladwell/getty images
Jörn Kabisch
Jan Pfaff
Interview von Jörn Kabisch und Jan Pfaff

taz: Herr Krogerus, was braucht es, um gute Entscheidungen zu treffen?

Mikael Krogerus: Selbstkritik. Denn das Hauptproblem bei Entscheidungen: Wir bilden uns zu schnell intuitiv eine Meinung und deuten anschließend alle neuen Informatio­nen so, dass sie unsere bereits bestehende Annahme bestätigen. Niemand googelt nach Gegenargumenten. Aber genau das müssten wir machen! Also die Intuition verschieben, stattdessen erst mal Daten sammeln und die eigenen Überzeugungen hinterfragen – und sich dann intuitiv entscheiden.

Und wie entscheidet man intuitiv?

Wissenschaftlich überprüft ist folgender recht simpler Autosuggestionsprozess, um das Hirn abzulenken und das Unterbewusstsein zu aktivieren: Denken Sie an die Entscheidung, die Sie treffen wollen. Rechnen Sie dann von 50 in Dreierschritten rückwärts. Sobald Sie bei null sind, schreiben Sie sofort auf, wie Sie sich entscheiden wollen.

Kann man entscheiden lernen, oder gibt es da Naturtalente, die das einfach können?

Man unterscheidet in der Forschung zwischen zwei Typen: dem Satisficer, der sich entscheidet, sobald eine Option seine Bedürfnisse halbwegs erfüllt, und der dann nicht weiter nach besseren Alternativen sucht, und dem Maximizer, der einen eher perfektionistischen Zugang hat und objektiv gesehen auch bessere Entscheidungen fällt als der Satisficer, aber der sich auch nach den allerbesten Beschlüssen noch fragt, ob es nicht eine noch bessere Option gegeben hätte. Alle Menschen tendieren entweder zu dem einen oder dem anderen Typus.

Im Interview: Mikael Krogerus

Mikael Krogerus, 44, ist gebürtiger Finne und arbeitet als Journalist in der Schweiz. Zusammen mit Roman Tschäppeler hat er „The Decision Book“ (deutsch: „50 Erfolgs­modelle“) geschrieben.

Wie lange sollte man alle Für und Wider abwägen? Sind Pausen wichtig, auch wenn es mit der Entscheidung dann etwas länger dauert?

Sie sollten sich, wie gesagt, Zeit lassen, um genügend Information zu sammeln. Aber es gibt einen Tipping-Point der Informationsaufnahme, man kann auch „zu viel“ wissen. Das ist der Moment, ab dem wir anfangen unser Wissen wieder in Frage zu stellen und am Ende genauso verwirrt sind wie am Anfang des Rechercheprozesses. Weil langes Abwägen sehr quälend sein kann, empfiehlt es sich von vornherein, Grenzen zu setzen. Angenommen, wir wollen uns ein Auto kaufen: zwei Stunden Internetrecherche, drei Freunde fragen, zwei Autohändler aufsuchen, fertig.

Wann braucht man Experten?

Manchmal, vor allem im beruflichen Kontext oder wenn die Entscheidung andere betrifft, ist das unbedingt ratsam. Aber ich sage immer: Viele Entscheidungen brauchen keine umfangreiche Recherche. Statt sich den Kopf darüber zu zerbrechen, welches das richtige Auto wäre, fragen Sie einfach Ihre Freunde, ob die mit ihrem Auto zufrieden sind. Wenn das so ist, wird es auch für Sie gut genug sein. Die meisten Entscheidungen sind auch weniger wichtig, als wir im jeweiligen Augenblick meinen. Man kann zum Beispiel die 10-10-10-Methode anwenden: Fragen Sie sich, welche Auswirkungen hat meine Entscheidung in 10 Tagen? Welche Auswirkungen hat sie in 10 Monaten? Welche in 10 Jahren? Klingt banal, hilft aber, den Blick auf die langfristigen Konsequenzen einer Wahl zu schärfen.

Wäre es wichtig, ein Ziel zu formulieren, bevor man eine Entscheidung trifft?

Es hilft, wenn man sich im Klaren darüber ist, was man sich eigentlich von der Entscheidung erhofft. Drei gute Fragen: Was passiert, wenn ich mich falsch entscheide? Was, wenn ich mich richtig entscheide? Und was, wenn ich mich nicht entscheide?

Sollte man immer einberechnen, dass sich die Lage ändern könnte und man die Entscheidung wieder zurücknehmen muss?

Ich glaube, das machen wir automatisch: Wenn wir sagen: „Ich will dich lieben, in guten wie in schlechten Zeiten“, dann ist ja allen Beteiligten klar, dass der Subtext lautet: „Ich werde dich bis zu dem Zeitpunkt lieben, an dem ich dich nicht mehr liebe.“ Auch bei den Lockdown-Entscheidungen ist ja allen klar, dass man das laufend anpassen wird.

Wirklich? Manche Kri­ti­ke­r:in­nen wirken schon, als hätten sie die einzig mögliche und ewig gültige Antwort gefunden …

Ich glaube, niemand erwartet ernsthaft bei den Lockdown-Runden ewig gültige Beschlüsse. Es wäre umgekehrt ein Riesenfehler, neue Informationen nicht zu berücksichtigen und die Entscheidungen nicht daraufhin anzupassen. Zweifel ist kein Zeichen von Schwäche, sondern von Wachheit.

Wie wichtig ist die Atmosphäre, in der die Entscheidungen getroffen werden sollen?

Es gibt eine sehr interessante Forschung der Psychologieprofessorin Sonja Lyubomirsky und anderer, die herausfanden, dass Menschen, die sich glücklich und entspannt fühlten, nachweislich klügere Entscheidungen trafen – in ihrem Privatleben, indem sie zum Beispiel weniger Alkohol tranken oder weniger rauchten. Aber auch in ihrem Berufsleben. Zum Beispiel waren sie weniger nachtragend gegenüber Kollegen. Wir können daraus lernen, dass es sich offenbar nicht lohnt, aus wütenden, geladenen Momenten heraus Entscheidungen zu fällen. Lieber durchatmen, die Situation verlassen, sich beruhigen, drüber schlafen und dann entscheiden.

Wie geht man mit zu wenigen oder fehlenden Informationen um, wenn man trotzdem dringend eine Entscheidung treffen muss?

Wenn man zu wenige Informationen hat, kann man sich an dem Entscheidungsprozess von Barack Obama orientieren: Er betrachtete die – oft nur unvollständigen – Fakten, die er zur Hand hatte, vergewisserte sich noch einmal, was genau das Ziel war, und wog all das gegen seine Prinzipien ab. Egal, wie die Dinge dann ausgingen, wusste er so zumindest, dass er mit den ihm vorliegenden Informationen sein Bestes getan hatte. Man nennt das value-based decisionmaking. Es lohnt sich, sowohl als Unternehmen, aber auch als Privatperson mal in einer ruhigen Minute zu fragen: Was sind eigentlich meine Prinzipien?

Und was macht man, wenn zu viele Leute mitreden wollen?

Es ist durchaus möglich, viele Personen in den Prozess zu involvieren, aber es muss allen immer klar sein, bei wem die Entscheidungsmacht liegt. Kommunizieren Sie das deutlich. Wenn übrigens mehr als sieben Personen gemeinsam entscheiden sollen, steigt erwiesenermaßen die Gefahr für sogenanntes Gruppendenken – das Phänomen, dass wir in der Gruppe Fehlentscheidungen treffen, weil alle ihre Meinung an die Gruppenmeinung anpassen und sich nicht trauen, Zweifel zu äußern.

Wenn man schon weiß, dass in Zukunft viele die Entscheidung als schlecht beurteilen könnten, sollte man sie dann überhaupt fällen?

Wenn Sie etwas verändern wollen, stoßen Sie in der Regel immer auf Widerstand. Denn die meisten Menschen erleben Veränderung als Bedrohung. Aber deswegen nur populistische Beschlüsse zu fällen ist auch nicht richtig. Es ist in solchen Fällen wichtig, sich zu fragen, was Sie mit dieser Entscheidung anstreben, was Ihre, pardon, Vision ist. „Bessere Quartalszahlen“ oder „Sparmaßnahmen“ sind keine Vision, das sind Vorgaben. Eine Vision ist glaubwürdig, konkret, sinnvoll – für Sie und andere.

Wie wichtig ist es, dass Entscheidungen für jene nachvollziehbar sind, die von ihnen betroffen sind?

Brutal wichtig. Sie müssen erklären können, warum die Entscheidung notwendig ist. Nicht nur, warum die Entscheidung für das Unternehmen oder für Sie persönlich notwendig ist, sondern auch, warum für die Angestellten. Der Change-Management-Experte John Kotter schrieb als Faustregel, dass 75 Prozent des Personals den Prozess mittragen müssen, damit eine Veränderung Erfolg haben kann.

Wie erkennt man, dass eine Entscheidung falsch war? Und was macht man dann – Augen zu und durch?

Wann immer Sie eine wichtige Entscheidung fällen, schreiben Sie im Vorfeld auf, welches Ergebnis Sie erwarten. Nach etwa einem Jahr vergleichen Sie Ihre Erwartung mit dem tatsächlichen Ergebnis. Wenn Sie daneben­lagen: Stehen Sie dazu. Es ist die einzige Art, daraus zu lernen.

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