Ausnahmebasketballer Nikola Jokić: Seltsames Paradox
Nikola Jokić von den Denver Nuggets ist auch wegen seiner Spielweise der Hingucker im NBA-Finale. Trotz aller Erfolge wird er immer noch unterschätzt.
N ur mal angenommen, Sie wären Basketball-Trainer. Und Ihre Mannschaft steht gerade im NBA-Finale und müsste gegen die Denver Nuggets antreten. Deren bester Spieler ist ein gewisser Nikola Jokić. Jetzt die Preisfrage: Würden Sie ihre Taktik so ausrichten, dass der Serbe möglichst viel Punkte erzielt, am besten sogar über 40 in einem Spiel? Überraschende Antwort: ja!
So absurd es klingt: Wenn Jokić einen Haufen Punkte macht, ist die Chance, gegen Denver zu gewinnen, größer als umgekehrt. Drei Mal in den diesjährigen Playoffs hat der 2,11 Meter große Center mehr als 40 Punkte gesammelt – und alle drei Mal haben die Nuggets verloren. Von den restlichen 14 Spielen, in denen Jokić unter der magischen 40-Punkte-Grenze blieb, gewann Denver 13.
Das vorerst letzte Beweisstück für das Nikola-Jokić-Parodox war das zweite Spiel der NBA-Finalserie zwischen Denver und Miami Heat. In der Auftaktpartie der Best-of-7-Serie versuchte Jokić nicht einmal zu punkten, erst drei Sekunden vor Ende des ersten Viertels warf er das erste Mal auf den Korb. Stattdessen verteilte er den Ball, gab Vorlagen, pflückte Rebounds und dominierte einen kaum gefährdeten Sieg. Ganz anders im zweiten Aufeinandertreffen: Die Heat stellten nur einen, oft viel kleineren Verteidiger gegen Jokić, versperrten stattdessen lieber seine Passwege. Auch wenn Heat-Trainer Erik Spoelstra die Frage, ob das der entscheidende Faktor war, als „lächerlich“ abtat und darauf hinwies, Basketball sei viel komplexer, war die Taktik doch erfolgreich: Miami gewann 111:108, die Serie ist vor dem heutigen dritten Spiel in Miami nun ausgeglichen.
Die statistische Seltsamkeit ist aber nur ein weiteres Puzzlestück einer größeren Geschichte: Nikola Jokić könnte Denver zum ersten Titel in der Klubgeschichte führen, er ist bereits zwei Mal zum besten Profi der NBA gewählt worden, mit „The Joker“ hat er einen schicken, vermarktbaren Spitznamen verpasst bekommen – und doch ist der serbische Nationalspieler der wohl unterschätzteste Spieler.
Aufbauspieler in zu großem Körper
Das liegt nicht zuletzt an seinem außergewöhnlichen Spielstil. Der 28-Jährige entspricht gar nicht den Vorstellungen eines Centers. Auch Jokić kann unter dem Korb rangeln und aus kurzer Distanz treffen, aber er kann auch alles andere, aus der Distanz werfen, Vorlagen geben, ja sogar passabel dribbeln.
Am liebsten operiert er aber auf Höhe der Freiwurflinie und lenkt von dort das Spiel, verteilt den Ball und setzt Mitspieler in Szene. „Er liest das Spiel, er trifft die richtigen Entscheidungen“, sagt sein Trainer Mike Malone, „und dann nimmt er den Gegner auseinander.“ Tatsächlich gibt es wohl niemanden in der Geschichte des Basketballs, mit dem Jokić vergleichbar wäre – am ehesten ist er eine Mischung aus dem jungen Arvydas Sabonis und Dirk Nowitzki.
Eigentlich ist Jokić ein Aufbauspieler in einem viel zu großen Körper – und genau dieser Körper ist ein weiterer Grund dafür, dass er unterschätzt wird. Aufgrund seiner Physiognomie wirkt er nicht immer austrainiert, und erst unlängst trendete in den sozialen Medien ein Foto, das ihn als übergewichtigen Teenager mit nacktem Oberkörper zeigt. Damals trank Jokić noch drei Liter Cola am Tag und wurde im NBA-Draft 2014 erst als 41. Nachwuchstalent ausgewählt.
Der Legende nach trank Jokić seine letzte Cola auf dem ersten Flug nach Denver, dann begann seine steile Karriere – die allerdings wenig beachtet wurde. Denver ist keiner der großen Fernsehmärkte, die Spiele der Nuggets werden selten auf einem landesweiten Sender übertragen. So entgeht vielen die Brillianz seines Spiels. So musste Shaquille O’Neal, selbst früher ein alles überragender Center und heute TV-Kommentator, zugeben, dass er den „Joker“ im Finale zum ersten Mal leibhaftig beobachten konnte – und „sehr, sehr beeindruckt“ war: „Es ist eine Freude, ihm zuzusehen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Die Wahrheit
Der erste Schnee
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja