Ausländische Pflegerinnen in Deutschland: Wenig eigenes Leben in der Fremde
Sie sollen rund um die Uhr verfügbar sein, gut Deutsch sprechen und für wenig Geld arbeiten: Ausländische Pflegekräfte arbeiten an der Kapazitätsgrenze.
BERLIN taz | Die alte Mutter von Gertraud Streckfus hatte einen Schlaganfall erlitten und konnte nicht mehr alleine leben in dem großen Haus in der baden-württembergischen Großstadt. Über das Internet stieß Streckfus auf Vermittlungsagenturen, die mit einer „24h“-Versorgung warben. Seit einigen Wochen lebt „Frau Irina“ aus Krakau im Haus der alten Mutter – und wenn sie ihren freien Tag in der Woche hat, kommt eine zweite Helferin, um die Betreuerin zu entlasten.
Damit hat Irina S. sogar noch Glück. Viele osteuropäische Betreuerinnen haben in den Privathaushalten kaum freie Stunden für sich. „Das Problem ist die fehlende Grenze zwischen Arbeit und Freizeit“, berichtet Sylwia Timm, Beraterin im Projekt „Faire Mobilität“ beim Bundesvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes in Berlin.
Oft wechseln sich die Hilfspflegerinnen in einem Zwei- oder Dreimonatsrhythmus mit einer Kollegin und Landsmännin ab, denn: nur die freie Zeit in der Heimat werde von den Frauen als „das eigene Leben angesehen“, heißt es in einer Studie der Hochschule St. Georgen zu „ausländischen Pflegekräften in Privathaushalten“.
„Mit einer 24-Stunden-Betreuung zu werben, empfände ich als fast ein bisschen unseriös“, sagt Michaela Niclaus, Chefin der Agentur „Help4Seniors“ in Düsseldorf, die polnische Hilfskräfte vermittelt. Einer ihrer Kunden hat noch eine zusätzliche Betreuungskraft im Minijob. In einem anderen Fall geht die ältere Dame unter der Woche einen Tag in eine Seniorentagesstätte.
Viele Hilfskräfte arbeiten schwarz
Doch diese Konstruktionen sind teuer und viele Haushalte können sich nur die billigsten Lösungen leisten. Viele der Betreuerinnen aus Osteuropa arbeiten schwarz. Etwas über 4.000 Hilfskräfte aus Polen sind in Privathaushalten direkt legal angestellt. Betreuerinnen kommen ansonsten legal über polnische Zeitarbeitsfirmen, die mit hiesigen Agenturen kooperieren und ihre Betreuungskräfte nach Deutschland entsenden.
Viele verdienen dabei mit: Bekommt eine Hilfspflegekraft netto 1.000 Euro monatlich, muss der Kunde in Deutschland um die 1.800 Euro an die polnische Leiharbeitsfirma zahlen. Die Kunden haben zusätzlich noch einige hundert Euro jährlich an Gebühren für die deutsche Vermittlungsagentur zu berappen. Kost und Logis müssen für die Betreuerin frei sein. Die Zeitarbeitsfirma in Polen entrichtet die Sozialversicherungsbeiträge und Steuern nach polnischem Recht.
Immer größere Erwartungen der Kunden
Es sei aber immer schwieriger, Betreuerinnen in Polen zu rekrutieren, erklärt Katarzyna Jedrzejek von Aterima med, einer Leiharbeitsfirma in Krakau, der taz. Viele der Betreuerinnen wollten lieber schwarzarbeiten, weil sie hofften, damit mehr zu verdienen. Außerdem hätten die deutschen Kunden immer größere Erwartungen an die betreuerischen Dienstleistungen, so Jedrzejek. „Sie erwarten, dass das Personal Referenzen, Zertifikate und sehr gute Sprachkenntnisse hat.“ Solche Hilfspflegerinnen sind hochbegehrte Mangelware.
Um für die Arbeit als Betreuerin, als „Opiekunka“, von Aterima vermittelt zu werden, reicht es aus, sich in der Heimat mal selbst um einen pflegebedürftigen Angehörigen gekümmert zu haben. Man muss sich in Deutsch verständigen können, je besser die Sprachkenntnisse, desto höher das Gehalt. Im Internet werben Agenturen mit Billigpreisen von 1.200 Euro brutto – für den Preis sprechen die Frauen dann aber kaum Deutsch.
Heimweh und Fremde
Nicht jede hält das Heimweh und die Fremde aus. Hinweise auf die billigsten Telefon- und Internettarife für den Kontakt von Deutschland nach Polen nehmen auf der Homepage von Aterima med breiten Raum ein. Betreuerinnen, die sich vielleicht zum ersten Mal mit alzheimerkranken SeniorInnen auseinandersetzen müssen, finden auch über die Homepage Rat: ablenken, ein Wollknäuel zum Aufwickeln geben oder ein Handtuch zum Zusammenfalten, und: bloß nicht diskutieren! Zur Not hilft eine Beratungshotline der Leiharbeitsfirma.
Bei Beraterin Timm landen die Fälle, wo es nicht klappte. In einer Familie habe die erwachsene Tochter die Betreuerin angeschrien und mehrfach beleidigt, sei morgens um sechs Uhr in deren Zimmer gekommen und habe sie aus dem Bett geholt. Die Frau schmiss den Job.
Leser*innenkommentare
Hobosapiens
Gast
Es geht nicht um Menschlichkeit und Würde, sondern um Verwertbarkeit...
emil
Gast
da ist der kapitalismus hart. du bekommst nur etwas zurück, wenn du auch etwas generierst. wer das nicht selbst kann hat ein großes problem. in diesem punkt nähern wir uns augenscheinlich immer mehr einem amerikanischen modell mit mini sozialstaat an.
pflege ist chronisch unterfinanziert, dort gibt es nämlich kaum gewinne zu erwirtschaften. pflegebedürftige dienen dem system nicht. das geld steckt hingegen in autos oder panzern oder in steuererleichterungen für flugzeuge, um jederzeit sonstwohin fliegen zu können und dafür auch nur 50 euros zu bezahlen. letztlich sorgen wir mit diesem vergnügen allerdings dafür, dass kein geld für pflege genutzt wird.
der trick ist, sich niemals in abhängigkeit zu begeben, sonst sieht es düster aus bei dieser wirtschaftsform, die sich von krise zu krise schleppt.
Hannah
Gast
Als ausgebildete deutsche Vollzeitpflegekraft haben Sie auch in Deutschland kaum ein eigenes Leben. Schichtdienste rund um die Uhr und am Wochenende arbeiten, Feiertage arbeiten, Stress bei der Arbeit wegen Personalnotstand usw. man muss sich dann schon sehr disziplinieren um seine Sozialkontakte noch zu pflegen.
Die Bezahlung ist dem Stress und der Verantwortung nicht angeglichen, jeder Opelarbeiter kriegt als Arbeitsloser mehr.
Man muss also schon aus einer gewissen inneren Überzeugung und professionell pflegen.
Ich halte eine gute Heimunterkunft für die bessere Lösung als sprachunkundige unprofessionelle Pflegekräfte, die oft auch durch die Situationen, die sich ergeben, überfordert sind, weil sie in keiner Weise darauf vorbereitet sind.
Ich bin auch dafür, dass Pflegekräfte aus dem Ausland Deutsch sprechen können müssen, weil Pflege zum großen Teil aus Kommunikation mit dem zu Pflegenden besteht (Frage nach Schmerzen, Wohlergehen, Allgemeinzustand, Wünschen...).
Im übrigen werden alle Pflegefachkräfte, die in Deutschland ausgebildet werden, auf Qualitätsstandards hin geschult, die rechtlich eingeklagt werden können. Das ist in der häuslichen Pflege auf diesem Niveau nicht möglich. Und meiner Meinung nach sollten Pflegekräfte aus dem Ausland den gleichen Qualitätsstandards unterliegen, sonst kann man sie nämlich in die Tonne kloppen!
Reinhold Schramm
Gast
Pflegeimperialismus 2013
Pflege-Imperialismus in der Alten-, Behinderten- und Krankenpflege ist keine Lösung für deutsche Vorsorge- und Versorgungsprobleme!
Der Import von ausländischen Pflegekräften und Ärzten aus Osteuropa und Asien ist keine Lösung für einen notwendigen menschenwürdigen Pflegebedarf in Deutschland. Zugleich werden damit die in den Herkunftsländern für die Pflege und ärztlich-medizinische Versorgung benötigten Fachkräfte entzogen.
Den deutschen privaten und kommunalen Importeuren von Arbeitskräften für die Pflege und ärztliche Versorgung, geht es vor allem um Kostenminderung, Einsparung an Ausbildungskosten und um Lohndrückerei.
Bei menschenwürdigen Arbeitsbedingungen und einer auskömmlichen Bezahlung, vor allem auch in der Behinderten- und Altenpflege, würde es keinen Pflegenotstand geben. Dies gilt für alle Bereiche der wirtschaftlichen Lohndrückerei in Deutschland.
Ein Aspekt des Imports von hochqualifizierten Arbeitskräften ist die Abwälzung der Ausbildungskosten auf die Herkunftsländer, so auf die Volkswirtschaft der osteuropäischen und asiatischen Länder.
Nehmen wir nur z. B. die von deutschen Einrichtungen importierten Arbeits- und Pflegekräfte aus der VR China:
Mit der Alterung der Gesellschaft steigt der Pflegebedarf in der VR China. Die Zunahme der Nachfrage nach Pflegeleistungen geht nicht mit dem Angebot in China einher. Für die vermögenslose Bevölkerungsmehrheit fehlt jede notwendige staatliche und menschenwürdige Pflegeleistung.
Daten zufolge benötigen in China z. Z. etwa 40 Millionen Menschen langfristige Pflege. Die Zahl der vorhandenen Betten in den Altenpflegeeinrichtungen liegt aber nur bei 2,5 Millionen. 1000 alten pflegebedürftigen Menschen stehen im Durchschnitt nur 15 Betten zur Verfügung. Die Vergleichsgröße in den entwickelten westlichen Metropolen liegt bei 70 Betten.
Zur Zeit gibt es in China nur knapp 1 Million Pflegekräfte, davon 98 Prozent ohne Berufsausbildung (Stand 2010). Eine berufliche qualifizierte Ausbildung hatten nur rund 20.000 Pflegekräfte.
"Die unzureichende Zahl an Pflegekräften, die Schwere der Pflegearbeit und die schlechte Bezahlung der Pflegekräfte beeinträchtigen auch die Qualität der Pflege. Die Hilfe bei den alltäglichen Verrichtungen wird bei mehr als 95 % der stationären Kranken von ihren Familienangehörigen oder [ungelernten] Pflegekräften [in der VR China] übernommen." (Vgl.)
Vgl.: Altenpflege und Pflegeversicherungen. Modelle und Beispiele aus China, Deutschland und Japan. Hrsg.: Susanne Langsdorf, Rudolf Traub-Merz und Chun Ding. 2010 Shanghai Academy of Social Sciences Press. Siehe bei: Friedrich-Ebert-Stiftung.
Die Antwort
Gast
@Fischers Fritze,
"Warum erledigen diese Arbeit keine deutschen Arbeitslosen?"
Weil die meisten Fritzkes solche Arbeiten nicht machen wollen, abgesehen davon, dass nicht jeder Arbeitslose für solche verantwortungsvollen Pflegeberufe geeignet wäre, gell?!
Schmidt Georg
Gast
Oma will nach Thailand! letzthin ein Bericht im SZ Magazin und auch ein Film im HR ( allerdings etwas älter ) die demenzkranke Mutter nach Thailand abzuschieben, kostet 2.500€ im Monat, ist natürlich komfortabler-aus dem Auge aus dem Sinn, 1x die Woche 5min, ein PC Telefonat-gell Oma, du hast doch gut in Thailand ! na, ja, ich möcht schon wieder heim! Aber Oma, du hast es doch gut, immer Sonne und warm, tschüss bis nächste Woche !
Fischers Fritze
Gast
Warum erledigen diese Arbeit keine deutschen Arbeitslosen?