Autoexperte zu Daimler und BMW: „Wir sehen einen Kampf der Welten“
Die Transformation der Autobranche zwingt die Hersteller zur Kooperation. Das sagt Stefan Bratzel von der FH der Wirtschaft Bergisch-Gladbach.
Herr Bratzel, offenbar besprechen Daimler und BMW, wie sie bei der Entwicklung von Elektroautos zusammenarbeiten können. Ist das der erste Schritt zu einer Fusion?
So weit würde ich nicht gehen, aber es zeigt, dass die großen Premium-Wettbewerber sich gezwungen sehen, angesichts der grundlegenden Transformation der Branche in Kernfeldern gemeinsame Sache zu machen.
Wären die beiden zusammen wettbewerbsfähiger?
Wenn Daimler und BMW wirklich, wie angedeutet, bei der Entwicklung von Plattformen zusammenarbeiten, können sie Kosten im höheren einstelligen Milliardenbereich einsparen – in der Entwicklung, bei Zulieferern und in der Produktion. Das freiwerdende Geld können sie gut für andere Themen gebrauchen: Autonomes Fahren und neue Mobilitätsdienstleistungen. Wir sehen hier einen Kampf der Welten zwischen etablierten Autoherstellern und den software- und plattformorientierten Tech-Playern wie Alphabet/Google, Apple oder Alibaba. Das haben nun auch die großen Autohersteller verstanden.
Sind das die größten Konkurrenten der beiden auf dem Weltmarkt?
Man muss unterscheiden: Bisher war das Geschäftsmodell der Hersteller, Fahrzeuge zu bauen und verkaufen. Das wird es wohl noch einige Jahre geben. Künftig aber wird es vermehrt um „Connectivity“ – also Verbindungsfähigkeit – und „Sharing“ gehen. In diesem Bereich liegen Uber, Tencent oder Google vorne. Es geht darum, wer es schafft, sein Betriebssystem in das Auto von morgen zu bekommen. Ist das vernetzte Fahrzeug der Zukunft ein Android-Auto mit all den Google-Diensten oder fährt es mit der Software von Apple, Tencent oder Baidu? Alle versuchen, ihre Betriebssysteme ins Auto zu bringen. Das heißt, dass es die etablierten Autokonzerne erstmals mit Wettbewerbern zu tun haben, deren Börsenwert um ein vielfaches größer ist als ihr eigener. Die haben nicht nur die richtigen Kompetenzen, sondern auch viel Geld, das sie für das Ökosystem Auto und Mobilität investieren können. Darum haben Daimler, BMW, VW und Co auch so großen Respekt vor ihnen.
Stefan Bratzel ist Politikwissenschaftler an der Fachhochschule der Wirtschaft in Bergisch-Gladbach. Dort verantwortet er unter anderem den Studiengang „Automotive Management“.
Sind sie überhaupt in der Lage, eigene Betriebssysteme zu entwickeln?
Das werden sie zumindest versuchen. Es geht darum, die Daten, die die Fahrzeuge und Kunden produzieren, im eigenen Haus zu halten. Mit ihnen lassen sich dann die Geschäftsmodelle der Zukunft entwickeln. Manche Hersteller sind dazu zu klein und kooperieren mit Google oder ähnlichen Firmen. So können sie schnell umfassende Dienste im Auto anbieten. Allerdings beherrschen die Googles und Apples dann die zentrale Schnittstelle zum Kunden. Die großen Hersteller, die es selber versuchen wollen, brauchen mehr Zeit. Sie müssen mindestens eine so gute Breite an Diensten, Qualität und Nutzerfreundlichkeit erreichen, wie die Internetkonzerne das schon heute können. Das ist eine große Herausforderung.
Werden wir in den nächsten Jahren deshalb branchenübergreifende Fusionen beobachten?
Davon gehe ich aus. Zunächst einmal werden die etablierten Automobilhersteller kooperieren, da wird es auch Fusionen geben, gerade die Schwächeren könnten die Unabhängigkeit verlieren. Langfristig ist es natürlich möglich, dass sich Konzerne wie Google oder Alibaba einen Autohersteller greifen. Allerdings ist fraglich, ob sie dessen Anlagen und Kompetenzen überhaupt brauchen.
Bisher hießt es immer, die Unternehmenskulturen zwischen Automobil- und Internetbranche seien zu verschieden…
Das ist auch so, sie haben ganz andere Organisationskulturen, völlig andere Produktentwicklungszeiten und andere Standards. Da haben die Automotilkonzerne übrigens Vorteile, deren Standards sind hoch und schwierig. Aber in Zukunft werden Autos immer mehr zu Software-Produkten. In den Geschäftsmodellen der Zukunft sind Autos Dinge des Internets, in der Software liegt die Wertschöpfung. Insofern kommen sich die beiden Branchen immer näher.
Was bedeutet das für die Arbeitnehmer?
Das ist ein weitreichender Umbruch. Würden die Hersteller nur noch Elektroautos produzieren, benötigten sie 15 bis 20 Prozent weniger Beschäftigte. Autonomes Fahren und neue Geschäftsmodelle bedeuten eine Kompetenzverschiebung, weg von der Fahrzeugentwicklung und dem Maschinenbau hin zur Softwareentwicklung und Dienstleistungen. Für die Beschäftigten in der Autobranche ist das einschneidend.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Schäden durch Böller
Versicherer rechnen mit 1.000 Pkw-Bränden zum Jahreswechsel
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Ende der scheinheiligen Zeit
Hilfe, es weihnachtete zu sehr
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“