Autonomie: Mit dem Rücken zur Wand
Das Bremer Museum Weserburg kämpft gegen eine Fusion mit der Kunsthalle. Nun wehrt es sich künstlerisch mit neuen Leihgebern.
BREMEN taz | Hier geht es, kurz gesagt, um Leben und Tod. In der Kunst. Und für den Ort, an dem sie spielt. Und das alles ist natürlich kein Zufall. „Existenzielle Bildwelten“ heißt die Ausstellung in der Bremer Weserburg, zu sehen sind fast 50 zeitgenössische KünstlerInnen, die der Hamburger Sammler Rik Reinking zusammengetragen hat. Sie konfrontieren uns, ganz unmittelbar, mit unserem Umgang mit den Toten, dem Sterben. Und sie loten die Grenzen der materiellen Wirklichkeit aus. Zugleich ist die Ausstellung eine eindrucksvolle Antwort auf die Frage nach der Zukunft des ersten europäischen Sammlermuseums.
Und die steht gerade mächtig infrage. Seit langem schon wird in Bremen darüber gestritten, ob die Weserburg nun saniert wird und auf dem Teerhof bleibt, einer Halbinsel in der Weser, zwischen Alt und Neustadt gelegen. Die scheinbar charmante Alternative: Die Weserburg, das etwas verwinkelte Museum für moderne Kunst, zieht aus dem jetzigen Standort, der ehemaligen Kaffeerösterei aus, zusammen mit seinen Untermietern, der renommierten Gesellschaft für Aktuelle Kunst (GAK) und dem bedeutenden Studienzentrum für Künstlerpublikationen, dem einzigen echten Museum im Museum. Neubaupläne wurden lanciert und verworfen, ein Direktor musste gehen, nicht ohne dafür noch einmal viel Geld zu bekommen. Nun wird ein kleiner Neubau in der Bremer Kulturmeile debattiert, gegenüber der altehrwürdigen Kunsthalle. Und die würde dann auch die Geschäfte der stark eingedampften Weserburg mit besorgen, nebenbei.
Die Drohkulisse steht
Kunsthallen-Direktor Christoph Grunenberg hat sich schon öffentlich als Direktor beider Museen beworben. Sein Chef, der Vorsitzer des privaten Kunstvereins, der die Kunsthalle trägt, bezeichnete im Weser Kurier einen Umzug der Weserburg jüngst gar als „unabdingbar“ – wegen der „notwendigen Rationalisierungen“. Auch die örtliche Politik hegt klare Sympathien für eine solche Lösung, hält sich aber bedeckt, denn offiziell will man erst am Jahresende entscheiden.
Der Debatte tut das keinen Abbruch. Immer wieder melden sich Befürworter der einen wie der anderen Lösung zu Wort – so wie jetzt die Bremer Hochschule für Künste, die klar gegen eine Zusammenlegung beider Museen votiert. Um Kunst geht es meist nur noch vordergründig. Es ist eine quälend lange Standortdebatte, zum Schaden jener, denen sie sich verpflichtet sieht.
Natürlich kämpft der arg in die Defensive geratene Peter Friese, der kommissarische Direktor der Weserburg, für die Eigenständigkeit seines Hauses, auch über seine 2017 anstehende Verrentung hinaus. Weil aber Appelle in eigener Sache schnell verhallen, positioniert er das Sammlermuseum nun rasch inhaltlich neu, auch um die konzeptionellen Versäumnisse seines beliebten Vorgängers wieder wettzumachen. Dabei steht er mit dem Rücken zur Wand: Perspektivisch ist die Weserburg aufgrund struktureller Unterfinanzierung und früherem Missmanagement von Insolvenz bedroht. Weil die Sparpolitik es so will. Soweit zum Drohpotenzial.
Lebende Kunst
Nun will Friese beweisen, dass die Weserburg mehr wert ist, als bloß eine Abteilung der Kunsthalle zu sein. Kommen wir also zurück zur Kunst. Da ist die Sache mit Tattoo, natürlich. Zur Eröffnung der „existenziellen Bildwelten“ saß ein Mann namens Tim im Museum, in dessen Rücken ein Bild gestochen wurde. Sowas sieht man heute natürlich überall. Aber dieser Rücken gehört Rik Reinking. Er hat dafür in einer Galerie 240.000 Schweizer Franken bezahlt. Und im Gegenzug das Recht erworben, diesen Tim regelmäßig auszustellen. Und dessen Tattoo nach seinem Tod zu konservieren.
Landauf, landab haben die Medien berichtet, von der Bild bis zur Süddeutschen, wenn auch nicht unbedingt im Feuilleton, dazu acht Fernsehsender. Und in Scharen sind sie gekommen, um sie zu sehen, die lebende Kunst. Ein Event. Das war natürlich der gewollte PR-Effekt, des Direktors Antwort auf den immer wieder zu hörenden Vorwurf, in der Weserburg würden sie nichts Populäres mehr machen. Dabei erschöpfen sich die „existenziellen Bildwelten“ gar nicht in einem oberflächlich-zeitgeistigen Hype. Vielleicht versperrt der sogar ein wenig den Blick auf das, was viel spannender ist. Terence Koh beispielsweise, ein chinesisch-kanadischer Künstler, der manchmal als nächster Andy Warhol gefeiert wird. Er hat eine riesige Glasvitrine geschaffen, darin: 222 Köpfe aus schwarzer Asche, mal schlafende, mal schreiende. Es eine Szenerie, die an Beinhäuser erinnert, an dunkle Albträume. Auf jeden Fall aber ist „Crackhead“ ein Werk, das einen ganz unmittelbar berührt, ohne viel Erklärung drumherum.
Gleich dahinter hängt eine konzeptkunstartig präzise Anordnung von 20 Fliegenfängern, übersät mit unzähligen Insekten. Davor steht – ja, man darf ihn benutzen! – ein alter Kirchenstuhl. Als wär’s ein Altarbild. „10.000 Seelen“ heißt das brillante Kunstwerk, das den Wert scheinbar wertlosen Lebens hinterfragt.
Dazwischen stehen in der Sammlung Reinking Artefakte aus Afrika, Amerika und Ozeanien, die durchaus mehr sind als nur Ethno-Kitsch, den man sich von irgendwo mitgebracht hat – das „Federgeld“ etwa von den Salomonen-Inseln oder ein Ahnenschädel aus Indonesien. Und gleich daneben dann der simple, aber detaillierte Nachbau einer Plutonium-Bombe, die womöglich funktionieren könnte, wäre das entscheidende Detail nicht durch einen gleich großen Baseball ersetzt.
Das alles wirkt auf den ersten Blick etwas disparat, zumal manch ein Werk arg vordergründig auf seinen Effekt setzt: Frantiček Klossners eigener Abguss aus Eis etwa, der stetig dahinschmilzt, um hernach erneuert zu werden. Lässt man sich auf die Schau ein, gibt es aber vielfältige Bezüge und klare Strukturen. Vor allem aber schafft die Ausstellung – und das macht sie besonders reizvoll – einen Raum für eigenen Reflexionen über grundsätzliche Fragen. Ein wunderbarer Freiraum, den die Kunst hier eröffnet.
Leihgeber Rik Reinking, ein Thirtysomething, ist Kunstsammler aber auch händler, doch keiner von den standesdünkelbehafteten. Er hat viele junge Künstler entdeckt, ehe sie groß wurden, und verdient sein Geld mit jenen Sammlern, die wohl noch mehr Geld haben. Teile seiner Sammlung waren früher schon in Bremen zu sehen, doch den letzten Direktor Carsten Ahrens hat Reinking öffentlich scharf kritisiert. Nun ist er wieder hier zu sehen. Auch das ein klares Zeichen.
Endlich neue Gesichter
Er war es auch, der der Weserburg zum neuen Ausstellungsformat „Junge Sammlungen“ verholfen hat, zu dem die Hamburger Sammlung von Dominik und Cordula Sohst-Brennenstuhl den Auftakt gegeben hat. Die beiden sammeln KünstlerInnen, die in etwa so alt sind wie sie selbst – die meisten, die hier zu sehen sind, wurden in den Siebzigern geboren. Ihre Werke sind insgesamt nicht so hochkarätig wie etwa Reinkings, doch sehr vielschichtig: Hier steht figürliche Malerei neben Konzeptkunst und neben großen Installationen. Unter dem Titel „Nullpunkt aller Orte“ ist die Sammlung hier erstmals öffentlich zu sehen.
Es ist der erste Neuzugang der Weserburg – nach langen Jahren, in denen kein einziger neuer Sammler in das Sammlermuseum kam, weil der damalige Direktor das nicht wollte. Vor allem aber ist der „Nullpunkt aller Orte“ eine weitere Antwort auf die Frage, ob so ein eigenes Sammlermuseum überhaupt noch eine zeitgemäße Idee ist: Ja.
2015 will Friese einen deutschen Sammler aus Südfrankreich zeigen, mit Landschaftsbildern aus vier Jahrhunderten. Sehr namhafte Maler sind darunter, Werke wie man sie sonst in der Kunsthalle erwarten würde. Und nicht in der Weserburg. Es könnte eine großartige Ausstellung werden. Und eine unselig zukunftsweisende.
„Existenzielle Bildwelten“: bis 1. Februar 2015. „Nullpunkt aller Orte“: bis 14. September
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