Ausgang der Wahlen in Rumänien: Wahl der Nichtwähler

Die Wahlbeteiligung in Rumänien erreicht einen Tiefststand. Das ist Ausdruck des Versagens der Regierungen nach der Revolution von 1989.

Eine Frau mit Mund-Nasenbedeckung wirft einen Wahlzettel in eine Wahlurne

Bei den Parlamentswahlen in Rumänien erreichte die Wahlbeteiligung einen historischen Tiefstand Foto: Gabriel Petrescu/imago

Die Beteiligung an den in Rumänien am Sonntag stattgefundenen Parlamentswahlen erreichte einen historischen Tiefstand. Seit dem Sturz des Regimes im Jahr 1989 und den danach stattgefundenen Wahlen hat es nie eine derartige Wahlabstinenz wie diesmal gegeben. Die Enthaltung war sicherlich nicht nur coronabedingt. Die uneingelösten Versprechungen der Parteien, die in den vergangenen 30 Jahren regierten, haben – wie es ein Bukarester Hochschullehrer ironisch formulierte – zu dieser „Wahl der Nichtwähler“ maßgeblich beigetragen.

Dass die erst vor einem Jahr durch einen Misstrauensantrag gestürzte Regierung der populistischen Sozialdemokraten (PSD) die meisten Stimmen erhalten hat, könnte auch als Denkzettel für die Präsident Klaus Iohannis nahestehende Nationalliberale Partei (PNL) gedeutet werden. Die großspurigen Ankündigungen der Partei von Iohannis, Korruption, Vettern- und Misswirtschaft konsequent zu bekämpfen, erwiesen sich in der Praxis als propagandistische Seifenblasen. Die Entlassung des Leiters eines Wasserwirtschaftsamtes und dessen Ersetzung durch einen inkompetenten nationalliberalen Parteigenossen brachte das Fass zum Überlaufen.

Für viele WählerInnen mag es der endgültige Beweis gewesen sein, dass die Nationalliberalen um keinen Deut besser sind als die wiederholt als „Postkommunisten“ gescholtenen Sozialdemokraten. Die mit nationalistischen Floskeln gedüngten Wahlversprechungen der Nationalliberalen und Sozialdemokraten kamen nicht ihnen zugute, sondern der als viertstärksten ins Parlament gewählten rechtsradikalen, euro- und coronaskeptischen Partei, die sich Allianz für die Vereinigung der Rumänen (AUR) nennt.

Die Stimmen für die AUR spiegeln allerdings auch die zunehmenden Sympathien für das ungarisch-polnische illiberale Modell wider. Und zwar in all seinen nationalistischen und demokratiekritischen Facetten. Gleichzeitig zerstäuben sie die von Iohannis’ Partei verbreitete Mär, Rumänien sei das einzige faschistenfreie osteuropäische EU-Land.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

William Totok, geb. in Groß-Komlosch (Rumänien); Studium der Germanistik und Rumänistik in Temeswar; Gründungsmitglied der „Aktionsgruppe Banat“ (1972–1975); politische Haft wegen „Verbreitung staatsfeindlicher Gedichte“ (1975–1976); lebt seit 1987 als freischaffender Schriftsteller und Publizist in Berlin und schreibt u.a. für die taz. Letzte Veröffentlichungen: „Zwischen Mythos und Verharmlosung. Über die kritische Vergangenheitsbewältigung, Ion Gavrilă Ogoranu und den bewaffneten, antikommunistischen Widerstand in Rumänien“, (Iaşi 2016, zusammen mit Elena-Irina Macovei), „... an den Fahnenstangen fault die Wut. Gedichte, (Ludwigsburg 2016).

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.