Auszählungsposse bei Ratswahl: Im kölschen Florida
Die Ratswahl 2014 in Köln-Rodenkirchen soll falsch ausgezählt worden sein. Ein Gericht beschloss die Neuauszählung. Nicht zur Freude der SPD.
BERLIN taz | Es war ein Wimpernschlagfinale, wie es zuletzt die Wahlauszählung in Florida bei der US-Präsidentschaftswahl 2000 bot. Bis tief in die Wahlnacht hinein mussten SPD und Grüne mächtig zittern. Dann hatten es die beiden Parteien doch noch geschafft. Um Haaresbreite gingen sie bei der Ratswahl am 25. Mai 2014 in Köln als Sieger über die Ziellinie. Nur 8 Stimmen mehr für die CDU – und ihre Ratsmehrheit wäre passé gewesen.
Ihren Sitz des Glücks verdankte Rot-Grün einer Sensation: Ausgerechnet im traditionell schwarzen Rodenkirchen konnte die SPD in einem Wahlbezirk die Union um 123 Stimmen deklassieren. Schier unglaublich: 42,4 Prozent holten die Genossen, nur 24,9 Prozent die Christdemokraten! Bis heute fragen sich die KölnerInnen: Wie war das möglich?
Zweifel an dem Wahlausgang im betroffenen Briefwahlbezirk 20874 nähren sich nicht nur aus der Begebenheit, dass ohne sichtlichen Anlass die CDU mehr als 20 Prozent gegenüber der Wahl fünf Jahre zuvor verloren und die SPD fast 13 Prozent gewonnen haben soll. Ebenso merkwürdig ist, dass bei den zeitgleich abgehaltenen Wahlen zum Europaparlament und zur Bezirksvertretung die Wähler genau andersherum votierten. Jeweils lag die Union weit vor den Genossen.
Ob bei der Auszählung der Stimmen alles mit rechten Dingen zugegangen ist, hätte sich eigentlich leicht klären lassen können – durch eine Neuauszählung. Aber einen entsprechenden Antrag der CDU lehnten SPD, Grüne und Linkspartei ab.
„Eine Tatsachenfeststellung“
„Im Sport würde man sagen: Es ist eine Tatsachenfeststellung“, beschied SPD-Ratsfraktionschef Martin Börschel den Christdemokraten. „Diese Regel ist im Sport allgemein akzeptiert.“ Sie gelte auch in der Politik, „es sei denn, man hat plausibel vorgetragene Tatsachen, die über bloße Vermutungen hinausgehen, um diese Feststellungen überprüfen zu können“. Daran mangele es jedoch. Einfach so neu auszuzählen, ginge gar nicht, fand auch Linksparteifraktionschef Jörg Detjen. „Sie vermuten und stilisieren das hoch zu Tatsachen“, spottet er.
Die Grünen schlugen einen Kompromiss vor: nicht nur der umstrittene, sondern alle 1.024 Stimmbezirke sollten neu ausgezählt werden. „Solange wir uns nur auf der Ebene der Vermutungen befinden, müssen wir uns zumindest der Regelwerke der Statistik bedienen und diese anwenden“, begründete der grüne Fraktionsgeschäftsführer Jörg Frank den Vorschlag. Danach würden sich bei der Menge der Stimmbezirke „Zählfehler, die immer vorkommen, ausgleichen“.
CDU und FDP ergriffen den Strohhalm, während seitdem das rot-grüne Verhältnis als zerrüttet gilt. Jedenfalls beschloss eine grün-schwarz-gelbe Mehrheit im Rat gegen den erbitterten Widerstand von SPD und Linkspartei die komplette Neuauszählung. Was jedoch Oberbürgermeister Jürgen Roters (SPD) und Regierungspräsidentin Gisela Walsken (SPD) als nicht zulässig beanstandeten. Wogegen wiederum der Rat klagte.
Neufeststellung im Wahlkreis
So gingen in Köln die Monate ins Land, ohne dass geklärt werden konnte, wie die Wähler im kölschen Florida wirklich gestimmt haben. Doch das wird sich nun ändern. Denn inzwischen hat sich das Verwaltungsgericht Köln der leidigen Sache angenommen. Genau zehn Monate nach der Kommunalwahl hat es seine Entscheidung gefällt: Der Ratsbeschluss, die komplette Wahl erneut auszuzählen, ist tatsächlich unzulässig.
Aber: Für den mittlerweile fast schon legendären Rodenkirchener Briefwahlbezirk 20874 ordneten die Richter eine Neufeststellung des Wahlergebnisses an. Die Prüfung des Gerichts habe „den Verdacht verstärkt“, dass dem Wahlvorstand „für den Ausgang der Wahl bedeutsame Fehler unterlaufen“ seien, heißt es in der Begründung. Es spräche „auch sonst alles, insbesondere eine vertiefte wahlstatistische Auswertung für eine Vertauschung der Zahl der Stimmen für die CDU- und die SPD-Bewerberin“.
Seine Partei akzeptiere das Urteil, verkündete SPD-Chef und Oberbürgermeisterkandidat Jochen Ott. Allerdings nur zähneknirschend, denn die Sozialdemokraten seien „angesichts der Abweichung von der bisherigen Rechtsprechung in Sorge, weil künftig die Arbeit ehrenamtlicher Wahlvorstände allein aufgrund von Vermutungen nach dem Wahltag leicht in Zweifel gezogen werden kann“. Das dürfte nicht Otts einzige Sorge sein. Das Richtervotum könnte für ihn bittere Folgen haben: Es geht um seinen Ratssitz, der der SPD nun verlustig zu gehen droht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag