Ausstellungsempfehlung für Berlin: Nahbare Knubbeligkeit
Für „Spiritual Bypass #2“ bei Stations, verlässt Hella Gerlach die Nähe zum Industriellen. Ihre neuen Skulpturen aus Stoff sind weich und wesenhaft.
Man konnte vor ein paar Jahren noch richtige Nutzobjekte in Hella Gerlachs Installationen finden, Karabinerhaken oder Greifzangen. Perfektionierte Gegenstände der Massenproduktion, die dann mit den unvollkommenen Formen ihrer weichen Stoffobjekte korrelierten. Damals wirkten sie wie die technischen Verlängerungen eines organischen Etwas, transkörperlich.
Aus Hella Gerlachs Ausstellung „Spiritual Bypass #2“ bei Stations sind diese Industrieprodukte verschwunden. Jetzt hängen elf wellige, fransige, verknäuelte, nierenförmige und wulstige Objekte aus Textil in dem Projektraum in der Kreuzberger Adalbertstraße.
Fast verschwunden, denn an den nur stellenweise freigelegten Betondecken im oberen Stockwerk des Zentrum Kreuzberg befinden sich sichtbar eine Reihe rotierender Motoren. Und sie versetzen einige der bunten, menschhohen Dinge in leichte Bewegung. Je nach ihrer Beschaffenheit, nach der Dicke ihres Stoffes, Ausformung ihrer Konturen oder Verknotung ihrer Extremitäten scheinen sie mal zu tänzeln, mal träge zu schwanken. Es ist eine ganz sanfte Choreografie von Körpern, Gestalten, vielleicht sogar Wesen.
Greifbare Nähe zum Material
Hella Gerlach, die zwar in Berlin lebt, aber in den letzten Jahren vielmehr außerhalb Berlins ausstellte, gibt den Stoffgegenständen dieses Wesenhafte durch das Material. Mal mit weichen, mal harten, mal natürlichen und mal synthetischen Textilien macht sie das Psychische physisch. Nicht nur äußerlich, denn die Objekte sind befüllt. Ihre nahbare Knubbeligkeit entsteht etwa durch Kleidung von Personen aus Gerlachs sozialem Umfeld, durch Pflanzen wie Geißblatt und synthetische Drogen wie Ketamin.
Stations, Sa. + So. 14–18 Uhr, sowie nach Vereinbarung unter: contact@stations.zone, bis 12. September, FFP2-Maske erforderlich, Adalbertstr. 96 (1. OG neben Café Kotti),
Manch ein schwer hängender Arm ist mit Asche gefüllt. Man sieht diese Substanzen nicht, trotzdem wirken sie nach außen. Was fühlst du, während du über diese Objekte streichst, während sie sich neben dir bewegen? Was fühlen dann die Dinge? Und was wir zusammen?
Aus dem Inneren einer hängenden Niere kommt dann vielleicht die Antwort: ein singendes Röhren, wie das von einem Buckelwal unter Wasser. Es ist die Soundarbeit von Yosa Peit, die Hella Gerlach in ihr Textilobjekt einnähte. Diese gemeinsame Installation heißt: „Articulate a collective dream“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!