Autokratentreffen in Budapest: Verhandlungen und Spiele bei Orbán
Ungarn hat verschiedene Regierungschefs eingeladen, um die eigene Macht zu stärken. Doch bei allen gemeinsamen Interessen bleiben viele Differenzen.
Orbán hatte für Sonntag verschiedene Regierungschefs zu sich nach Budapest eingeladen. Unter anderem den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan, den serbischen Präsidenten Aleksandar Vučić und mehrere zentralasiatische Politiker. Auf den ersten Blick gegensätzliche Politiker. Orbán demonstriert damit seine Unabhängigkeit.
Zudem begann am Sonntag auch die Leichtathletikweltmeisterschaft im brandneuen Stadion in Budapest. Im Lichte dessen konnte sich Viktor Orbán der Weltöffentlichkeit als verlässlicher Organisator präsentieren, und er demonstriert eine eigene Version der „Zeitenwende“: Ungarn soll Glanz ausstrahlen, soll zeigen, dass es aus dem Schatten eines Satelliten – früher des Ostblocks und heute der EU – herausgetreten ist und eine eigene nationale politische Agenda verfolgt. Statt in der von einer „linken“ Clique geleiteten Europäischen Union aufzugehen, solle Ungarn eigene Akzente für die Entwicklung Europas setzen.
In Brüssel gilt der autokratisch regierende Viktor Orbán als Repräsentant eines als korrupt und antidemokratisch kritisierten Regimes. Er will Europa in eine rechtskonservative und antidemokratische Richtung lenken. Und sammelt schon seine Bataillone.
Das Problem mit Russland
Bis zu den Europawahlen 2024 und zum Vorsitz seines Landes in der EU will Orbán es sich noch nicht mit allen Mächten verderben. Doch mit den jetzt gezeigten außenpolitischen Akzenten kann er sich ausrechnen, innerhalb der EU Freunde gewonnen zu haben. Seine Putin-freundliche Position trägt schon Früchte: Rechte Populisten, von Spanien bis Schweden, von Frankreich bis Italien, von der Slowakei bis Bulgarien und Kroatien, sehen in Orbán ihren „Hoffnungsträger“ in Europa. Hinter seinem Rücken können sie ihre prorussische Agenda daheim hoffähig machen.
In Serbien hat er einen direkten Bündnispartner gefunden. Orbán und Vučić wirken wie ein politisches Pärchen. Außerdem: ohne Orbáns finanzielle Zuwendungen wäre Milorad Dodik, der Führer der bosnischen Serben in Bosnien und Herzegowina, nicht nur politisch, sondern auch finanziell bankrott. Die geteilte „christlich“ antimuslimische Grundposition richtet sich bei dem Ungarn wie den Serben nicht gegen Salafisten, sondern besonders gegen die autochthonen Balkanmuslime. Ebenso teilen sie ihre Abneigung gegen die kulturellen und sexuellen Freiheiten in den liberalen Demokratien und haben dabei sogar die Claqueure aus Warschau hinter sich.
Doch was Russland betrifft, wird Warschau gegen Orbán und Vučić Position beziehen. Da passt es nicht. Die Polen können trotz der Sympathien für das Christentum der jetzigen Russlandpolitik Ungarns nichts abgewinnen.
Auch die Beziehungen zur Türkei passen nicht ganz ins Bild. Erdoğan dürfte sich schwertun, die Balkanmuslime völlig zu verraten und fallenzulassen. Schon mehrfach erklärte er in Sarajevo, er würde Truppen schicken, wenn die bedroht würden. Aber Orbáns Standpunkt gegenüber liberalen Demokratien teilt er und macht mit bei gemeinsamen Wirtschaftsprojekten.
Ungarn bezieht rund 80 Prozent seines Erdgases aus Russland, bisher über die Ukraine, in Zukunft vor allem über die TurkStream-Pipeline, die durch Serbien verläuft. Orbán hat in Budapest außerdem den turkmenischen Präsidenten Serdar Berdimuhamedow getroffen. Wenn die Türkei einverstanden ist, soll Ungarn ein Bestimmungs- und Transitpunkt für künftige Gasexporte aus Turkmenistan über die Türkei und Serbien werden.
Orbán will die bestimmende Macht auf dem Balkan sein und kann sich auf die Naivität Brüssels und der liberalen Demokratien verlassen. Ungarische Truppen sollen jetzt den Oberbefehl über die EUFOR-Einheiten in Bosnien und Herzegowina übernehmen. „Wer soll uns da noch vor Übergriffen der nationalistischen Serben schützen?“, fragen sich viele Menschen in Sarajevo.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Scholz fordert mehr Kompetenzen für Behörden
Krieg in der Ukraine
„Weihnachtsgrüße“ aus Moskau