Ausgezeichnete Autorin: „Schreiben ist vor allem Warten“
Die Hamburgerin Sabine Peters bekommt den Italo-Svevo-Preis verliehen. Sie erzähle auf Augenhöhe ihrer Figuren, heißt es in der Begründung.
Dieter, Hausmeister der Flottbeker Villen, Vera, die mal linkspolitisch engagiert war und jetzt überengagierte und leicht frustrierte Hausfrau, Mutter und Anwaltsgemahlin ist, Gerlinde, die Bibliothekarin und heimliche Herrin der Bücherhallen: In „Narrengarten“, ihrem letzten, 2013 veröffentlichten Roman skizziert Sabine Peters ein Panorama lose miteinander verzahnter Figuren, die das Glück suchen oder gesucht haben, es gefunden oder verloren haben und die Dinge alles in allem heiter und lakonisch sehen.
„Ich kenne sehr unterschiedliche Leute aus sehr unterschiedlichen Schichten“, sagt die 55-Jährige. „Aber ich nehme nicht alle meine Figuren aus dem Leben.“ Es sind oft kleine Erlebnisse oder Erfahrungen, die sie verlocken würden, loszuschreiben: „Und wenn eine Figur erst mal auf zwei Beinen läuft, liegt es ja nahe, zu fragen: Wo kommt die denn her, wie ist das Umfeld, brauche ich aus Gerechtigkeitsgründen ein Gegenbild, das die Person noch aus einer anderen Perspektive beschreibt. So entwickelt sich ein Puzzlespiel.“ Und dafür nimmt sie sich Zeit: „Schreiben ist vor allem Warten. In Zeiten des Innehaltens passiert nicht nichts. Eine lange Weile haben, das ist mir wichtig.“ Gut kann sie sich noch daran erinnern, wie wohltuend sie es als Kind fand, im Sandkasten zu sitzen und den Sand beim Rieseln zu beobachten.
Für ihr Werk, vom Debütroman „Der Stachel am Kopf“ (1990) über „Nimmersatt“ (2010) oder „Singsand“ (2006), hat sie zahlreiche Preise wie den Willner-Preis beim Bachmann-Wettbewerb, den Clemens-Brentano-Preis oder den Georg-K.-Glaser-Preis erhalten. Am 21. Juni wird sie im Literaturhaus den Italo-Svevo-Preis entgegennehmen, der Autoren verliehen wird, denen es nach Auffassung der Juroren noch an gebührender Aufmerksamkeit mangelt.
Aus der Einsamkeit Ostfrieslands
So nüchtern und zurückhaltend sie schreibt, sieht sie auch ihre Situation als Autorin: „Ich vermeide, darüber nachzudenken, in welcher Liga ich spiele. Verglichen mit tausenden von anderen Schreibern habe ich es wirklich gut.“ Man glaubt ihr, dass die Eitelkeiten des Literaturbetriebes die zierliche Frau mit dem neugierigen Blick nicht interessieren. Zwanzig Jahre hat sie in der Einsamkeit Ostfrieslands gelebt, zunächst dank eines Literaturförderpreises der Kulturbehörde 1987. Eigentlich war Peters aus Süddeutschland nach Hamburg gezogen, um Lehrerin zu werden, machte dann ein Praktikum beim Rotbuch-Verlag und bewarb sich „in einem Anfall von Verzweiflung“ bei der Kulturbehörde, als sie sah, dass der Beruf der Lektorin auch nichts für sie war.
Sie wurde gefördert, mit 10.000 Mark: „Ich dachte, das ist so viel Geld und draußen in Ostfriesland ist das Leben billig, das versucht du mal ein Jahr. Und dann kam der Bachmann-Preis und ich hatte einen Verlag.“ Es war aber nicht nur das günstige Leben, das Peters nach Friesland zog. Bei ihrem Praktikum hatte die damals 26-Jährige den 33 Jahre älteren Schriftsteller und Kommunisten Christian Geissler kennengelernt. Mit Geissler lebte sie bis 2004 in „einem faustgroßen Haus, kein Zimmer größer als 12m², aber von jedem aus konnte man den Mond sehen“.
Auch die Liebe ihres Lebens beschreibt sie in der gewohnt unprätentiösen Art: „Ich bin zu meinem Mann gezogen, um das Schreiben und die Liebe auszuprobieren, und beides war gut.“ Christian und Sabine tauchen in ihren Werken als Rupert und Marie immer wieder auf. Geisslers Krebsleiden und Tod beschrieb sie 2010 in „Feuerfreund“: „Es war notwendig, sich zu erinnern, aber ich glaube nicht, dass man schreibend etwas verarbeiten kann. Beim Schreiben be-arbeitet man etwas.“
Deiche, Schafe, Deiche, Schafe
Sorge, dass es ihr auf dem Land an Inspiration fehlen könnte, hatte sie nie: „Mein Mann hat manchmal gesagt: Du kannst sämtliche Konflikte der Welt in einem Dorf zu fassen kriegen, egal ob es um Liebe, Rache, Armut oder Politik geht.“ Manchmal wurde es den beiden selbst im ostfriesischen Dorf zu rummelig, dann zogen sie eine Zeit lang in ein abgeschiedenes leerstehendes Bauernhäuschen im Norden Portugals. Auch durch Israel sind sie gereist, am meisten aber liebt Peters die Niederlande: „Die Weite dieser Landschaft ist wunderbar, Wolken, Himmel, Kanäle, Deiche, Schafe, Deiche, Schafe.“
Seit 1990 führt sie Notizbücher. „Ich mache das, weil es alltäglich vieles gibt, was interessant ist. Die sind nummeriert und datiert, aber wenn ich da sitze und denke, da war doch der Waldspaziergang in Edenkoben 1995, bist du da nicht durch die Weinanlage gegangen und hast etwas über Weinbergschnecken gelernt? – Dann findet man nichts in diesen Notizen.“
Trotzdem hält sie daran fest. „Vielleicht verschrauben sich die Beobachtungen durch das Aufschreiben etwas besser im Kopf, und wenn man seine begnadeten Stunden hat, kommen sie dann auch wieder hoch.“
„Auf Augenhöhe ihrer Figuren“
In der Jurybegründung für den Italo-Svevo-Preis heißt es: „Sabine Peters erzählt auf Augenhöhe ihrer Figuren. Wie sie Personen zu Ansehen verhilft und Lebenswelten sondiert, erinnert an Anton Tschechows Diktum, dass Prosaschreiben zwei Voraussetzungen habe, einen kalten Blick und Menschenliebe.“ Peters sagt, sie interessiere der Blick von innen, wenn ihre Figuren unverstellt sprechen und zeigen, wie sie sich wirklich fühlen.
„Ja, wir sind peinlich, lächerlich und beschämbar. Wenn das zurechtgebogen werden soll in einen gelungenen Catwalk, halte ich das für wenig hilfreich. Freundschaft und Liebe sind doch so schön, weil man sich zeigen kann, ohne verachtet zu werden.“
Den Italo-Svevo-Preis nimmt Sabine Peters am 21. Juni um 19.30 Uhr im Literaturhaus Hamburg entgegen. Die Laudatio hält Holger Helbig. Der Eintritt ist frei
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