Aussteiger in Dänemark: Exitprogramm für Dschihadisten
Die Stadt Aarhus geht mit „Aufmerksamkeit und Angeboten“ gegen Radikalisierte vor. Das Programm ist bislang recht erfolgreich.

Der Ruf des „Aarhus-Modells“ war offensichtlich bis zu Barack Obama gedrungen. Der 40-jährige dänische Sozialdemokrat wollte das in einem anschließenden Interview mit dem dänischen Rundfunk als „große Anerkennung für die Arbeit, die unsere vielen Mitarbeiter zusammen mit der Polizei leisten,“ verstanden wissen.
Statt sich auf übliche staatsanwaltschaftliche Verfahren für die Männer und Frauen zu beschränken, die nach Syrien und den Irak gereist waren, um auf Seiten des IS zu kämpfen und Monate später desilussioniert oder radikalisiert zurückzukehren, glaubt man in Aarhus an einen anderen Ansatz:
Psychologische Betreuung, Hilfe bei der Wohnungssuche, Ausbildungs- und Arbeitsangebote. Wolle man vermeiden, dass solche Heimkehrer Anschläge in der Heimat planten oder erneut ausreisten, müsse man „ihnen helfen sich in die Gesellschaft einzugliedern und ihr Leben in den Griff zu bekommen“, sagt Preben Bertelsen.
Mit Psychologie gegen den IS
Der Psychologie-Professor an der Universität Aarhus ist verantwortlich für den psychologischen Teil eines Programms zur Vorbeugung gegen Extremismus und Radikalisierung, das die Stadt Aarhus zusammen mit der regionalen Polizei seit 2007 betreibt. Das „Aarhus-Modell“ kümmert sich in Zusammenarbeit mit dem Verfassungsschutz PET und der muslimischen Gemeinde von Aarhus nun auch um „IS-Kämpfer“.
Nicht nur um solche, die von dort zurückkommen, sondern auch um die, die sich dorthin aufmachen könnten. Denen, die man in Verdacht hat, in den „heiligen Krieg“ zu ziehen, „einfach die Ausreise zu verbieten und den Pass wegzunehmen, entfaltet allenfalls eine kurzfristige Wirkung“, betont Bertelsen: „Das einzige, was man damit erreicht, ist doch das Gefühl ausgeschlossen zu werden. Ein weiteres Element einer Diskriminierung, die ja gerade eine Grundlage für solche Radikalisierung ist.“
Bürgermeister Bundsgaard
Wolle man die „eigene Gesellschaft vor lebensgefährlichen Terroristen mit effektiver Militärausbildung schützen“, müsse man langfristiger denken, als nur über mehr Überwachung und strengere Gesetze nachzudenken, sagt auch Bürgermeister Bundsgaard im Interview mit dem Zeitung Aarhus-Stiftstidende.
Das „Aarhus-Modell“ sei gerade aus der Erkenntnis entsprungen, es sei „naiv zu glauben, dass Gesetze Haltungen und Motive ändern können“. Bei der Umsetzung eines alternativen Ansatzes habe man sich „erst einmal voran tasten“ müssen, berichtet er. Man habe sich auch von Erfahrungen mit Exit-Programmen für das Rocker-Milieu inspirieren lassen.
Hilfsangebote werden gerne angenommen
Wenn von Streetworkern, LehrerInnen, Eltern oder Geschwistern Hinweise auf eine Radikalisierung eingingen, setze sich ein Team von einem Dutzend Leuten – vom Jugendamt bis zur Polizei – zusammen und überlege, wie man mit dieser Person ins Gespräch kommen könnte. Ähnliches gelte für Kontakte zu Syrienrückkehrern.
Spezielle Mentoren böten Hilfe an, vom alltäglichen Papierkram bis zur Wohnungs- oder Ausbildungsplatzsuche, bei Schulproblemen oder der möglichen Vermittlung in psychologische Betreuung. „Die meisten nehmen Hilfsangebote gerne an“, erklärt Bundsgaard gegenüber dem Rundfunk: „Und wer sie ablehnt – auf den werfen dann eben eventuell die Sicherheitsbehörden ein spezielles Augenmerk.“
Während die rechtspopulistische Dänische Volkspartei von dem, was sie als „positive Sonderbehandlung von Islamisten“ ansieht, nicht viel hält, an nachhaltigen Erfolgen zweifelt und lieber „fragwürdige Moscheen“ und andere „islamistische Brutstätten“ schließen möchte, fordert die linksliberale Oppositionspartei Radikale Venstre eine Antiradikalisierungsstrategie für alle dänischen Kommunen.
Eine erste Bilanz scheint für das „Aarhus-Modell“ zu sprechen: Seit Beginn des Programms soll nur ein einziger Syrienrückkehrer wieder ausgereist sein. Vorher stand Aarhus gleich hinter Kopenhagen in Dänemark an der Spitze dieser Personengruppe.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Klimaneutral bis 2045?
Grünes Wachstum ist wie Abnehmenwollen durch mehr Essen
Leak zu Zwei-Klassen-Struktur beim BSW
Sahras Knechte
Friedensforscherin
„Wir können nicht so tun, als lebten wir in Frieden“
Nach Hitlergruß von Trump-Berater Bannon
Rechtspopulist Bardella sagt Rede ab
CDU-Chef Friedrich Merz
Friedrich der Mittelgroße
Wahlentscheidung
Mit dem Wahl-O-Mat auf Weltrettung