Auszeichnung für Sir Nicholas Winton: Bescheidener Lebensretter
Er rettete mehr als 600 mehrheitlich jüdische Kinder vor den Nazis. Nun wurde Sir Nicholas Winton für seine Heldentat geehrt.
„Es gibt wahrscheinlich eine Reihe von Dingen, die Ehemänner ihren Ehefrauen nicht erzählen“, hat Nicholas Winton einmal gesagt. Das, was der bescheidene ehemalige Broker mehr als 50 Jahre lang nicht nur seiner Frau gegenüber verschwiegen hat, war freilich keine Eskapade, sondern eine Heldentat. Durch seinen Einsatz konnten mehr als 600 mehrheitlich jüdische Kinder vor den Nazis gerettet werden.
1938 war das. Noch vor Ausbruch des Weltkriegs hatte die Wehrmacht das tschechische Sudetenland besetzt. Der damals 29-jährige Winton besuchte zu Weihnachten Prag und wurde dort mit dem Schicksal Tausender Flüchtlinge konfrontiert, die in der Stadt hängen geblieben waren. Er, dessen Eltern 1907 aus Deutschland nach Großbritannien eingewandert waren, beschloss, wenigstens den Kindern zu helfen.
Kindertransporte, mit denen junge Juden ins Ausland gebracht wurden, retteten damals Tausenden deutschen Juden das Leben. Sie kamen bei britischen Gastfamilien unter. Die Eltern der Kinder blieben im Nazi-Reich zurück, und oft war es ein Abschied für immer. Diese Regelung wandte Winton nun für die jüdischen Kinder in Prag an: Er organisierte von London aus Visa, fand Gasteltern, sammelte Geld. Dank seiner Hilfe verließen acht Züge voller Kinder die tschechische Hauptstadt in Richtung London. Ein neunter Zug durfte wegen des Ausbruchs des Zweiten Weltkriegs Prag nicht mehr verlassen.
Nicholas Winton hat so 669 Menschenleben gerettet. Er sah keinen Grund, das an die große Glocke zu hängen. Erst 1988 entdeckte seine Frau einen alten Koffer voller Papiere aus der Zeit und wandte sich ohne sein Wissen an das britische Fernsehen. Nun begannen die Ehrungen für den älteren Herrn. 2003 wurde er von der Queen geadelt.
Heute ist Sir Nicholas Winton sagenhafte 105 Jahre alt. Die Kinder von damals sind heute in den 80ern. Am Dienstag trafen sich sieben der Geretteten mit ihrem Helfer in Prag aus einem ganz besonderen Anlass: Winton erhielt auf der Prager Burg aus der Hand des tschechischen Präsidenten Milos Zeman den Orden des Weißen Löwen, die höchste Auszeichnung Tschechiens. „Ich bin hoch erfreut, dass so viele der Kinder hier sind, um mir zu danken“, sagte der im Rollstuhl sitzende Retter. Und er bedankte sich bei den britischen Gastfamilien dafür, dass sie die Kinder damals aufgenommen hatten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Kommen jetzt die stahlharten Zeiten?