Ausstellung von Michael E. Smith in Wien: Abgesang der Zivilisation

Das Horrorkabinett von Michael E. Smith ist in einer Ausstellung der Wiener Secession zu sehen. Seine Objekte entwickeln große Symbolkraft.

Totenkopf mit Kürbistängeln in den Augenhöhlen

Unheimliche Dingwelt: Installationsansicht von Michael E. Smith in der Wiener Secession Foto: Oliver Ottenschlager/Wiener Secession

Vor knapp 120 Jahren entstand die Wiener Secession als Ausstellungsgebäude für zeitgenössische Kunst. Damals malte Gustav Klimt seinen Beethovenfries an die Wand im Kellergeschoss des Jugendstilgebäudes. Heute hat dort der US-Künstler Michael E. Smith seine installativen Objekte als eine Art episches Theater in den verschiedenen Räumen der Secession inszeniert, um den Gefühlszustand der Welt zu vermessen. Der Absolvent der Bildhauer-Klasse von Jessica Stockholder an der Yale University arbeitet seit 2008 daran, den Skulpturenbegriff neu zu definieren.

Steigt man im Zentralbau der Secession die Treppen hinunter zu Klimts Beethovenfries, kommt man auf halbem Wege ins Stocken. Eine Nappaleder-Jacke im Stil der 1990er Jahre – über Eck an die Wand fixiert – wirkt wie ein Störfaktor im White Cube des Zwischengeschosses. Was soll das? Das Leder sichtbar. Glatt, speckig, grau meliert, ihr Futter ist halb herausgetrennt. Ein Symbol jener Generation, der US-Künstler Michael E. Smith (geboren 1977) angehört. Der Lärm großer Gebläse macht neugierig und so geht man auf dem nicht ausgeschilderten Pfad seiner Inszenierung weiter.

Wie bereits zuvor in seinen großen Ausstellungen im Kunstverein Hannover, in der Kunsthalle Basel und im Ludwig Forum in Aachen eröffnen seine Installationen einen Erfahrungsraum, der weit mehr als nur unseren Sehsinn anspricht. Geräusche und Licht gehören für ihn ebenso dazu. Jetzt, dem Lärm entgegen, gelangt man in einen dunklen Raum. Mittig platziert ein von innen ausgeleuchteter Basketball, dessen zwei Augenaussparungen mit rotem Kunststoffglas hinterlegt sind.

Monster und Zombies

Seine schwarze Rillen beherrschen die Oberflächenstruktur. Das Objekt wirkt wie ein Gesicht mit Augen und Mund – Halloween lässt grüßen. Smith holt ein klassisches Sujet traditioneller Comics zu Monster und Zombies in die Ausstellung. Dadurch wirkt das am Anfang über Eck fixierte Nappaleder nun wie ein zur Schau gestellter Skalp.

Michael E. Smith, bis zum 6. September in der Wiener Secession.

www. secession.at

Im nächsten Raum finden sich im Tageslicht endlich drei große Windgebläse mit meterlangen im Raum verteilten Kabeln. Der Lärm der Generatoren ist ohrenbetäubend und wirkt wie ein Beben, dass in die benachbarten Räume ungut ausstrahlt. Man möchte fliehen, wird jedoch abgelenkt. Denn die Brandschutztüren zu diesem Raum bewegen sich einen Spaltbreit und lassen die Metalldeckel von an den Türen angebrachten Brotkästen klappern.

Versucht man das Geschehen zu deuten, liegt der Gedanke an eine Geisterbahn liegt nicht fern. Auf dem weiteren Parcours gelangt man dann in einen schlauchförmigen Raum. Er ist wieder abgedunkelt, nur über die Länge eines schmalen Fensterbands an der Außenwand fällt ein Lichtkegel auf den Boden. Erhellt wird hier das von Bob Kane im Jahr 1939 kreierte Batman-Symbol. Der Künstler hat es halbiert und es ist aus Stängeln von Kürbissen gelegt. Also ein Symbol für einen halben Comic-Helden?

Während in der Batman-Geschichte der Scheinwerfer mit dem Logo gen Himmel gerichtet ist, um die Hilfe des Helden zu bemühen, dreht der Künstler dies um. Der Lichtkegel beleuchtet die Stängel und diese werden zum Symbol der Abwesenheit des eigentlichen Objekts. Überhaupt spiegelt dieser Secessions-Raum Smith’ politisch, seine sozialen Erfahrungen. Mit der Metapher einer gesetzlosen Stadt wie Gotham bringt Smith seine Herkunft aus Detroit ein.

Urban Farming in einer Industriestadt

In seiner Heimatstadt hat der Künstler prototypisch den Niedergang der US-amerikanischen Industrie und Arbeiterschicht miterlebt. Zugleich wurde er in diesem Umfeld aber auch Bestandteil einer vielfältigen Musik- und Alternativkulturszene. Auch Urban Farming mit Kürbissen findet heute auf den Brachflächen entwohnter Stadtviertel im historische Zentrum Detroits statt. Und so erzählen – jenseits von Hero-Turtles – auch die Olympischen Ringe aus dem Panzer von Schildkröten mit einem weiteren Raumobjekt vom Abgesang der Zivilisation.

Der heute in Rhode Island nahe New York lebende Künstler bemächtigt sich also in seiner Inszenierung starker Symbole, wie Halloween, Batman und Olympia. Sinnvoll auch für die Kunst in einer Welt, in der wir durch Piktogramme und Logos geleitet werden. Seine mit großer Symbolkraft ausgestatteten Objekte reagieren dabei auf ökologische Krisen wie die in den Meeren und kapitalistisches Konsumverhalten wie im Fall der Kürbisse, die nicht mehr Grundnahrungsmittel, sondern Accessoire sind und bei denen die Brotkästen leer bleiben.

Dialog mit Alltagsgegenständen

Schreitet man weiter, überstrahlt der von Neonröhren grell erleuchtete nächste Raum den Gesamteindruck. Schmucklos wirkt er wie ein Flur, der nichts für die Betrachter bereitzuhalten scheint. Es fällt kaum auf, dass hier ein auf beiden Seiten hängender Vorhang entfernt wurde. Nur die Hängevorrichtung deutet darauf hin. Zwei Besprechungstische stehen wie beiläufig eingerichtet mit einem Stapel Stühle fein säuberlich auf einer fahrbaren Holzplatte in der Ecke. Über den einsam im Raum stehenden Stuhl, über dem das Licht ausgeschaltet ist, kommt man nun doch in den Dialog mit der Installation der beiläufig im Raum positionierten Alltagsgegenstände, bevor man den Raum hinter sich lässt und ins Grafik-Kabinett der Secession hinaufsteigt.

Die Tür ist geöffnet und noch auf der Treppe fühlt man sich schon von einem auf dem Boden liegenden menschlichen Schädel beobachtet, der Richtung der Tür blickt. In seinen Augenhöhlen hat der Künstler zwei Flaschenkürbisse gelegt. Mit dem Schädel als Memento Mori betreten Gewalt, Tod und soziale Ungerechtigkeit die Bühne des Kabinetts. Um die Bildsprache des Comics zu bemühen, assoziiert der Besucher hier die Action-Figur des Ghostbuster-Skeletts aus den Achtzigern.

Gegenüber den aus den Augenhöhlen quellenden Augäpfeln wird sie den Betrachtern zum Objekt des Entsetzens. Und ist dem Schädel das Entsetzen quasi ins Gesicht geschrieben, stehen dann dem zweiten Objekt, einer aus Rosshaar gefertigten Wandskulptur, sprichwörtlich die Haare zu Berge.

Mit der Inszenierung einer wesenhaften und unheimlichen Dingwelt erzeugt der Künstler eine Heiterkeit, bei der einem freilich das Lachen im Halse stecken bleibt. Gleichzeitig arrangiert er ein atmosphärisch dichtes Feld des epischen Theaters. Katharsis durch Kunst tritt hinter eine Aufführung zurück, die die Betrachter aktivieren will. Sie sollen erkennen, dass ihre politische, soziale, wirtschaftliche und kulturelle Situa­tion veränderbar ist.

Dabei wird die Ausstellung „Michael E. Smith“ in Gänze nicht nur von den dominanten Medien der US-Gesellschaft umgesetzt, sondern liefert im Sinne der politischen Aufklärung auch den Spiegel für ein gesamtgesellschaftliches Phänomen gleich mit.

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