Ausstellung „Kriegsbeute aus China“: Vergessene koloniale Geschichte
Das Landesmuseum in Hannover zeigt Ausstellungsstücke, die sich ein deutscher Offizier bei der Plünderung Pekings im Boxerkrieg unter den Nagel riss.
Reproduziert zu sehen sind da drei Rollbilder, wie sie bei Prozessionen im China des 18. und 19. Jahrhunderts durch die Straßen getragen wurden, dazu zwei Buddhastatuen und fünf vergoldete Tontäfelchen mit Götterdarstellungen. Ins Museum gelangten all diese Stücke vor rund 113 Jahren als Schenkung des Offiziers und berühmten Herrenreiters Friedrich Graf von Königsmarck. Der brachte sie an sich, als er in China diente, so viel lässt sich aus den Museumsaufzeichnungen rekonstruieren.
Als Offizier im Stab des Grafen von Waldersee war von Königsmarck 1900 und 1901 an der Niederschlagung des „Boxeraufstandes“ – respektive dem „Boxerkrieg“ – beteiligt; chinesische Bezeichnung: Pinyin Yìhétuán Yùndòng – „Bewegung der Verbände für Gerechtigkeit und Harmonie“. „Boxer“ nannten die ausländischen Mächte jene in traditionellen chinesischen Kampfkünsten geschulten Männer und Frauen, die meist aus ärmeren Provinzen stammten und in ordens- oder sektenähnlichen Verbänden organisiert waren. Sie wehrten sich gegen ausländische Missionare und Besatzer, töteten allerdings auch zahlreiche chinesische Christen, die sie als Verräter und Kollaborateure ansahen.
Als diese Aufrührer im Juni 1900 das Gesandtschaftsviertel in Peking belagerten und der deutsche Gesandte Clemens Freiherr von Kettler ermordet wurde, beschlossen Italien, die USA, Frankreich, Österreich-Ungarn, Japan, das Deutsche Reich, das Vereinigte Königreich und Russland gemeinsame Truppen zur endgültigen Niederschlagung des Aufstandes zu entsenden. Auf deutscher Seite wurde Alfred Heinrich Karl Ludwig Graf von Waldersee, preußischer Generalfeldmarschall, damit betraut; er kehrte als gefeierter Held nach Hannover zurück und wird dort bis heute geehrt: mit einem monumentalen Denkmal, auf dem er den chinesischen Drachen zertritt, und einer nach ihm benannten Straße. Die Ehrenbürgerwürde verliehen ihm aber 1901 auch Senat und Bürgerschaft in Hamburg.
Bei der Verabschiedung des deutschen Ostasiatischen Expeditionskorps in Bremerhaven hielt Kaiser Wilhelm II. seine berüchtigte Hunnen-Rede: „Pardon wird nicht gegeben. Gefangene werden nicht gemacht“, heißt es darin. Und: „Daß es niemals wieder ein Chinese wagt, einen Deutschen scheel anzusehen.“ Die Rede war eine unverhohlene Aufforderung zu Kriegsverbrechen, und die Truppen kamen ihr bereitwillig nach: Sie stürmten nicht nur brandschatzend, plündernd, mordend und vergewaltigend durch Peking, sondern brachen auch danach noch zu zahlreichen Strafexpeditionen auf. Diese Art der Kriegsführung sahen selbst Zeitgenossen kritisch – allerdings konzentrierte man sich auch gern darauf, die jeweils anderen alliierten Kolonialmächte als die noch viel Schlimmeren darzustellen.
Der Krieg endete erst mit dem „Boxerprotokoll“, das 1901 eine weitere Ausplünderung Chinas in Form von Reparationen festlegte. Nun ist unklar, welche Kriegsverbrechen der Schenker Friedrich Graf von Königsmarck begangen hat, klar ist aber: Rechtmäßig erworben hat er die später verschenkten Stücke sicher nicht. Der Offizier war bis 1910 in Hannover stationiert, auch diese Geschichte wird in der Ausstellung kurz erzählt. Bevor er die Stadt verließ, übergab er wohl die Beutestücke an das Museum, das damals noch „Provinzialmuseum“ hieß.
Im Jahrbuch des Museums aus dem Jahr 1909/1910 findet sich der Eintrag: „Von einem ungenannten Geber wurden dem Museum folgende Gegenstände aus Tempeln des Kaiserpalastes zu Peking geschenkt: 6, meist auf Seide gemalte Bilder (Porträts und szenische Darstellungen). Bronzefiguren und Thonplaketten: Buddha-Darstellungen. Eine Fayencefigur, eine Gottheit darstellend.“ Dieser Fund machte die Provenienzforscher des Museums, namentlich Maik Jachens, hellhörig. Er stöberte eine weitere Notiz im Archiv des Fachbereichs Ethnologie auf, die Königsmarck als Geber benannte und weitere Angaben zur Herkunft der Objekte enthielt. Die sind allerdings nicht so ganz stimmig: Aus „Tempeln des Kaiserpalastes“ stammen sie wohl eher nicht – wobei auch nicht ganz klar ist, was damit überhaupt gemeint ist. Für den Himmelstempel ist die Qualität der Objekte jedenfalls nicht überragend genug, außerdem verweisen sie auch auf zu unterschiedliche religiöse Vorstellungswelten: mal eher aus dem volkstümlich-taoistischen Buddhismus, mal dem tibetisch-lamaistischen.
Ausstellung „Kriegsbeute aus China“: bis 31.12.2023, Landesmuseum Niedersachsen
Auf einer Karte von Peking beziehungsweise Beijing um das Jahr 1900 herum zeigt das Museum nun als mögliche Herkunftsorte zahlreiche Tempel in der Stadt. Weiteres wird noch recherchiert, dazu haben die Hannoveraner Kontakt mit den chinesischen Behörden aufgenommen. Mit denen soll auch über eine mögliche Rückgabe gesprochen werden. Bis auf Weiteres sind der Exponate aber in Hannover zu sehen – voraussichtlich bis Ende dieses Jahres.
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