Autonomes Fahren: Freihandfahren mit Haftungsfallen
Was passiert, wenn ein autonomes Auto einen Menschen überrollt? Ob Halter oder Hersteller dann in der Pflicht ist, ist bei Experten hoch umstritten.
Die rechtlichen Risiken rund ums autonome Fahren sind zwei von acht zentralen Punkten, die Expert:innen ab Donnerstag auf dem Verkehrsgerichtstag in Goslar diskutieren – neben Themen wie Abbiegeassistenten für Lkw und Fahrverboten für Dieselfahrzeuge.
Was die Frage nach den rechtlichen Konsequenzen eines Unfalls so kompliziert macht, ist unter anderem die Bandbreite der möglichen Ursachen. Selbst wenn man die Übergangsphase, in der teils der Mensch, teils die Technik das Fahrzeug steuert, außen vor lässt, gibt es ganz unterschiedliche Möglichkeiten.
So ist denkbar, dass ein Programmierfehler in der Software zu einem Unfall führt, gegebenenfalls in Kombination mit einem Hacking-Angriff. Auch ein Hardware-Defekt, entweder in der verbauten IT-Hardware oder in den klassischen Autoteilen, etwa bei einem Motorschaden, könnte zu einem Unfall führen oder ein Ausfall der Netzinfrastruktur, über die die Fahrzeuge kommunizieren.
„Man muss unterscheiden, wer bei einem Unfall zahlt und wer bestraft wird“, sagt Markus Schäpe, der beim ADAC die juristische Zentrale leitet. Seine Position: Zahlen werde auch bei selbstfahrenden Autos weiterhin der Halter. Denn der schafft, alleine dadurch, dass er das Fahrzeug auf die Straße bringt, eine Gefahrenquelle.
Marion Jungbluth, Leiterin des Teams Mobilität und Reisen beim Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv), fordert dagegen ein Umdenken: „Wir plädieren für eine Gefährdungshaftung der Hersteller, um dafür zu sorgen, dass die Produkte sicher auf die Straße kommen.“ So sieht es auch Gerd Lottsiepen vom Verkehrsclub VCD. „Das ist nötig, wenn das autonome Fahren eine Chance haben soll.“ Jungbluth betont, dass es keine Haftungslücken geben dürfe. In jeder möglichen Unfallkonstellation müsse klar sein, wer zahle – auch dann, wenn unklar ist, in welcher Komponente des Fahrzeugs der Fehler lag.
Fehlerquellen gibt es viele
Ein Punkt könnte sich damit künftig als zentral herausstellen: die Update-Praxis der Hersteller. Ein Blick auf aktuelle vernetzte Geräte wie Smartphones zeigt: Der größte Teil ist mit veralteten Versionen und damit mit ungestopften Sicherheitslücken unterwegs. Die Hersteller selbst haben kein großes Interesse daran, die Geräte lange aktuell zu halten – schließlich möchten sie lieber neue verkaufen.
Nun kann ein Auto mit Sicherheitslücken ungleich größeren Schaden anrichten als ein Smartphone. Doch derzeit ist noch keine gesetzliche Grundlage vorgesehen, die die Hersteller explizit zum Bereitstellen von Sicherheits-Updates verpflichtet. „Es wäre aber sehr wünschenswert, wenn es dafür eine gesetzliche Regelung gibt“, sagt Schäpe.
Er setzt dafür 10 bis 12 Jahre an, das sei derzeit die übliche Lebensdauer eines Fahrzeugs. Verbraucherschützerin Jungbluth geht noch weiter: Sicherheits-Updates müsse es über die übliche Lebensdauer hinaus geben, so lange, wie die Nutzer:innen ein Fahrzeug einsetzen wollen. Beschränken dürfe man höchstens nicht sicherheitsrelevante System-Updates, die zum Beispiel das Entertainment-System betreffen.
Sie fordert zudem: Daten, die das Fahrzeug protokolliert, um etwa nach einem Unfall die Ursachenforschung zu ermöglichen, dürften keinesfalls beim Hersteller, einer Versicherung oder dem TÜV liegen, sondern nur bei einer unabhängigen Stelle. Sonst bestehe die Gefahr, dass die Daten im eigenen Interesse verwendet würden.
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