piwik no script img

Ausstellung von Etel Adnan in MünchenGemalte Gedichte, sanftes Pastell

Sie war nie ganz greifbar. Eine Retrospektive in München widmet sich der Malerei und Lyrik von Etel Adnan, die spät als Künstlerin entdeckt wurde.

Porträt von Etel Adnan in der Türkei 1973 Foto: Simone Fattal/Courtesy Galerie Lelong

Auch Etel Adnan gehört zu den großen Frauen in der zeitgenössischen Kunst, die zeitlebens auf hohem Niveau wirkten. Und über Jahrzehnte kaum beachtet wurden. Louise Bourgeois wurde darob beispielsweise zunehmend sarkastisch. Offenbar musste sie erst alt werden, bevor ihre künstlerischen Leistungen in der männerbewehrten Rangfolge Spitzenplätze einnehmen durfte.

Etel Adnan – sie ist vor einem Jahr mit 96 Jahren in Paris gestorben – war 2012 mit 87 erstmals Teilnehmerin der Documenta. Sie erregte umgehend Aufsehen mit ihren kleinformatigen Ölbildern. Und war fortan ein bedeutender Fixpunkt. Das Lenbachhaus in München widmet ihr nun eine große Retrospektive.

Klar strukturiert und in weich konturierten Farbfeldern schildert Adnan sonnenbeschienene Landschaften. Oder sind es doch gemalte Gedichte, rhythmisch, in sanftem Pastell, dabei eindringlich. Manchmal knäuelt sich etwas in der Mitte, dunkel, starkfarbig. Ein rätselhaftes Objekt, ein bedrohlicher Gedanke, eine böse Erinnerung?

Die Ausstellung

Etel Adnan: Lenbachhaus München, bis 26. Februar. Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf, ab 1. April.

Fast in jedem Bild gibt es ein strahlend rotes Quadrat. Ein Signet? Auf jeden Fall fungiert es als Anker. Adnan sagte einmal, wenn ihr nichts einfalle, male sie zunächst ein rotes Quadrat. Dann gehe es zügig weiter, stets ohne Unterbrechung.

Sie ließ sich schwer einordnen. War nie ganz greifbar. War sie nun die in Berkeley und Paris geschulte Philosophin, die in Kalifornien lehrte? War sie die Lyrikerin, die Dichterin der 59 Verse umfassenden „Arabischen Apokalypse“, die den Niedergang der stolzen und mondänen Metropole Beirut beklagen?

In einem wandfüllenden Typoskript mit handschriftlichen Korrekturen fasst sie die scheinbar unauflösbaren, menschenverachtenden Verstrickungen von Religion und Macht in starke poetische Bilder („… Niemand verlangte von Dir ein Engel der Angst oder gar des Todes zu sein / Wir wollten nur, Deine Haut wäre so glatt / wie die See / an einem Nachmittag im Oktober / in Beirut, Libanon / zwischen zwei Bürgerkriegen …“). Oder war sie die Journalistin, die Feuilletonredakteurin der jungen Beiruter Zeitung Al-Safa?

Dichte Knäuel oder ein Sonnenuntergang am Meer, Etel Adnan „Untitled“, 2020 Foto: Courtesy of the Estate Etel Adnan and Sfeir-Semler Gallery Beirut Hamburg/VG Bild-Kunst

Irgendwann begann Etel Adnan kontinuierlich zu malen, kleine Ölbilder. Immer mit dem Malmesser, nie mit dem Pinsel, die Textur makellos glattgezogen, nur manchmal leicht gespachtelt. In ihrer zweiten Heimat Sausalito an der Bucht von San Francisco entstanden zahllose Varianten des Mount Tamalpais, der sich unweit ihres Ateliers erhob („Ein Berg ist keine feste Form, je nach Klima, Wetter, Regen, Jahreszeit verändert er sich.“).

Mehr als 140 Arbeiten sind in der unterirdischen Kunsthalle des Lenbachhauses ausgestellt. Eine dichte Werkübersicht, zu der auch Wandteppiche gehören und eher irritierend als aufschlussreich Werke von Klee, Münter, Kandinsky und Matisse, die wohl belegen sollen, wie nah Etel Adnan diesen Künstlern etwa in „Fragestellungen zur Verschränkung von Malerei, Zeichen und Schrift“ war.

Beeindruckend jedoch ist ihr spielerischer und konsequenter Umgang mit den Leporellos, nach dem Vorbild japanischer Faltbücher – zusammengeklappt eine Kleinigkeit, auseinandergefaltet ein oft mehrere Meter langes illustriertes Buch, in dem sie arabische, englische, französische Geschichten erzählt. Fein kalligrafiert bilden sie eine spezielle Form zwischen Objekt, Poe­sie und Zeichnung.

Ein Leporello ist in lebhafter und zärtlicher Scriptura ausschließlich den Dächern von Paris gewidmet. Das war ihre dritte Heimat, hier lebte sie bis zuletzt mit ihrer Lebensgefährtin, der Keramikern Simone Fatal. Etel Adnans nie versiegende Liebe blieb jedoch Beirut, von wo sie immer wieder fliehen musste.

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!