Ausstellung über Zugtoiletten: Wenn's mal wieder länger dauert
Vom königlichen Klostuhl übers Fallrohr bis zur Vakuumtoilette: Das DB-Museum widmet sich dringenden Bedürfnissen auf Reisen.
Aber kann man so etwas ausstellen? Das Museum der Deutschen Bahn in Nürnberg hat es gewagt. Es zeigt auf 200 Quadratmetern Aspekte menschlicher Entleerung im schienengebundenen öffentlichen Personenverkehr.
Nein, dies ist keine Witzausstellung, und ein nach Zoten gierender Besucher wird ihr enttäuscht den Rücken kehren. Dafür ist die Schau in all ihrer Ernsthaftigkeit sehr gelungen. Und auf die naheliegende Frage, ob und wie man mit diesem Thema einen ganzen Saal füllen kann – selbst wenn den Deutschen ein ganz besonders inniges Verhältnis zu ihren Ausscheidungen nachgesagt wird –, versichert Kuratorin Ursula Bartelsheim, dass bei der Konzeption der Ausstellung das gegenteilige Problem auftrat: der Platz war zu gering.
Das liegt daran, dass sich anhand der Zugtoilette zwei große Entwicklungen des 19. und 20. Jahrhunderts darstellen lassen. Die der zunehmenden Hygiene und die der rasant wachsenden Mobilität. Zum ersten Stichwort sei erwähnt, dass noch 1831/32 die Cholera in Berlin wütete und mehr als 1.400 Opfer forderte. Es gab keine Abwasserkanäle oder gar Klärwerke, geschweige den Wasserklosetts, der Unrat landete auf der Straße.
Von Leipzig nach Dresden in 3 Stunden und 40 Minuten
Die 1835 in Deutschland eingeführte Eisenbahn war mit der Ausscheidungsproblematik zunächst dennoch nicht konfrontiert. Denn die ersten Strecken wie die von Nürnberg nach Fürth mit sechs Kilometern waren viel zu kurz, um ein dringendes Bedürfnis entstehen zu lassen, wie Bartelsheim bei einem Rundgang durch die Schau erklärt. Doch bald wurden die Strecken länger, und ebenso verlängerte sich die Reisezeit. Die Züge der ersten deutschen Fernbahn von Leipzig nach Dresden waren ab April 1839 3 Stunden und 40 Minuten unterwegs.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Anfangs behalf man sich mit einem längeren Unterwegsaufenthalt, um dort sowohl die Ab- als auf die Zufuhr von Lebensmitteln, Letzteres in einer Bahnhofsrestauration, zu ermöglichen. Und eben nur die allerhöchsten Herrschaften verfügten über eine Art Toilette in ihrem Hofwagen. Im Nürnberger Museum steht der mit goldenen Ausschmückungen überladene blaue Waggon von König Ludwig II., der über einen Klostuhl verfügte. Dieser war freilich noch ohne Abfluss. Die Exkremente der Hoheit sammelten sich einfach in einem Behältnis unter dem Sitz, der von einem Diener entleert werden musste.
Einen Höhepunkt der Schau bildet zudem der hölzerne Toilettenstuhl des Habsburger Monarchen auf Reisen, ein vermutlich von Kaiser Franz Joseph wiederholt genutztes Utensil. Merke: Die Zugtoilette ist auch eine Klassenfrage.
Erst ab den 1880er Jahren erhielt auch das profane Publikum die entsprechende Möglichkeit. Behindernd war dabei allerdings, dass Personenwaggons ähnlich einer Reihe zusammengebauter Postkutschen konstruiert waren, mit Außentüren zu jedem einzelnen Abteil und ohne Seitengang. Eine Toilette konnte daher, wie bei einem Modell erkenntlich, nur zwei benachbarte Abteile durch Zwischentüren bedienen.
Notdurft erst beim nächsten Halt
Ein anderes Modell zeigt einen Packwagen der Königlich Bayerischen Staatsbahnen mit eingebautem Klo. Da musste der Reisende bei einem Unterwegsaufenthalt rasch sein Abteil und den Zug verlassen und zum Gepäckwagen eilen in der Hoffnung, dass dieser nicht schon besetzt war. Und nach Verrichtung der Notdurft musste er bis zum nächsten Halt dort verweilen.
Erst die Konstruktion von Waggons mit Seitengang ergab die Möglichkeit, an den Wagenenden Toilettenräume einzurichten, bald mit dem berühmt-berüchtigten Fallrohr, das die Exkremente umstandslos auf den Schienenkörper beförderte. Dafür gab es unterschiedliche mechanische Lösungen, deren Details sich dem Laien nicht sofort erschließen, etwa die selbsttätige Abortdeckel-Niederlegung. Der Autor dieses Textes hat ein Fallrohrmodell erst jüngst auf einer rumänischen Nebenbahnstrecke nutzen dürfen. Berührt gedachte er bei dieser Gelegenheit auch des Trockenseifenspenders und des Papierhandtuchhalters der Bundesbahn. In der Ausstellung gibt’s das alles zu sehen.
Der Anfang vom Ende der Fallrohrtoilette begann indes unter der Hochbrücke Hochdonn. Hier überquert die Bahn den Nord-Ostsee-Kanal, und ihre Konstruktion hat dazu beigetragen, das Zugtoilettenwesen in Deutschland nachhaltig zum Besseren zu verändern. Unter der Brücke befindet sich nämlich nicht nur ein Kanal, dort stehen auch Häuser, deren Bewohner beklagten, dass Exkremente aus den Zugtoiletten auf ihren Grundstücken landeten. In einem Prozess urteilte der Richter im Jahr 1995, dass die Bahn diesen Zustand zu beenden hätte.
Selbstverständlich hat die Hochdonnbrücke den ihr gebührenden Platz in der Ausstellung gefunden. Kuratorin Bartelsheim weist allerdings darauf hin, dass die Bahn in den 1990er Jahren längst mit der Entwicklung eines Nachfolgers begonnen hatte: der Vakuumtoilette. Das hing mit dem Bau der Schnellfahrstrecken zusammen. Bei Tempo 250 sind die Grenzen des Fallrohrs erreicht, in Tunneln würde der Druck gar dazu führen, dass die Extremente nach oben statt nach unten geschleudert würden. Das Hochdonn-Urteil sorgte freilich für eine Beschleunigung des Umstellungsprozesses. Wobei das Fallrohr in Deutschland bis heute keineswegs verboten ist und auf diversen Museumsbahnen zum Einsatz gelangt.
Unterversorgung an Bahnhöfen bis heute
So scheint nun alles zum Besten geregelt, einschließlich der „DB-Unterwegsreinigung“, die gestörten ICE-Toiletten noch während der Fahrt zu Leibe rückt. Die Ausstellung verschweigt nicht, dass es da bisweilen schon zu einer gewissen Unterversorgung gekommen ist. Keine Erwähnung findet dagegen die Tatsache, dass das Angebot für Wartende auf kleineren Bahnhöfen in Deutschland mittlerweile leider gegen null geht.
Sind wir nun am Ende des zivilisatorischen Fortschrittsprozesses angelangt? Keineswegs! Die Zukunft verlangt neue, bessere Lösungen. Zum Beispiel für Lokomotivführer, genauer für Lokomotivführerinnen. Wer auf langen Strecken mit Güterzügen unterwegs ist, kann sich nämlich bisher bei einem Unterwegshalt nur in die Büsche schlagen. Ein WC auf der Lok gibt es nicht. Weil die Bahn AG aber mehr Lokführerinnen einstellen möchte, die diese Pieselmethode nicht zu vollführen gedenken, entwickelt man gerade ein Klo mit dem hübschen Namen „Cinderella“ für das Lokomotivpersonal, bei der die Fäkalien verbrannt werden.
Und auch die Vakuumtoilette mit ihrem Tank, der alle drei Tage an speziellen Stationen entleert werden muss, könnte irgendwann ersetzt werden: durch ein Bioreaktor-Klo. Auch ein solches Ungetüm von Toilettentechnik ist ausgestellt und entspricht, laienhaft gesprochen, einer Art kleiner Kläranlage. Der Fortschritt ist eben nicht zu bremsen, schon gar nicht im Hochgeschwindigkeitszug.
Die Ausstellung „Unter Druck. Die Geschichte der Zugtoilette“ ist im DB-Museum Nürnberg noch bis April 2025 zu sehen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Kommen jetzt die stahlharten Zeiten?