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Ausgehen und rumstehen von Katrin Bettina MüllerKleist und Schiller als tanzende Kaninchen im Gasthaus

Sein Glück auf die Probe stellen: So fühlt sich das jetzt oft an, beim Verlassen des Hauses, auf dem Weg ins Theater oder eine Ausstellung. Omikron schleicht um die Häuser, hoffentlich geht das gut heute.

In meiner Samstagsspazierrunde frage ich die Damen, was denn so die Pläne für das Wochenende wären, tja, unsere zwei Stunden spazieren an der Spree im Treptower Park sind da meist schon das Highlight. Ansonsten kochen, trinken, essen und weiterarbeiten. Die meisten Spaziergängerinnen der Gruppe sind Künstlerinnen und plagen sich gerade mit Fotopro­grammen und Wettbewerben herum.

C. hat die Gruppe im letzten Coronawinter gegründet, Verabredung über einen Mail-Verteiler, jede schlägt Touren vor. So haben wir Spaziergänge in Pankow, durch den Schlosspark Charlottenburg, in Weißensee und Zehlendorf unternommen. Mal zu dritt, zu fünft oder zu acht. Corona und was wieder passiert ist, nie kommt man da um ein Gespräch herum, aber dann beginnt der freundschaftliche Teil. Vor dem Treptower Park waren wie in Schöneberg/Steglitz unterwegs, als Millimeter dünner Schnee auf den Wegen der Laubenkolonien in der Sonne glänzte. Und durch den Stadtpark Steglitz, von dem mir später eine andere Freundin erzählt, dass dort schon Kafka spazieren ging. Ach, aber schön ist es, weil sich mehrere grüne Inseln mit nur kurzen Stücken Straße verbinden lassen.

Die Straßen am Abend, sie sind ungewohnt still. Die Dunkelheit ist noch immer so lang. Langeweile droht. Zu Hause blättere ich schon in der Apothekenrundschau, zu Fuß gehen soll gesund sein. Also bin ich in der Woche schon zum Hebbeltheater hin und zurück gelaufen, häufe imaginäre Punkte auf meinem Schrittzählerkonto – dabei habe ich gar keins.

Ein literarisches Highlight hatte der Samstag dann doch. Der hundertste Geburtstag des Autors Franz Fühmann, der der Literatur der DDR als Essayist, Erzähler, Kinderbuchautor und Lyriker viele überraschende Volten beschert hat, wurde gefeiert, unter anderem mit einer langen Lesung in der St. Matthäus Kirche am Kulturforum. Beim Start um 18 Uhr war die Kirche wohl voll, ab 20 Uhr aber ist viel Platz auf den Kirchenbänken. „Ein Bergwerk für Franz Fühmann“ heißt der Abend, mehr als 20 Au­to­r:in­nen und Künst­le­r:in­nen (darunter der Kollege Robert Mießner, die Schauspielerin Corinna Harfouch) lesen kurze Abschnitte vor. Sie führen in ganz unwahrscheinliche Gasthäuser, in denen Kaninchen mit Namen Kleist und Schiller tanzen, in Träume, in denen Mao über die Berge kommt und in staubigen Behördenfluren die Leute vor ihm auf die Knie sinken, und in Königreiche, in denen Frauen, nur wenn sie dick sind, den Drachen heiraten dürfen. Und man merkt beim Zuhören schon bald, wie fast alles, was so absonderlich daherkommt, in seinen kuriosen Pointen durchaus satirisch auf eine Gegenwart zielte, die politischer Starrsinn und Autoritätshörigkeit in der Zange hatte. Jeder Text verblüfft aufs Neue, aus der einen Stunde, die ich bleiben wollte, werden zwei, drei, manchmal zieht sich einem auch das Herz zusammen, wie dieser Autor unter Fremdheit im eigenen Land gelitten haben muss, dann treibt mich der Durst hinaus.

Und siehe da, wie zur Belohnung für den Gang in die Kirche der Literatur schimmert am anderen Ende des ansonsten verlassenen Kulturforums, vor der Philharmonie, silbrig ein Imbissmobil im Licht seiner Glühlämpchen. Die kleinen Grüppchen dort waren wohl zuvor im Konzert oder haben, wie die Instrumentenkoffer zu ihren Füßen vermuten lassen, selbst gespielt. Es gibt Bier an frischer Luft, besser könnte dieser Tag nicht enden. Bleibt zu hoffen, dass die Corona-Warn-App mir diesen Abend nicht demnächst rot anstreicht.

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