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Ausstellung über DemokulturLübeck war viel auf den Beinen

Für Hunde, für die Uni und für „Marzipan statt Nazi-Wahn“ gab's an der Trave Demos: Das Willy-Brandt-Haus erzählt, wie sie Stadtgeschichte schrieben.

Stadtgeschichte: Nicht nur 1999 stellten sich Lübecks Bür­ge­r*in­nen NPD-Aufmärschen mit Demos entgegen Foto: Oliver Soulas/dpa

Im März 1954 hielt vor einer Baracke im Süden Lübecks ein Lastwagen. Po­li­zis­t*in­nen stellten sich vor die Eingänge, dann drangen sieben von ihnen in die Wohnungen ein, holten die Hunde der Mie­te­r*in­nen heraus und töteten sie noch auf dem Lastwagen. Dahinter stand ein Auftrag des Ordnungsamtes, weil in der Nähe eine tollwütige Katze gefunden worden war.

Die Bewohner*innen, Geflüchtete aus der nahen DDR, waren traumatisiert – und die Stadtbevölkerung wütend. Laut NDR gingen 10.000 Menschen kurz danach auf die Straße und prangerten per Schweigemarsch den „gnadenlosen Hundemord“ an.

Mehr als 1.000 brachten Hunde mit, die nach einem damaligen Bericht in den Lübecker Nachrichten Trauerflor trugen. Der „Hundemord von Blankensee“ ist eine Episode Lübecker Geschichte, von der heute nur noch wenige etwas wissen.

Die Ausstellung „Get up, stand up! – Lübeck demonstriert. 1950 bis 2025“ erinnert nun im Lübecker Willy-Brandt-Haus mit Fotos, Zeitungsartikeln und Hintergrundtexten nicht nur an diesen lokalen Skandal: 20 große Tafeln erzählen die Geschichte der Stadt anhand ihrer Proteste – und nebenbei die Geschichte Deutschlands.

Die Zonenrandlage politisierte die Stadt

So waren die Märsche zum ersten Mai in den 1950ern ein Großereignis. Lü­be­cke­r*in­nen gingen auch gegen die Bild-Zeitung auf die Straße, gegen Atomwaffen, Atomtransporte, Giftmüll und Brokdorf, gegen die Notstandsgesetze und gegen Hochhäuser. 1990/91 forderten Hunderte Bauern mit ihren Treckern niedrigere Lebensmittelpreise.

„Get up, stand up! – Lübeck demonstriert. 1950 bis 2025“, Ausstellung im Willy-Brandt-Haus Lübeck, Königstraße 21, tägl. 11–18 Uhr. Bis 15. 9.

Ausstellungsgespräche am 31. 8. und 7. 9., 11 Uhr

In manchen Kundgebungen kommt Lübeck als einzige Großstadt an der innerdeutschen Grenze in den hellen Spot der Weltgeschichte. 1984 besetzten Ak­ti­vis­t*in­nen eine Brückenbaustelle, um den Einbau von Panzersperrschächten im Kalten Krieg zu verhindern. Die sollten bei einem möglichen Einmarsch sow­jetische Truppen abhalten. Heute stehen die Gullis, die es nur auf Lübecks Brücken gibt, unter Denkmalschutz.

Nach der Maueröffnung fuhren dann durch Lübecks östlichsten Stadtteil zweieinhalb Mal mehr Autos als vor der Wende. Be­woh­ne­r*in­nen demonstrierten deshalb für eine zweite Straße. Die wurde aber erst 25 Jahre später fertig. Am 1. Juli 2002 feierten 3.000 Menschen bei Lübecks erstem Christopher Street Day. Ab 2018 rief „Fridays for Future“ regelmäßig zu Klima-Demos auf. 2020/21 gab es jeden Montag Menschenketten und Schweigemärsche gegen die Corona-Maßnahmen.

Anfang 2024 protestierten mehrere Tausend unter dem Motto „Marzipan statt Nazi-Wahn“ gegen die AfD, erneut ging Lübeck im vergangenen Februar gegen rechts und für eine strikte Abgrenzung der CDU von der AfD auf die Straße. Bei einer Mahnwache auf dem Rathausmarkt während der Bürgerschaftssitzung skandierten einige Hundert von ihnen: „Ganz Lübeck hasst die CDU“. Das löste Debatten aus: Die Partei hatte gemeinsam mit den Grünen und der FDP gerade die Mehrheit im Rathaus errungen.

Farblich markant – und politisch wirksam: 2010 demonstrierte halb Lübeck knatschgelb gegen die Schließung seiner Uni Foto: Angelika Warmuth/dpa

Rechte Gewalt hat eine Narbe in der Stadtgeschichte hinterlassen: Im März 1994 brannte nach einem rechten Anschlag hier zum ersten Mal seit dem Ende des NS-Regimes eine Syna­goge. Kaum zwei Jahre später starben bei einem von Neonazis gelegten Feuer in einer Asyl­be­wer­be­r*in­nen­un­ter­kunft in der Hafenstraße zehn Menschen. Nach beiden Ereignissen gab es Mahnwachen. Die inzwischen restaurierte Synagoge ist heute ein von hohen Palisaden und Polizei geschütztes Bollwerk.

Die Ausstellung hat viel, für manche Be­su­che­r*in­nen zu viel Text. Transparente, Filmdokumente oder eine interaktive Station hätten gut gepasst. Vielleicht fehlte der Platz dafür, sie hat nur einen nicht allzu großen Raum im Willy-Brandt-Haus.

Kuratiert hat sie die selbstständige Kulturwissenschaftlerin und Fotografin Karin Meyer-Rebenbusch mit Hilfe des Vereins „Zukunftskontor“ und mit dem Geld zweier Stiftungen. Die Lübecker Nachrichten halfen mit Bildern und Artikeln aus ihrem Archiv. „Ich habe versucht, sehr verschiedene Anlässe zu zeigen, wofür oder wogegen demonstriert wurde“, sagt die Kuratorin. Nicht immer teile sie die Anliegen der Demonstrierenden: „Andere Positionen und Meinungen auszuhalten, gehört zu einer Demokratie.“

Für die Leiterin des Willy-Brandt-Hauses, Bettina Greiner, sind Demos gegen rechts besonders wichtig. Die Ausstellung stelle auch Fragen, sagt sie: „Wofür sind Demos gut? Können sie etwas bewirken?“

Das beste Beispiel dafür, dass sie das können, seien die Proteste gegen die Schließung großer Teile der Lübecker Uni 2010. Noch heute hängt in manchen Altstadtfenstern der gelbe Schriftzug: „Lübeck kämpft für seine Uni“. Bis zu 14.000 Menschen demonstrierten damals. Am Ende gab es Geld vom Bund und das Land nahm die Schließungspläne zurück.

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